Lehrstuhl

Münchner Beiträge

von Vera von Wolffersdorff

Die Tür im ersten Stock des Historischen Seminars an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität führt in einen kurzen Seitengang. Ein paar Aushänge, Fotos und Veranstaltungshinweise an der Wand, rechts und links davon Türen, daneben schlichte Schildchen, die verraten, dass man sich hier in der Abteilung für Jüdische Geschichte und Kultur befindet. Dieser Lehrstuhl feiert in diesem Sommer sein zehnjähriges Bestehen und ist in seiner Art einzigartig: Es ist der erste speziell der jüdischen Geschichte gewidmete Lehrstuhl an einem historischen Institut einer deutschen Universität. Die Vorlesung in diesem Semester befasst sich mit Bildern jüdischer Geschichte – gemeint ist die bildliche Darstellung jüdischer Geschichte ebenso wie »Judenbilder«, die sich die christliche Gesellschaft geschaffen hatte. Zudem finden Seminare zu Juden in Franken, zur jüdischen Kulturgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts im Spiegel autobiografischer Texte und zur jüdischen Geschichte im Film statt.
Professor Michael Brenner beschreibt die Ausrichtung des Lehrstuhls als Versuch, »jüdische Geschichte im umfassenden Sinne zu lehren«. Das Besondere daran: Es geht nicht nur um deutsch-jüdi- sche Geschichte wie beispielsweise an der Universität Potsdam – und es ist auch keine Judaistik. Vielmehr handelt es sich um einen historisch orientierten Lehrstuhl mit Anschlussmöglichkeiten an benachbarte Fächer. Interdisziplinarität gehört zum Programm. »Wir versuchen zum einen, einen großen geografischen Rahmen abzudecken, zum Beispiel durch die Vorlesungsreihe ‚Juden im Osmanischen Reich‘ oder durch eine Tagung zur Geschichte der amerikanischen Juden. Wir hatten bereits Veranstaltungen zu italienischen Juden, zum Thema Juden und Sport, also zu Themen, die die Breite und Vielfalt der jüdischen Geschichte und Kultur aufzeigen sollen«, erzählt Brenner.
Der Lehrstuhl gehört zum Fach Neuere und Neueste Geschichte, doch Studierende, die sich auf Jüdische Geschichte und Kultur spezialisieren wollen, können dies tun: Hebräisch-Kenntnisse sind allerdings Voraussetzung für den Magister oder die Dissertation. »Das lernt man erstaunlich schnell«, meint Simone Bauer, 35, die bei Brenner promovieren möchte. Die Philosophie-Absolventin beschäftigt sich seit ihrer Jugend mit jüdischen Themen, obwohl sie selbst keinen jüdischen Hintergrund hat. »Manchmal fühlte ich mich mit diesem Interesse ein wenig allein. Das ist hier anders.« Positiv findet sie, dass inzwischen auch Hebräisch-Konversationskurse angeboten werden. »Natürlich vergeht erst einmal viel Zeit, bis man überhaupt mit dem Schriftbild vertraut ist.« Doch das Lernen macht ihr Spaß.
Lida Barner, 22, studiert Ethnologie im Hauptfach, Religionswissenschaft sowie Neuere und Neueste Geschichte im Nebenfach. Für ihre Magisterarbeit möchte sie ein Stoffgebiet wählen, bei dem sie ein jüdisches Thema aus einer ethnologischen Perspektive beleuchten kann: »Im Moment überlege ich, ob ich über äthiopische Juden, die Falascha, forschen könnte. Aber das ist leider ein Thema, das schon sehr viel bearbeitet wurde.« Es gefällt ihr, durch Kontakte zum neuen Jüdischen Zentrum oder zur Literaturhandlung, die auf Bücher zum Judentum spezialisiert ist, viel von jüdischem Leben mitzubekommen. »Es ist nicht nur einfach Universität«, sagt sie. Vor einigen Semestern geriet sie zufällig in eine Vorlesung von Professor Brenner – und blieb: »Die Frage, wie man Judentum denn definieren kann, ob als Religion oder Ethnie oder Nation, finde ich spannend. Dass sich an dieser Frage die Geister scheiden und Kategorien so aufgeweicht werden, fasziniert mich.«
Die Studierenden kommen aus verschiedenen Fakultäten. Lehramtsstudenten und Politologen sind ebenso darunter wie Austauschstudenten aus Israel oder der Schweiz. Viele Historiker treibt einfach Neugier in die Vorlesungen und Seminare. Dem Wunsch, den wissenschaftlichen Horizont zu erweitern, versuchen die Mitarbeiter des Lehrstuhls nachzukommen: »Zum einen wollen wir das Augenmerk auf globale Themen, wie den Islam, Israel, Amerika richten, auf der ande- ren Seite lokal- und regionalgeschichtliche Aspekte im Blick behalten,« erklärt Brenner. Ihm liegt viel daran, jüdische Geschichte nicht auf eine Verfolgungsgeschichte zu reduzieren, sondern zu vermit- teln, was für eine Kultur da zerstört wurde – oder was eben gerade nicht zerstört werden konnte.
Da die wissenschaftlichen Zentren für Jüdische Geschichte und Kultur in den USA und Israel liegen, legt Brenner Wert darauf, internationale Forscher nach München zu holen, »auch wenn es nur für einen Vortrag ist. Unsere Studenten sollen sehen, was auf diesem Gebiet läuft, was für Historiker und Historikerinnen dahinterstehen«, erläutert er. Seit dem Wintersemester 2003/04 gibt es in jedem zweiten Jahr eine international besetzte Gastprofessur für jüdische Studien. Ab 2009 soll ein neuer Master-Studiengang »Jüdische Studien« in München eingeführt werden. Doch zunächst wird das zehnjährige Jubiläum gefeiert: mit Vorträgen von Münchner Persönlichkeiten über prominente jüdische Münchner. Ein Vortrag von Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel über den Schriftsteller Lion Feuchtwanger steht am 14. Juni auf dem Programm. Die Germanistin Rachel Salamander wird am 28. Juni über die Lyrikerin Gerty Spies sprechen.
Wie rege das akademische Leben an diesem Lehrstuhl ist, zeigen weitere Veranstaltungen: Vom 25. bis 27. Juni wird auf Schloss Elmau eine Tagung mit dem Titel »Islam through Jewish Eyes – Judaism through Muslim Eyes« stattfinden. In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit wird es vom 15. bis 17. Juli in Würzburg eine Konferenz zum Thema »Geschichte und Kultur der Juden in Franken« geben. Und passend zum Jubiläum gründeten die Mitarbeiter des Lehrstuhls die Zeitschrift »Münchner Beiträge zur Jüdischen Geschichte und Kultur«. Die erste Ausgabe ist gerade erschienen, die zweite soll im Herbst folgen. Ein Zeichen für den Wunsch, möglichst vielen Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Jüdischen Geschichte und angrenzender Bereiche ein Forum zu geben – und so zum Gedankenaustausch anzuregen.

Sydney

Jewish organizations decry the »scourge« of antisemitism

This time the focus is on Australia. It is hosting a conference of the international Jewish initiative »J7.« The group is presenting figures on Jew-hatred on the continent – and speaks of historic highs.

von Leticia Witte  03.12.2025

Kino

Blick auf die Denkerin

50 Jahre nach Hannah Arendts Tod beleuchtet eine Doku das Leben der Philosophin

von Jens Balkenborg  02.12.2025

Thüringen

Verfassungsschutz-Chef schätzt AfD-Jugend als rechtsextrem ein

Die Mitglieder der »Generation Deutschland« würden in ihren ersten Auftritten »weder eine Mäßigung noch eine Distanzierung oder gar Wandlung« zeigen, so Kramer

 02.12.2025

Tel Aviv-Jaffa

Shimon-Peres-Preis wird erstmals in Israel verliehen

60 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind der Anlass: Zum ersten Mal wird der Shimon-Peres-Preis für gemeinsame demokratische Vorhaben in Israel feierlich übergeben

von Alexander Riedel  01.12.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Ayala Goldmann  23.11.2025

TV-Tipp

Oliver Masucci brilliert in dem Mehrteiler »Herrhausen - Der Herr des Geldes«

Biografischer Mehrteiler über Bankier Alfred Herrhausen

von Jan Lehr  17.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025