Grundschule

Mathe, Bio und Ivrit

von Heidi Hechtel

Ein lang gehegter Wunsch geht für die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) in Erfüllung: Die Errichtung einer jüdischen Ganztagesgrundschule in Stuttgart, die ihren Betrieb zum Schuljahr 2008/09 aufnehmen und im September eröffnet werden soll. »Es ist eine Wiedereröffnung«, betonen Martin Widerker und Arno Fern vom IRGW-Vorstand. Man knüpfe nur an eine Tradition an, die durch das NS-Regime gewaltsam unterbrochen wurde. Möglich ist das sogar am angestammten Platz, denn das Haus neben Synagoge und Gemeinde, im Besitz der IRGW, war bis zur Schoa bereits Sitz einer jüdischen Schule. Jetzt sind hier die Umbauarbeiten in vollem Gange. Dankbar hebt der Vorstand die Unterstützung und Förderung von Ministerpräsident Günther Oettinger, Kultusminister Helmut Rau und den Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen hervor: Für Baukosten und Anschubfinanzie-
rung der laufenden Kosten hat das Land nach Auskunft aus dem Staatsministerium eine halbe Million Euro zugesagt. Für die Genehmigung und staatliche Anerkennung durch das Regierungspräsidium fehlen nach dortiger Auskunft »noch ein paar Unterlagen«, aber man sei zuversichtlich, dass man »rasch und positiv« entscheiden könne. »Die Schule stellt einen Meilenstein in der Entwicklung jüdischen Lebens in Württemberg dar«, sagt Landesrabbiner Netanel Wurmser, der diese Bildungsstätte bereits bei seinem Amtsantritt vor sechs Jahren als wichtigstes Ziel genannt hatte und nun die Schule auch leiten wird. Um genügend Anmeldungen und den nötigen Nachwuchs für den Aufbau bis zur vierten Klasse mache man sich keine Sorgen. Denn die Gemeinde ist durch die Zuwanderung jüdischer Migranten aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion seit Anfang der neunziger Jahre auf 3200 Mitglieder angewachsen. 100 Kinder nähmen bereits am Religionsunterricht in der Gemeinde teil, Jungen und Mädchen würden betreut »und viele liegen noch im Kinderwagen«, stellt Wurmser zuversichtlich fest.
Bei einer Informationsveranstaltung für Eltern am vergangenen Sonntag bekundeten an die 30 Väter und Mütter großes Interesse. Von den endgültigen Anmeldungen bis Anfang August hänge es ab, ob mit der ersten und zweiten Klasse gestartet werden könne oder ob man flexibel mit klasssenübergreifenden Gruppen auf die Wünsche und Bedürfnisse der Eltern eingehe. Die architektonische Planung der Schule beeindruckt durch Großzügigkeit: Um einen Innen- und Pausenhof gruppieren sich vier Klassenzimmer, Fachräume und die nötigen Nebenräume. Hier soll, wie der Vorstand in einem Prospekt wirbt, »auf kindgerechte Weise ein frohes Judentum vermittelt werden«. Denn der Schule liegt nach Wurmsers Worten »ein besonderes pädagogisches und didaktisches Konzept zugrunde, das den religiösen, kulturellen und migrationsbedingten Ansprüchen gerecht wird«. Leitprinzipien seien Unterricht auf hohem Niveau in kleinen Klassen mit maximal 15 Schülern, jüdische Erziehung, die individuelle Förderung der Kinder und aktive Eltern, die zur Zusammenarbeit mit den Lehrern aufgerufen sind.
Grundlage ist der Lehrplan der öffentlichen Grundschulen, neben der Aufnahme von Kindern aller Religionszugehörigkeiten eine der Bedingungen für die staatliche Anerkennung. Die üblichen Pflichtfächer wie Deutsch, Mathematik, Englisch und Sport werden jedoch ergänzt durch ein »spezifisches Curriculum, das auf den Säulen der jüdischen Welt, der Tora, Awoda (Arbeit) und Gmilut Chassidim (Wohltätigkeit) aufbaut«, so Wurmser. Das bedeutet, dass jüdischer Religionsunterricht in Verbindung mit Ivrit einen breiten Raum in der Stundentafel einnimmt, denn die Kinder sollen nicht nur nach vier Jahren die hebräische Sprache beherrschen, sondern »in ihrer jüdischen Identität gestärkt und damit befähigt werden, das Leben in der Diaspora zu meistern«. Für andersgläubige Kinder, sollten welche hier eingeschult werden, ist kein eigener Religionsunterricht vorgesehen. Der Ganztagesbetrieb von 8.30 bis 16.45 Uhr ermöglicht sowohl Hausaufgabenbetreuung wie auch genügend Zeit für Arbeitsgemeinschaften. Große Bedeutung soll den elektronischen Medien im Unterricht zukommen. »Unsere Schüler werden mit dem Notebook in der einen und der Tora in der anderen Hand aufwachsen«, bringt Wurmser die Bandbreite auf den Punkt. Derzeit sei man dabei, neben den bereits bewährten Religionslehrern weitere Fachpädagogen einzustellen.
Jüdische Grundschulen existieren bereits in Berlin, Hamburg, Köln, Düsseldorf, Frankfurt/Main und München, dort sogar schon seit 40 Jahren und jetzt im neuen Gemeindezentrum so schön untergebracht, »dass man davon nur träumen kann«, wie Wurmser bekennt. Man habe etwas informativ bei den Kollegen geschnuppert, doch jede Schule müsse sich erst einmal nach den Lehrplänen des jeweiligen Landes richten. »Aber einig ist uns allen der Wunsch und die Absicht, den Kindern die beste Ausbildung zu vermitteln.«
Wie jede staatlich anerkannte Schule in privater Trägerschaft erhält auch die jüdische Grundschule Fördermittel. Dennoch müssen die Eltern Schulgeld zahlen: Pro Schüler 100 Euro im Monat, dazu kommt ein Essensgeld von 50 Euro. Für Familien, die von der Sozialhilfe leben, sind ermäßigte Tarife vorgesehen. Kostenlos ist ein Angebot, das vor allem berufstätige Elternpaare gern annehmen werden und das die Attraktivität der Schule noch erhöht: Die Betreuung im Hort, der den Kindern schon von 7.30 Uhr bis zum Beginn des Unterrichts und am Nachmittag wieder bis 17.30 Uhr offen steht. »Unbezahlbar« im ideellen Sinne nennt Wurmser diese Schule, die ein Zeichen der wieder erstarkten Vitalität und Zukunftsfähigkeit der Gemeinde sei und Impulse für das jüdische Leben geben werde. Dass manche Eltern noch skeptisch fragen, »was wird das werden«, erschüttert seine Zuversicht nicht: »Wir arbeiten zuverläs-
sig und seriös, um den Kindern die besten Perspektiven für ihr Leben zu geben«. Das ermutigt ihn sogar, weitere Wünsche nicht für unerfüllbar zu halten: Ein eigenes Gymnasium. Und vielleicht irgendwann auch ein Internat. »Aber erst einmal müssen wir solide kleine Brötchen backen«, dämpft er zu große Erwartungen: Er habe zwar Visionen, aber keine Illusionen.

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025

Bayern

Charlotte Knobloch kritisiert Preisverleihung an Imam

Die Thomas-Dehler-Stiftung will den Imam Benjamin Idriz auszeichnen. Dagegen regt sich nicht nur Widerstand aus der FDP. Auch die 93-jährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens schaltet sich nun ein

von Michael Thaidigsmann  29.10.2025

Jerusalem

Karin Prien in Yad Vashem: »Jedes Mal für mich erschütternd«

Bei ihrer Israel-Reise erinnert die Bildungsministerin an die Millionen Opfer des Holocaust. Der Moment berührt die CDU-Politikerin auch aus einem persönlichen Grund

von Julia Kilian  28.10.2025

Bildungsministerin

Karin Prien reist nach Israel

Die CDU-Ministerin mit jüdischen Wurzeln will an diesem Sonntag nach Israel aufbrechen. Geplant sind Treffen mit dem israelischen Bildungs- und Außenminister

 26.10.2025

München

Paul Lendvai: »Freiheit ist ein Luxusgut«

Mit 96 Jahren blickt der Holocaust-Überlebende auf ein Jahrhundert zwischen Gewalt und Hoffnung zurück. Besorgt zeigt er sich über die Bequemlichkeit der Gegenwart - denn der Kampf »gegen das Böse und Dumme« höre niemals auf

 21.10.2025