bildgeschichte

Klesmer – der Comic

Im Russland der vorigen Jahrhundertwende treffen sie aufeinander: der abgehalfterte Militärmusiker Noe Davidowitsch alias »Baron von Arsch«, dessen Mitspieler von eifersüchtigen Musikerrivalen erschlagen wurden; die schöne, junge, erotisch unbefangene Chana, die aus ihrem Schtetl abgehauen ist, um einer arrangierten Ehe zu entgehen; Jaakov, ein vom Glauben abgefallener Jeschiwebocher mit Hang zur Kleptomanie; der neurotische, schlafwandelnde Vincenzo; Tschokola, der Zigeuner, ein Aufschneider im doppelten Sinne – er erzählt gerne Lügengeschichten und ist schnell mit dem Messer zur Hand. Alle haben sie weder Geld noch ein Zuhause, nur ihre Instrumente. Und so tun die fünf sich zusammen und machen jüdische Musik.
Klezmer heißt die Graphic Novel von Joann Sfar, deren zweiter Band gerade auf Deutsch erschienen ist. Klesmer ist für den 38 Jahre alten Franzosen mehr als bloß Musik. Er ist eine Metapher für die von den Nazis ausgerottete Kultur des osteuropäischen Judentums mit seinen Schtetln, Luftmenschen, Wunderrebben und trotz Elend und Pogromen auf Gott vertrauenden Juden. Sfar malt in Aquarell die Welt seiner aschkenasischen Mutter, nachdem er das Erbe seines sephardischen Vaters in den preisgekrönten Graphic Novels um die talmudisch beschlagene Katze des Rabbiners gewürdigt hat.
Der Leser erlebt mit dem Quintett – Chava singt, Noe spielt Klarinette, Jaakov Banjo, Vincenzo ist der Geiger und Tschokola der Gitarrist – Abenteuer auf dem flachen Land und im großen Odessa. Die Musiker begegnen Rebben und pogromwütigen Kosaken, armen Landjuden und assimilierten Städtern, die Hummer essen – »für Reiche ist das koscher«. Es geht um Glauben und Skepsis, Verfolgung und Widerstand, Schtetl und Alija, Großeltern und Babys, um Liebe, Erotik und kleine Gaunereien. Und weil dies, wie immer bei Joann Sfar, ein Märchen für Erwachsene ist, geht es gelegentlich auch mystisch zu. Da erscheint der Todesengel, der aber zum Glück seinen Job etwas schleifen lässt. Auch sprechende Tiere kommen wieder vor, in diesem Fall ein böser Wolf, der eigentlich lieber gemocht werden würde. Sfar schafft eine Wunderwelt, die an die Schtetlbilder von Chagall erinnert. Klezmer quillt über von einer Fabulierlust, die sich mit den ersten beiden Bänden noch längst nicht erschöpft hat. Eine dritte Folge mit dem Titel Alles Diebe! ist bereits in Arbeit. Michael Wuliger

Berlin

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