Tor zum Talmud

Mischna für alle

von Detlef David Kauschke

In der jüdischen Tradition wird als eine der Tragödien, derer am 10. Tewet mit Gebeten und Fasten gedacht wird, die Übersetzung der Tora ins Griechische genannt. Dies habe, so die Überlieferung, einen irreparablen Schaden verursacht. Denn die Tora sei dem jüdischen Volk in der Heiligen Sprache (Laschon Hakodesch) gegeben worden. Und alle Auslegungen und Deutungen, die Übersetzungen mit sich bringen, würden den Inhalt verfälschen. Insofern ist das Studium der Heiligen Schrift eigentlich nur im Original – in Hebräisch und bei talmudischen Textpassagen auch Aramäisch – empfohlen. Soweit so gut. Doch wie sollen Interessierte außerhalb der jüdischen Lehrhäuser sich dem Talmud ohne die Kenntnis dieser alten Sprachen nähern? Der Duisburger Gemeinderabbiner Yaacov Zinvirt hat sich dieser Frage gestellt, und sie mit seinem soeben erschienenen Buch Tor zum Talmud beantwortet. »Ich bin durch mein Studium in den Jeschiwot mit den Quellen vertraut«, sagt er. »Und nun will ich eine Brü-cke bauen, indem ich in deutscher Sprache an diese Quellen heranführe.« Mit dem Buch soll sich der Talmud für den Leser öffnen, »der schnell und ohne Vorkenntnisse in die besondere Methodik und Dynamik des Talmudstudiums einsteigen möchte«, verspricht eine Verlagsinformation.
Nun gibt es ja schon einige Werke über den Talmud. Doch Bücher aus rabbinischer Feder, die in Deutschland erhältlich sind, wurden zumeist aus dem Hebräischen und dem Englischen übersetzt. Oder wenn sie in Deutsch verfasst wurden, sind es Arbeiten christlicher Autoren. Zinvirt ist ein in Deutschland tätiger jüdischer Gelehrter. Schon das macht seine Arbeit besonders. »Und viele Bücher, die auf dem Markt sind, wurden über den Talmud geschrieben«, betont er. »Das heißt, sie vermitteln Fakten und Daten über Herkunft, Autorenschaft und Ge-
schichte. Aber ich versuche, die Leser direkt mit dem Talmud vertraut zu machen.«
Auch Rabbiner Zinvirt erläutert in Tor zum Talmud erst einmal die Grundlagen: Mischna und Gemara, Ordnung und Traktakte, Babylonischer und Jerusalemer Talmud. Dann folgen praktische Hinweise über den Aufbau einer Talmudseite: Wo stehen die Texte, wo Raschis Kommentar, was hat es mit den Hinweiszeichen auf sich? Zudem gibt er dann aber Beispiele, wie der Talmud funktioniert. Es geht um das talmudische Verständnis. »Denn diese Dynamik funktioniert ganz anders als die heutige Denkweise. Die dort behandelten Themen sind nicht durch Gesetze und Paragrafen endgültig entschieden, sondern durch die Darstellung eines Falles und nachfolgender Diskussionen mit verschiedenen Meinungen behandelt.«
So führt Zinvirt unterschiedliche Fragen auf – zum Beispiel welches Gebet beim Be-
treten und Verlassen eines Lehrhauses zu sa-
gen ist oder was zu entscheiden ist, wenn je-
mand einen Krug oder ein Fass im öffentlichem Raum stehen lässt. Die talmudische Methodik wird mit zusätzlichen Texten und Grafiken verdeutlicht.
Zinvirt versteht das als Handreichung für Lehrer und Studenten, für interessierte Ju-
den und Nichtjuden. »Selbst für Anwälte könnte das von Interesse sein, die damit die Dynamik der Entstehung der jeweiligen Rechtsauffassungen kennenlernen können.« Und die Sprache? Im Buch hat er ein Glossar der wichtigsten Schlüsselwörter aufgenommen, mit Übersetzung und weiteren Erläuterungen. Bei dem im Talmud verwandten Hebräisch und Aramäisch handelt es sich zwar, wie er meint, um eine Art »Code«, der dennoch auch Ungelernten verständlich gemacht werden kann.
Zinvirt, Jahrgang 1962, ist Vater zweier Kinder, Religionslehrer und Rabbiner, ausgebildet unter anderem an der Jeschiwa Netzach Israel und Ateret in Jerusalem. In Deutschland war der orthodoxe Geistliche bereits an verschiedenen Schulen und als Dozent an der Universität Potsdam tätig. Seit anderthalb Jahren ist er Rabbiner in Duisburg, zuständig auch für Oberhausen und Mühlheim, in einer Gemeinde mit etwa 3.000 Mitgliedern.
Ein weiteres Buch – zu den Grundlagen der hebräischen Sprache – hat er bereits als Manuskript in der Schublade. Darin will er seine Methode vorstellen, mit der Interessierte schneller lesen und verstehen lernen können. »Auch das ist praktisch und pädagogisch. Mein Ziel ist es, jedem eine Chance zu geben, sich mit den Quellen und so mit seiner Tradition allein auseinandersetzen zu können.«

yaacov zinvirt: tor zum talmud
jüdisches lehrhaus – lebendiges judentum
Lit Verlag, Berlin, 2009, 180 S., 19,90 €

7. Oktober 2023

Baerbock betont Israels Recht auf Selbstverteidigung

»Wir stehen an Eurer Seite«, sagt die Außenministerin in Richtung Israel

 06.10.2024

Interreligiöser Dialog

»Jede Klasse ist da sehr verschieden«

Muslime und Juden gehen im Rahmen des Projekts »Meet2Respect« gemeinsam an Berliner Schulen

 05.10.2024

Terror

NRW erhöht Schutz jüdischer Einrichtungen

Der Innenminister reagiert auf den Großangriff des Iran auf Israel mit einem Erlass

 02.10.2024

»Clärchens Ballhaus«

Einmal schwoofen, bitte

Das legendäre »Clärchens Ballhaus« feiert sein 111. Jubiläum und bittet seine Gäste ab Sonntag wieder zum Tanz

 29.09.2024

Libanon

Beirut: Hisbollah-Chef Nasrallah getötet?

Unbestätigten Berichten zufolge galt der israelische Angriff auch dem Top-Terroristen Hassan Nasrallah

 27.09.2024

Frankfurt am Main

Konferenz über Judenhass mit Josef Schuster und Ahmad Mansour

Kurz vor dem Jahrestag der Hamas-Massaker vom 7. Oktober diskutieren Experten die Folgen für die Gesellschaft

 27.09.2024

Nahost

Israel greift Hisbollah an, Netanjahu verschiebt Reise zur UNO

Die Lage am Mittwochmorgen – und ein Ausblick auf den Tag

 25.09.2024

Auszeichnung

Philipp Peyman Engel mit Ricarda-Huch-Preis ausgezeichnet

Der Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen setze sich für das jüdische Leben in Deutschland ein, sagt Darmstadts Oberbürgermeister Hanno Benz (SPD)

 24.09.2024

Berlin/Potsdam

Zentralrat: Brandenburg-Wahl zeigt Polarisierung der Gesellschaft

Präsident Josef Schuster betont, die Stärke der politischen Ränder sei nicht gut für Deutschland

 22.09.2024