Selbsttötung

Leben ist heilig

von Detlef David Kauschke

Nach der Suizidbegleitung einer 79-jährigen Würzburgerin durch den ehemaligen Hamburger Justizsenator Roger Kusch reißt die Diskussion um das Thema Sterbehilfe in Deutsch-land nicht ab. Selbst in der Schweiz, einem der wenigen Länder, in denen die nichtkommerzielle Sterbehilfe legal ist, will man nach zunehmender Kritik die bisherige Gesetzeslage überdenken. Nach offiziellen Angaben nahmen sich im vergangenen Jahr in der Schweiz rund 400 Personen mit Hilfe von Organisationen wie Dignitas und Exit das Leben.
Marcel Yair Ebel, Rabbiner der Israeliti-
schen Cultusgemeinde Zürich, ist erklärter Gegner der liberalen Linie, in deren Rahmen diese Vereine ihre umstrittenen Dienste anbieten können. »Das Leben ist heilig, es muss auf jeden Fall geschützt werden.« Er selbst habe sich vor einigen Jahren mit dem Fall eines Sohnes beschäftigt, der von seiner Mutter gebeten wurde, einen Vertrag mit der Sterbehilfeorga-
nisation Exit mit zu unterschreiben. Die Frau war schwer krank, man hatte ihr be-
reits ein Bein abgenommen, sie war an den Rollstuhl gefesselt. »Ich habe ihm meine Position erklärt, er hat nicht unterschrieben. Danach hat die Frau noch fünf Jahre gelebt und selbst die Geburt von zwei Enkeln miterleben können. So hat sie noch ein gutes Leben gehabt.« Er halte es für falsch, sagt der Rabbiner, über Menschen, die Selbstmord begangen haben, im Nachhinein zu richten. »Wenn man allerdings von Suizidplänen erfährt, sollte man die Betroffenen davon überzeugen, dass sie diesen Weg nicht gehen sollten. Wenn es sich um schwer Kranke handelt, sollte man versuchen, ihnen mit palliativmedizinischen Maßnahmen die Schmerzen zu nehmen. Jede Hilfe, die ihnen das Leben, wenn auch nur in begrenztem Maße, lebenswert macht, sollte man ihnen geben. Doch der Gedanke an Selbstmord ist ein unjüdischer Gedanke«, sagt er. Marcel Yari Ebel steht in der rabbinischen Tradition, der zufolge es gegen die Tora ist, seinem Leben selbst ein Ende zu bereiten. Nicht der Mensch, sondern Gott allein, könne Leben geben und es auch nehmen. Auch jeglicher Eingriff in den Sterbeprozess, der am Ende das Leben – wenn auch nur um Minuten – verkürzt, ist danach verboten.
Sterbehilfe stehe im eindeutigen Wider-
spruch zum Gebot, Leben zu retten und zu erhalten. »Wer Blut eines Menschen vergießt, durch Menschen soll sein Blut vergossen werden, denn im Bilde Gottes hat er den Menschen gemacht«, heißt es in der Tora (1. Buch Moses 9,6). Und der Talmud (Sanhedrin 37a) verweist darauf, dass wenn »jemand eine israelische Seele vernichtet, es ihm die Schrift anrechnet, als hätte er eine ganze Welt vernichtet«. An einer anderen Stelle (Schabbat 151b) ist im Talmud zu lesen: »Wer einem Ster-
benden die Augen zudrückt, ist ein Blut-
vergießer.« Maimonides (Mosche ben Maimon, 1138-1204) erläutert, dass ein Sterbender in jeder Hinsicht noch als lebendiger Mensch zu betrachten sei. Zudem bestehe kein Unterschied zwischen dem, der einen gesunden Menschen oder einen Kranken oder Sterbenden tötet.
Einer der berühmten talmudischen Weisen, die als Märtyrer von den Römern getötet wurden, ist Chananya ben Teradyon. Der Überlieferung zufolge soll er bei lebendigem Leib verbrannt worden sein. Als ihn seine Schüler aufforderten, er solle seinen Mund öffnen, sodass die Flam-
men eindringen und er damit seinen Tod beschleunigen könne, soll er gesagt haben: »Lass es Ihn, der mir das Leben gegeben hat, auch nehmen.«
In seinem Buch Jewish Bioethics schreibt der New Yorker Medizinprofessor Fred Rosner: »Der Wert des Lebens ist un-
ermesslich, sodass jeder Teil – auch wenn es nur eine Stunde oder eine Sekunde ist – gleich wertvoll ist wie 70 Jahre davon.« So stelle das Töten eines todkranken Patien-
ten ein kriminelles Vergehen dar, ebenso wie das Töten einer jungen Person, die noch viele Jahrzehnte zu leben hätte.
Doch gibt es in der rabbinischen Tradition auch eine andere Auffassung, die bei der Diskussion einer biblischen Erzählung deutlich wird. Es geht um versuchten Selbstmord und vollendete Sterbehilfe vor über 3.000 Jahren, als König Schaul auf der Flucht vor den Plischtim ist: »Da sprach Schaul zu seinem Waffenträger: Zücke dein Schwert und durchbohre mich damit, dass nicht kommen diese Unbeschnittenen und mich durchbohren und mich misshandeln.« Doch der Mann wollte dem Befehl seines Herren nicht folgen. »Da nahm Schaul das Schwert und stürzte sich darauf« (1. Schmuel 31,4). Der Waffenträger schied danach übrigens ebenfalls aus dem Leben – durch Selbstmord. Im 2. Teil des Buches (1,2-16) wird von einem »Sohn eines amalekischen Fremdlings« berichtet, der König David erzählt, er habe Schaul noch lebend, auf »seine Lanze gestemmt«, angetroffen. Daraufhin habe der ihn aufgefordert: »Stelle dich doch auf mich und töte mich.« Dies habe er getan.
In der Auslegung heißt es, dass Schaul sich selbst töten wollte, um nicht gezwungen zu werden, Götzen anzubeten. Rabbi David Kimchi (Radak, 1160-1235) kommentiert: Schaul habe keine Sünde begangen, als er sich selbst tötete, denn er wuss-te, dass er ohnehin auf dem Schlachtfeld sterben müsste. Und Nachmanides (Mo-
sche ben Nachman, 1194-1270) erläutert, dass Schauls Selbsttötung berechtigt war, da er Folter befürchten musste. Späteren Kommentaren (Besamim Rosh) ist zu entnehmen, dass es jemandem, dessen Tod unmittelbar bevorsteht und der unerträgliche Schmerzen erleidet oder diese be-
fürchtet, erlaubt ist, sich selbst das Leben zu nehmen.
Marcel Yair Ebel kennt diese halachische Debatte, die sich seiner Meinung nach jedoch auf eine Ausnahmesituation im Krieg beziehe. »Ich glaube nicht, dass man aus ihr eine Regel ableiten darf.«
Ist Sterbehilfe also Mord? »Ob gewollt oder ungewollt, ist das zumindest Beihilfe zu etwas, was nicht erlaubt ist«, meint der Züricher Gemeinderabbiner. Ebel verweist darauf, dass »Selbstmord begehen« in Hebräisch mit »Lehitabed« übersetzt wird. Das bedeutet: sich zu verlieren. »Ein Mensch hat sich selbst verloren. Er hat irgendwo den Bezug zur Realität verloren. Es ist unsere Aufgabe, diesem Menschen zu helfen, sich wieder zu finden, und nicht, ihm den Weg nach draußen zu zeigen.«

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