von Benjamin Hammer
Sonntagmorgen, Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Auf der Bühne stehen zwei Schülergruppen, spielen Theater und singen. Das ist ihr Beitrag zur Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Viele junge Menschen also, die sich für den christlich-jüdischen Dialog einsetzen? Ernüchterung beim Blick ins Publikum: Viele sind über 60 Jahre alt.
»Wir haben große Nachwuchssorgen«, sagt Christa Pfarr von der Kölner Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Von den rund 1.000 Mitgliedern seien nur zehn Jugendliche oder Studenten. Laut Pfarr sei das auch eine Frage »der menschlichen Reife«. Gerade über theologische Themen mit Menschen anderer Religionen in Kontakt zu treten, sei für junge Leute schwer. »Die haben oft andere Sorgen.«
Wie geht es weiter mit dem Dialog zwischen Juden und Christen? Wird es in 20 Jahren noch Christlich-Jüdische Gesellschaften geben? Rudolf Sirsch macht sich wenig Sorgen um die Zukunft. »Nachwuchsprobleme haben Parteien und Kirchen doch auch«, sagt der Generalsekretär des Koordinierungsrats der Christlich-Jüdischen Gesellschaften. »Von 20 bis 45 sind die Menschen mit anderen Sachen beschäftigt, aber dann kommen sie zu uns«, glaubt Sirsch. Kritik äußert Esther Haß, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Kassel. »Die Gesellschaften haben sich nicht rechtzeitig um Nachwuchs bemüht.« Erst seit ein paar Jahren kümmere man sich darum. »In den 80er und 90er Jahren wurde das versäumt. Jetzt sind da fast nur noch Senioren.« Haß gab lange Zeit gemeinsamen Religionsunterricht für Christen, Juden und Muslime.
Daß man Jugendliche doch motivieren kann, zeigt ein Beispiel aus dem Ruhrgebiet. »Eine völlig veraltete Truppe« sei die Dortmunder Gesellschaft noch vor einem Jahr gewesen, sagt Alexander Völkel. Dann habe er mit zwei Freunden das »Junge Forum« der Gesellschaft gegründet. »Die Angebote der Gesellschaften sind toll, aber mit theologischen Symposien kriegen wir die jungen Leute nicht«, sagt der 28jährige. Seit der Gründung im April 2005 engagieren sich in Dortmund etwa 25 Jugendliche – Christen, Juden und seit kurzem sogar Muslime. Auf dem Programm stehen Gespräche mit Zeitzeugen oder Gedenkveranstaltungen. Jetzt plant das Junge Forum Austauschreisen nach Israel. »Mit solchen Reisen begeistert man die Jugendlichen«, sagt Völkel und verweist auf die Gesellschaft in Siegen. Die hat einen Altersdurchschnitt von 45 Jahren, schätzt Geschäftsführerin Margret Gockel. Seit 40 Jahren besuchen sich Jugendliche aus den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer in Israel.
Und der jüdische Nachwuchs? In der Kölner Gesellschaft ist er nicht vertreten. Ori Osterer, Leiter des jüdischen Jugendzentrums Jachad sagt: »Natürlich brauchen wir einen Dialog und gegenseitiges Verständnis.« Aber Kontakt zu Christen haben wir doch schon in Schulen oder Sportvereinen.« Da sei man froh, wenn man sich auch mal in einer jüdischen Umgebung treffen könne. Miguel Freund, jüdischer Vorsitzender der Kölner Gesellschaft, sagt: »In dem Alter habe auch ich gedacht: Ich brauche keinen organisierten christlich-jüdischen Dialog. Ich bin mir in der jüdischen Gemeinschaft genug.« Mit der Zeit merke man aber, daß man Bündnispartner brauche. »Wir Juden sind auf Unterstützung in der Gesellschaft angewiesen.«
Nicht nur der Nachwuchs macht den »Christlich-Jüdischen« Sorgen. In Ostdeutschland gibt es 15 jüdische Gemeinden, aber nur sechs christlich-jüdische Gesellschaften. Rudolf Sirsch vom Koordi-
nierungsrat sieht hier Nachholbedarf. In den nächsten Monaten will er durch den Osten reisen und sich für die Gründung von neuen Ortsgruppen einsetzen.
Nicht überall hält man das für notwendig. Ruth Röcher, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Chemnitz, lobt den bereits vorhandenen christlich-jüdischen Dialog in der Stadt, etwa durch die Deutsch-Israelische-Gesellschaft. »Ich bezweifle, daß es zusätzliche Kräfte für die Gründung einer christlich-jüdischen Gesellschaft gibt.«
Ein anderes Problem: Es gibt viel mehr christliche als jüdische Mitglieder. Leidet darunter das interreligiöse Gespräch? Esther Haß nennt das Verhältnis »arg problematisch«. Viele Gesellschaften hätten schon Probleme, einen jüdischen Vorsitzenden zu finden, manche hätten gar keine jüdischen Mitglieder. »Da wird mehr über Juden als mit Juden geredet.«
Miguel Freund sieht die Situation entspannter: »In Köln ist das Jüdische gut vertreten. Ich sehe da keine Probleme.« In einer großen jüdischen Gemeinde funktioniere der Dialog natürlich besser als in einer kleinen.
Eine weitere Herausforderung für das interkulturelle Gespräch sind die jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjeunion. »Schon wegen mangelnder Sprachkenntnisse ist das schwierig«, sagt Sigrid Schäfer von der Gesellschaft in Dortmund. Jetzt planen die Dortmunder Veranstaltungen mit russischen Übersetzungen und mehr Musik. Viele Gesellschaften organisieren auch Deutschunterricht. Heute sind 90 Prozent der Gemeindemitglieder Zuwanderer. Vielleicht liegt ja hier die Zukunft des christlich-jüdischen Dialogs.