Literaturspezial

Juden und Radfahrer

Avi Primor lächelt. Das Gesicht des früheren israelischen Botschafters in Deutschland ziert das Cover seines neuesten Buches. Von Missverständnissen und Vorur- teilen über Juden soll es handeln. Die intellektuelle Absurdität antisemitischer Anwürfe illustriert er, indem er mit einem berühmten Witz beginnt: Ein von Nazis ge- stellter Jude sagt: »Die Juden und die Radfahrer sind schuld.« »Warum die Radfahrer?«, lautet die Rückfrage, »Warum die Juden?« die kluge Erwiderung.
Zwölf Vorurteile, elf davon antisemitisch konnotiert, haben sich Primor und seine Koautorin, die Journalistin Christiane von Korff, vorgenommen: von der »Weltverschwörung« über die »Medienmacht« bis zum »Jesus-Mord« ist beinahe alles dabei. Seine Stärken hat das Buch immer dann, wenn die Verbreitung antisemitischer Behauptungen zurückverfolgt wird: Wie und wann kam etwa der Mythos von der Weltverschwörung auf? Darüber erfährt man hier einiges. Schwach wird es, wenn Korff und Primor Vorurteile widerlegen wollen. Etwa, wenn sie sich mit der – im Übrigen von ihnen gar nicht abgelehnten – Theorie der US-Politologen Walt und Mearsheimer einer mächtigen »Israel-Lobby« auseinandersetzen. Da kritisieren sie ein Detail zaghaft, um dann eine eigene Pauschalbehauptung über ein Kollektiv aufzustellen: »Tat- sächlich aber neigt ein erheblicher Teil der amerikanischen Bevölkerung dazu ...«
Zum Buchkonzept gehört, dass auf jedes Kapitel ein Interview folgt, das Korff mit Primor geführt hat. Auch hier finden sich unbelegte Pauschalurteile. Auf die Frage: »Leiden Juden heute unter einem öffentlich spürbaren Antisemitismus?«, lautet Primors Antwort: »Nein. Außer vielleicht in manchen islamischen Staaten wie dem Iran.« Dass es Antisemitismus gibt, beweist das Autorenduo materialreich. Dass aber Primor vorgibt, zu wissen, ob und wie stark jemand darunter leidet, schwächt manch starkes Argument, das dieses Buch auszeichnet. Hinzu kommt, dass Primor auch über Dinge spricht, die mit dem Thema des Buches gar nichts zu tun haben: Seine Ansichten, wie Israel mit der Hamas zu Frieden kommen kann, sind klug, streitbar und vielleicht sogar richtig. Sicher aber gehören sie nicht in die Abteilung »deutsch-jüdische Missverständnisse«, die doch das Thema des Buches darstellen.
Noch schwerer wiegt dieser Einwand: »Vorurteil 12«, das sich Korff/Primor vornehmen, nachdem sie gerade ausgiebig und verdienstvoll die »jüdisch-bolschewistische Weltrevolution« behandelt haben, ist dieses: »Der antisemitische Phönix steigt wieder aus der Asche.« Da teilen die Autoren unter Zuhilfenahme etlicher Studien mit, dass der Antisemitismus nicht ansteige, sondern zurückgehe. Dass die Darstellung und Auswertung der Studien nicht unbedingt überzeugt, wäre zu verschmerzen. Aber gehört die pessimistische Prognose, die sie so gern widerlegt hätten, wirklich in die Reihe der aufgezählten Vorurteile?
Dabei haben die Autoren wirklich viel Interessantes über antisemitische Klischees zusammengetragen. Besser wäre nur, sie hätten es dabei belassen. Wenn sie in einem Buch, das vom Antisemitismus handelt, unbedingt auch etwas über nicht-antisemitische Vorurteile mitteilen wollen: Warum nicht über die Radfahrer? Martin Krauß

Avi Primor, Christiane von Korff: An allem sind die Juden und die Radfahrer schuld. Deutsch-jüdische Missverständnisse. Piper, München 2010, 320 S., 19,95 €

Nahost

Hisbollah kündigt Vergeltung an

Zeitgleich explodieren im Libanon Hunderte Pager. Neun Menschen werden getötet

 17.09.2024

USA

Secret Service verhindert mutmaßliches Attentat auf Donald Trump

In der Nähe des Ex-Präsidenten fielen Schüsse. Die Polizei nahm einen Verdächtigen fest

 15.09.2024

Meinung

Wir Muslime dürfen nicht zum islamistischen Terror schweigen

Ein Kommentar von Eren Güvercin

von Eren Güvercin  15.09.2024

Islamismus

Syrer wegen Anschlagsplänen auf Bundeswehrsoldaten in U-Haft

Mit zwei Macheten möglichst viele Bundeswehrsoldaten während ihrer Mittagspause töten - das soll der Plan eines 27-Jährigen in Oberfranken gewesen sein. Doch vorher klicken die Handschellen

von Frederick Mersi  13.09.2024

Gazastreifen

Mehr als 550.000 Kinder haben erste Polio-Impfung bekommen

Die erste Runde der Impfkampagne scheint ein Erfolg gewesen zu sein

 12.09.2024

Bericht

Deutschland und die »Diskriminierungskrise«

Ihr Kollege Felix Klein fordert, die Diskriminierung von Israelis endlich ernsthaft zu bekämpfen

 11.09.2024

Münster

Oberverwaltungsgericht verhandelt über jüdisches Bethaus in Detmold

Hintergrund ist ein jahrelanger Streit um eine verfallende Synagoge aus dem 17. Jahrhundert

 11.09.2024

Berlin

Vorstellung des bundesweiten Berichts zu Diskriminierung

Neben Antidiskriminierungsbeauftragter Ataman auch Antisemitismusbeauftragter Klein anwesend

 10.09.2024

München

Ermittler hoffen auf weitere Erkenntnisse

Ermittler treffen sich am Tatort des Terroranschlags von München

 09.09.2024