Liechtenstein

Klein am Rhein

von Peter Bollag

Es war im vergangenen Herbst. Liechtensteins Fürst Hans-Adam II. stritt mit der deutschen Regierung über Steuersünder und sagte, sein Land habe »schon drei Deutsche Reiche überlebt«, man werde »auch noch ein viertes überleben«. Oh, da horchte im Zwergstaat eine sehr kleine Gruppe auf, von der nur selten jemand spricht: die 20 bis 25 Juden im Fürstentum. Zu Wort meldeten sie sich in jenen stürmischen Tagen nicht. Das mag an ihrer Loyalität zum Fürstenhaus liegen, vielleicht aber auch daran, dass die jüdischen Liechtensteiner eine sehr lose Gemeinschaft sind, die sich auch sonst nicht öffentlich zur Tagespolitik äußert.
In Liechtenstein gab und gibt es bis heute keine jüdische Gemeinde, keine Synagoge und auch keinen jüdischen Friedhof. Die einzige entsprechende Körperschaft ist der »Verein Liechtensteiner Freunde der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem«. Der Freundeskreis wurde 2001 gegründet, als im Gefolge der Geschichtsaufarbeitung in der Schweiz auch im kleinen Nachbarland der – freilich nicht ganz freiwillige – Wunsch aufkam, die eigene Vergangenheit ein wenig genauer zu beleuchten. Die Historikerkommission, die damals Liechtensteins Geschichte unter die Lupe nahm, soll dabei geholfen haben, jenen Freundeskreis zu gründen.
Das erzählt die Künstlerin Evelyne Bermann, eine gebürtige Liechtensteinerin. Man sei damals im Fürstenhaus, vor allem bei Prinz Wolfgang, und dem früheren Ministerpräsidenten Markus Büchel auf offene Ohren gestoßen, so die 58-Jährige. »Wir fragten ganz einfach gezielt nach: Wer zieht mit?« Inzwischen ist der Verein fest etabliert und organisiert nicht nur jedes Jahr zum Gedenktag der Auschwitz-Befreiung am 27. Januar eine Feier, sondern hat inzwischen auch schon Lehrer zu Seminaren nach Yad Vashem geschickt. Denn auch in Liechtensteins Schulen sind die Problemkreise »Juden, Jüdische Religion, Naher Osten« ein regelmäßiges Thema.
Über den Verein hinaus habe man unter den Juden im Land einen eher losen Kontakt, so Bermann, die nach eigenen Worten den Titel einer Präsidentin der » Jüdischen Gemeindschaft Liechtenstein« weder gesucht hat noch haben möchte. Und es gibt diesen Titel auch gar nicht. Dennoch erhalte sie regelmäßig Post, die so adressiert ist, sagt sie lachend.
Doch gibt sie zu, es sei ein besonderer Moment, wenn sie alljährlich mit dem Fürstenhaus verhandle, um die Veranstaltung am 27. Januar vorzubereiten. »Dann denke ich: Wenn mich meine Eltern jetzt sehen könnten!«
Bermanns Vater und Mutter leben nicht mehr. Sie stammten aus Süddeutschland und Holland. Beiden gelang die Flucht ins kleine Fürstentum. Eine Selbstverständlichkeit war das nicht, denn wie der große Nachbar Schweiz zeigte sich in jenen Jahren auch Liechtenstein gegenüber jüdischen Flüchtlingen nicht sehr offen: Ende 1938 lebten etwa 120 Juden unter den 10.000 Einwohnern des Landes, was die fürstliche Regierung als »zu viel« empfand und am 1. Dezember 1938 die sogenannten Juden-Ein- reisen verbot.
Die Historikerkommission schätzt in ihrem Bericht, dass zwischen 1933 und 1944 etwa 400 jüdische Flüchtlinge Zuflucht in Liechtenstein fanden. Die Zahl der Zurückgewiesenen ist nicht zu ermitteln. Die, die es geschafft hatten, konnten zwar aufatmen, hatten aber angesichts eines sehr aktiven nazistischen Kerns der vor allem deutschstämmigen Bevölkerung keinen leichten Stand: Denn in der Hoffnung auf den »Endsieg« verfügte auch das Fürstentum über einen »Gauleiter«, den Österreicher Helmuth Merlin. Bestraft wurde nach dem Krieg jedoch nur ein einziger Nazi – der Sekundarlehrer Alfons Goop, Führer der »Volksdeutschen Bewegung« und erwiesener Nazi-Spitzel.
Allerdings stellte die Historikerkommission in ihrem Bericht auch ganz klar fest: »Liechtenstein war kein bedeutender Finanzplatz, keine Devisendrehscheibe, kein Hort für NS-Raubgut, kein Verschiebeplatz für NS-Fluchtvermögen«.
Was die Situation im Nachkriegs-Liechtenstein betrifft, meint Evelyne Bermann aus heutiger Distanz, antisemitische Ausbrüche zwar kaum erlebt zu haben, »vorgekommen sind sie aber schon«. Heute sei das zum Glück eher selten. Das Häuflein jüdischer Liechtensteiner – etwa die Hälfte ist im Land geboren – werde von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Die Religionsgemeinschaft der Bahai verfügt beispielsweise über ebenso viele Mitglieder wie die jüdische Gemeinde. Und die Zahl der Muslime im Fürstentum übersteigt mittlerweile sogar die Zahl 1.300 und macht sie damit zur drittgrößten Religionsgemeinschaft des Landes.
Wenn sich die kleine jüdische Gemeinde trifft, so vor allem, um einen Feiertag zu begehen, etwa Pessach. Streng rituell gehe es dabei nicht zu, so Bermann. Dies hat auch soziale Gründe: So mancher ist mit einem nichtjüdischen Partner verheiratet.
Einige Juden Liechtensteins haben sich um das Jüdische Museum im benachbarten Hohenems in Österreich geschart. Andere, dazu gehört auch Bermann, sind Mitglieder der Jüdischen Gemeinde im schweizerischen St. Gallen, das kaum 35 Kilometer von Liechtenstein entfernt liegt. Dass es im Ländle in naher Zukunft doch irgendwann mal eine jüdische Gemeinde geben wird, glaubt Evelyne Bermann nicht. »Dazu fehlt uns schlicht die numerische Größe, die es für so ein Unternehmen braucht.«

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