kiddusch

Koschere Garnelen?

Ich habe große Gemeinden gesehen, in denen der Rabbiner einen eigenen Tisch mit »seinen Leuten« hatte. Mein ortskundiger Bekannter erzählte mir, böse Zungen behaupteten, an diesem Tisch gäbe es das koschere Essen. In der Folge blieb der Tisch auch vollkommen unbehelligt vom Gemeindevolk. Einige Getreue saßen dort und redeten ruhig und angeregt. Der Kontakt zu den Gemeindemitgliedern blieb leider völlig auf der Strecke.
Das sind eindeutig die Nachteile einer großen Gemeinde mit vielen Besuchern zum Morgengebet am Schabbat. Der Kiddusch gleicht einer Großveranstaltung, und den Rabbiner bekommt man ohnehin nicht zu Gesicht und auch nicht zu Gehör.
Die Vorteil kleiner Gemeinden mit wenigen Betern und Teilnehmern des Kidduschs liegen klar auf der Hand: Jeder Platz ist ein Platz am Tisch des Rabbiners, jeder Beter hat die Möglichkeit, ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Aber auch daran gibt es natürlich etwas auszusetzen: Jeder andere Anwesende hört mit. Auch wer gerade ins Gespräch vertieft zu sein scheint, hat dennoch einen Kanal offen für die Privatgespräche ein paar Plätze weiter. So habe auch ich stets einen offenen Kanal für allerhand Gespräche, die um mich herum stattfinden. Am interessantesten sind die Fragen, die an den Rabbiner gerichtet werden. Das ist lehrreich, und man kann etwas mitnehmen, um den eigenen Horizont zu erweitern.
»Sagen Sie mal, wir essen hier Lachs. Der schmeckt gut. Ist Fisch und koscher.« Das war eigentlich mehr eine Feststellung eines älteren Herrn denn eine Frage. Der Rabbiner nickt freundlich und spricht weise: »Ja.« Der ältere Herr setzt nach: »Ah ja. Forelle ist doch auch koscher?« »Ja.« »Makrele?« »Ja.«, »Rotbarsch?« »Ja.« »Sardellen?« »Ja.«, »Sardine?« »Ja.«, »Schellfisch?« Ich bemerke, da hat jemand Ahnung von Fischen. Aber es geht weiter: »Scholle?« »Ja.« »Und Petersfisch?« »Ja.« »Aal?« »Ja. Äh. Nein natürlich nicht!« »Warum nicht?« »Fische müssen Flossen und Schuppen haben, dann sind sie koscher. Das sind Merkmale, die man sich leicht merken kann.« Der Mann nickt mehrmals und hält dann inne, um sich zu konzentrieren. Ich nutze die Pause, um mich einzumischen und mein unnützes Wissen abzusondern: »Genau wie beim Pangasius. Der hat keine Schuppen.« Der Fischexperte sieht mich verständnislos an. Hat wohl noch nichts vom Modefisch schlechthin gehört. Der Rabbiner wiederum möchte weitere Missverständnisse ausräumen und vollendet seine Definition: »Tiere, die üblicherweise als Meeresfrüchte bezeichnet werden, sind ebenfalls nicht koscher.« Der Mann nickt wieder nachdenklich, und bevor ich meine Bemerkung wiederholen kann, fragt er: »Garnelen, wie sieht es denn mit Garnelen aus? Die interessieren mich auch.« »Nein, Garnelen sind natürlich nicht koscher.« Der Fischexperte meldet Zweifel an: »Sind Sie sicher?« »Ja.« »Das ist aber gar nicht gut.«
Ich versuche, die Situation mit einem alten Witz zu retten: »Wenn es gut schmeckt, ist es mit Sicherheit nicht koscher.« Das hielt ich irgendwie für entspannt selbstironisch, aber der Mann nickt zustimmend und sagt: »Ja. Genau. Garnelen schmecken mir sehr gut, und ich habe zu Hause noch den ganzen Kühlschrank voll damit. Das kann doch gar nicht sein, dass sie nicht koscher sind. Gut, dann esse ich die aus dem Kühlschrank noch auf, und dann kaufe ich als Ersatz Nordseekrabben. Die schmecken nicht ganz so gut.« Vielleicht hätte der Rabbiner doch lieber einen eigenen Tisch gehabt. Chajm Guski (Foto: imago)

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