Radioproduktion

Leben im Lager

Für die meisten Menschen ist der Zweite Weltkrieg mit der Kapitulation Deutschlands, spätestens mit den Nürnberger Prozessen ein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte. Während das jahrelange Lager- schicksal der deutschen Kriegsgefangenen noch im kollektiven Bewußtsein verankert ist, weiß kaum jemand etwas über die Camps für »displaced persons«, meist entwurzelte jüdische Flüchtlinge aus allen Ecken Europas. Die Künstlerin Michaela Melián hat sich mit dem Lager Föhrenwald intensiv auseinandergesetzt und erhält für ihre Radioproduktion am 30. Mai den renommierten Hörspielpreis der Kriegsblinden/Preis für Radiokunst. Gebaut Ende der 30er Jahre als Mustersiedlung und genutzt als Lager für Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie mit Platz für 4.500 Menschen, diente der Ort aus 302 Wohneinheiten in Form von Reihen- und Doppel- häusern nach Kriegsende mehr als zehn Jahre lang als exterritoriale Siedlung für DPs. Nach Auflösung des selbstverwalteten Lagers wurden schließlich ab 1956 kinderreiche, deutsche heimatvertriebene Familien dort angesiedelt.
Das dokumentarisch angelegte Hörspiel beruht zum großen Teil auf den Erinnerungen von Zeitzeugen. »Allerdings sind es nur Leute, die das Lager als Kinder und Heranwachsende erlebt haben«, erzählt Michaela Melián von der schwierigen Suche nach noch lebenden Föhrenwald-Bewohnern. Um auch den damals schon erwachsenen Zeitzeugen eine Stimme zu geben, griff sie für ihr Hörspiel auch auf ältere Interviews und Aufzeichnungen zurück. Alle Erlebnisberichte werden nicht von den Zeitzeugen selbst, sondern von Schauspielern gesprochen. Dadurch werden sie auf eine andere Ebene gehoben. »Ich wollte einen zeitlosen Raum für die Stimmen schaffen«, sagt Melián. Vom Persönlichen gelöst, bannen die Berichte den Hörer durch ihre konzentrierte Ruhe und sparsam gewählten Mittel wie leiser Musik im Hintergrund. Etwa, wenn ein Zeitzeuge von Hella erzählt, einer kleinen tatkräftigen Frau, die auf der New-Jersey-Straße eine kleine Garküche unterhielt. Da die Versorgung durch Militärregierung, deutsche Behörden und jüdische Hilfsorganisationen vor allem in der Anfangsphase ab dem Herbst 1945 mehr schlecht als recht war, versuchten viele Bewohner, sich etwas dazuzuverdienen. Krämerläden gab es, Bäckereien und fliegende Bagel-Verkäufer. »Das Ganze erinnerte an ein osteuropäisches jüdisches Schtetl«, erinnert sich einer der DPs. »Alle lebten auf gepackten Koffern und wollten nach Palästina oder Amerika auswandern.«
Doch der provisorische Aufenthalt wurde zum Dauerzustand, mit dem man sich arrangierte und Familien gründete. »Man hatte den Eindruck, daß jede Frau schwanger war«, erinnert sich eine Zeitzeugin. Tatsächlich bestand das Lager mit seinen 5.300 Bewohnern im Januar 1946 zu einem Drittel aus Kindern. Die höchste Geburtenrate aller jüdischen Gemeinden weltweit soll es hier gegeben haben.
Die Bewohner im benachbarten Städtchen Wolfratshausen, wo Michaela Melián lebt, wußten und wissen nicht viel vom Lager Föhrenwald. Irgendwie klebt an der Siedlung ein schlechtes Image. Zwangsarbeiter, DPs, Vertriebene – Föhrenwald war osteuropäisch geprägt, mehr oder minder verschlossen und fremd. Holger Elfes

heike ander, michaela melián (hg.): föhrenwald
Buch und CD. Revolver Verlag, 282 S., 24 €

Medien

Zwischen dem demokratischen Staat Israel und der Terrororganisation Hamas darf es keine Äquidistanz geben

Ein Essay von Philipp Peyman Engel

von Philipp Peyman Engel  23.07.2024

Ramallah/Tel Aviv

Hamas-Terroristen bei Drohnenangriff in Tulkarem getötet

Im Westjordanland heizt sich die Lage weiter auf

 23.07.2024

Washington D.C./Tel Aviv/Gaza

Netanjahu in den USA: Geisel-Angehörige hoffen auf Abkommen

Die Lage am Dienstagmorgen – und ein Ausblick auf den Tag

 23.07.2024

Nordhausen

Paus besucht KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Paus: Die Gedenkstätte zeige, wohin Ausgrenzung, Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus führen können

 22.07.2024

Cottbus

Förderung für Schulprojekt zu NS-Geschichte

Höhepunkt des Projekts ist eine einwöchige Studienfahrt nach Theresienstadt und Prag

 22.07.2024

20. Juli 1944

Gedenken an gescheitertes Hitler-Attentat

Bundeskanzler Olaf Scholz wird bei der Veranstaltung sprechen

 19.07.2024

Angela Merkel

Sie gewann die Herzen der Israelis

Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel wird am Mittwoch 70. Eine Würdigung von Shimon Stein

von Shimon Stein  17.07.2024 Aktualisiert

Pro & Contra

Zurück zur Wehrpflicht?

Zwei Meinungen zur Debatte

von Boris Schulman, Rainer L. Hoffmann  17.07.2024

Nahost

Bundesregierung wirbt für Waffenstillstand im Gazastreifen

Im Auswärtigen Amt ermahnte ein Sprecher abermals Israel

 15.07.2024