Schönheitswahn

Hauptsache sexy

von Sabine Brandes

Sie dreht sich vor dem hohen Spiegel, schaut von vorn, von hinten. Zupft am Ausschnitt und an der Seitennaht. »Sieht das gut aus?«, fragt die Frau mit den frisch gefönten kastanienbraunen Haaren in den Raum. »Viel zu groß« lautet das Urteil der jungen Verkäuferin in der Boutique. »Du willst doch zeigen, was du hast.« Genau das will Tamar Levy. Das T-Shirt fliegt zurück ins Regal. Sofort wird ein anderes gebracht. Zwei Nummern kleiner, mit Strasssteinchen besetzt. »So muss das aussehen.« Die Verkäuferin nickt, als die Kundin aus der Kabine kommt. Das Oberteil spannt über der Brust. Frau Levy lächelt stolz.
Die 34-Jährige braucht eine neue Garderobe. Denn sie hat einen neuen Körper. Genauer gesagt zwei neue Teile. Vor drei Monaten hat sie sich ihre Brüste anheben und vergrößern lassen, von Körbchengröße B auf C. »Eine super Entscheidung. Nach drei Schwangerschaften war mein Busen schlaff und unansehnlich geworden. Und zu klein war er schon immer.« Es ist nicht die erste Operation, die sie über sich hat ergehen lassen. Den ihrer Meinung nach furchterregenden Schwangerschaftsstreifen am Bauch ist sie vor einem Jahr zu Leibe gerückt. In einer speziellen Prozedur sind sie aufgeschnitten und wieder zugeklebt worden. »Das waren unglaubliche Schmerzen«, erinnert sie sich. »Aber es hat sich gelohnt, ich kann wieder Bikini tragen.«
Israelische Frauen sind attraktiv. Volle Lippen, weibliche Figur, wallende Locken, brauner Teint oder helle Haut zu dunklen Augen. Der Gesellschaftsmix aus mehr als 120 Nationen bringt oft außergewöhnliche Schönheiten hervor, die sich an den Stränden des Landes tummeln. Doch zunehmend wollen die Frauen mehr, als nur natürlich schön sein. Sie jagen der Illusion der Perfektion hinterher, verlangen von sich selbst, ohne Makel sein.
Damit die Rundungen fest und knackig bleiben oder es werden, begeben sich immer mehr Frauen und auch Männer in die Hände von plastischen Chirurgen. Die Branche boomt. Mehr als 330 Millionen Schekel, umgerechnet etwa 60 Millionen Euro, bringt sie jedes Jahr ein. Jährliche Steigerungsrate: 15 Prozent und mehr. Die Organisation der plastischen Chirurgen in Israel gibt an, dass Brustvergrößerungen und Nasenkorrekturen ganz oben auf der Wunschliste stehen. Zum Teil lassen sich schon 17-Jährige Silikonkissen einsetzen. Nach den USA und Brasilien steht Israel an Platz drei der Länder mit den meisten Schönheitsoperationen pro Einwohner.
»Die Zahlen sind in den vergangenen Jahren explosionsartig gestiegen«, sagt Batya Maor von der »Proportzia Schönheitsklinik« in Tel Aviv, die weitere sieben Zweigstellen von Haifa bis Eilat unterhält. Neben dem Bedarf, schöner und ebenmäßiger auszusehen, sei dieser Anstieg durch die leichtere Zugänglichkeit zu dieser Art von OPs zu erklären. »Kliniken gibt es mittlerweile überall, und es ist sozial akzeptiert, sich den Busen oder die Augenlider machen zu lassen. Hinzu kommt, dass die Operationen wesentlich kostengünstiger geworden sind.« Der Durchschnittspreis für die Vergrößerung beider Brüste liegt bei 16.500 Schekeln, rund 3.000 Euro. Im vergangenen Jahr haben sich allein bei Proportzia mehr als 10.000 Kunden behandeln lassen.
Die Nachfrage ist so groß, dass die gesetzlichen Regeln für kosmetische Eingriffe geändert wurden. Jahrelang war es gängige Praxis, dass nahezu jeder Arzt diese Operationen bei Bedarf durchführen konnte. Nun aber ist es nur Spezialisten mit entsprechender Aus- und Fortbildung erlaubt, Eingriffe wie Gesichtslifting, Augenlidkorrektur oder Brustvergrößerung

vorzunehmen. Doch man muss nicht gleich unters Messer, um sich schöner zu fühlen. Auch die sogenannten Makomei Joffi, die Orte der Schönheit, haben Hochkonjunktur. Nagelstudios, Peelingzentren, Kosmetikerinnen, sündhaft teure Boutiquen, Friseure und modern eingerichtete Spas – sie alle arbeiten daran, die Israelis von Kopf bis Fuß neu zu modellieren. Der Jugendwahn ist ausgebrochen, und jeder will daran verdienen. »Hauptsache ist, dass es sexy aussieht«, verkündet eine Boutiqueverkäuferin mit bunten Blümchen auf den Fingernägeln lachend, während sie die Sommerware einräumt.
Auf einem großen Schild auf Tel Avivs Rothschild Boulevard steht ein Werbeschild: »Naturepil – Haarentfernung in allen Bereichen«. Schimon Maimon biegt schneidig um die Ecke und parkt sein Mountainbike direkt davor. Von Weitem sieht er aus, als hätte er gerade seinen 30. Geburtstag gefeiert. Knackiger Körper, T-Shirt und Levi’s-Jeans lassen kein Gramm Fett vermuten, dunkelbraunes Haar, Skorpion-Tattoo auf dem Oberarm. Auf Gesprächsentfernung aber sieht man deutlich, dass dieses Alter eher Wunsch als Realität ist. Doch Maimon tut alles dafür, es wahr werden zu lassen.
Täglich geht er ins Fitnessstudio, sein ergrautes Haar lässt er regelmäßig nachfärben, Finger- und Fußnägel werden wöchentlich gepflegt. »Hat man einmal angefangen, sich ausgiebig um seinen Körper zu kümmern, ist es schwer, wieder aufzuhören«, gibt Maimon zu. Es komme auch darauf an, wo man lebe. Er hat sich die Mittelmeermetropole ausgesucht. »Es ist eine schwierige Stadt. Der Strand, die Sonne, die schönen Menschen. Ständig sieht man Haut.« Wer mithalten wolle, müsse an seinem Äußeren arbeiten, ist der 43-Jährige sicher. »Permanent« fügt er hinzu. In Jerusalem sei das völlig anders. »Da geht man in einen Pub, um ein Bier zu trinken, mit Freunden zu reden, und es ist egal, wie man aussieht.« Heute hat Maimon einen Termin, um sich die Haare auf dem Rücken per Laser entfernen zu lassen. Mindestens zehn Sitzungen sind nötig. Die 500 Euro dafür sind bereits von seiner Kreditkarte abgebucht worden. »Das Weg- brutzeln tut weh«, gibt er zu, »aber es ist so unsexy, mit einem Garten auf dem Rücken an den Strand zu gehen.«

Während Dr. Alexej Padonenkow den Patienten mit betäubender Creme einschmiert, erzählt er, was er von dem überzogenen Schönheitskult in seinem Land hält. »Es hat viel damit zu tun, dass die Menschen sich verlieren. Der Fokus auf das rein Äußerliche deutet nicht selten auf eine große Leere im Innern hin.« Es sei ein Problem der Zeit, denn seit einigen Jahren entwickle sich die Gesellschaft weg von einer gemeinschaftlichen hin zu einer völlig individualistischen, in der nur die Stärksten und Schönsten es zu etwas bringen würden. »Leute, die nach äußerer Perfektion streben, meinen unbewusst, sie verdienten es nicht, geliebt zu werden. Nur, wenn sie schön seien, könnten andere tiefe Gefühle für sie empfinden.« Es sei traurig und krankhaft. »Aber das ist unsere Realität, und die ist kaum mehr zu stoppen. Die Menschen sind vernarrt in den Glauben, schön sein zu müssen.«
»Es stimmt«, sagt Levy, »ich gebe viel für mein Aussehen.« Für wen sie das tut? »Natürlich will ich für meinen Mann attraktiv und sexy sein, aber hauptsächlich ist es für mich.« Zudem treibe sie auch der gesellschaftliche Druck unters Messer. Die Mutter von drei Kindern wohnt in Cesarea, einer Nobelgegend, eine Stunde nördlich von Tel Aviv. »Hier bei uns sind alle Leute sehr gepflegt, wer will da schon negativ auffallen?« Die Schönheits-OPs sind nicht das Einzige, was sie über sich ergehen lässt und wofür sie tief in die Tasche greift. Schönheit kostet nicht nur eine Stange Geld, sie kostet auch Zeit. Botoxspritzen, Haarepilation, Mani- und Pediküre, dazu der Friseur, manchmal zweimal pro Woche. Ihr Terminkalender ist voll.
Solange der Fokus nicht gänzlich auf das Äußerliche beschränkt sei, findet die Psychologin Tal Gatt nichts Schlimmes daran, der Natur ein wenig nachzuhelfen. Wenn Frauen es tun, um sich selbst zu gefallen, und so lange es nicht übertrieben zelebriert wird,

sei nichts falsch daran. Das weibliche Geschlecht in Israel sei auf eine ganz besondere Weise feministisch, erklärt sie: »In der säkularen Gesellschaft herrscht eine relative Gleichberechtigung. Frauen haben früher genauso das Land aufgebaut wie die Männer und gehen heute nicht selten genauso hart arbeiten wie sie. Sie müssen nicht mehr beweisen, dass sie das Leben meistern. Dass sie jedoch ganz und gar Frau sind, mit allem, was dazu gehört, das ist die Emanzipation. Schön und begehrenswert sein: Dazu gehört auch, den Körper, insbesondere die Brüste, zur Schau zu stellen. Die sind schließlich Inbegriff der Weiblichkeit.«
Ein weiterer Grund für den Wunsch, mindestens genauso gut auszusehen wie alle anderen, komme durch den Gruppenzwang, sagt Psychologin Gatt. »Der ist ausgesprochen hoch, geprägt vor allem durch die Armee, in der sich Menschen aus allen Gesellschaftsgruppen zusammenfinden und miteinander auskommen müssen. Wer nicht gemocht wird, hat es schwer. Viele versuchen, durch ihr Aussehen Anerkennung zu finden

und nicht von vornherein Außenseiter zu sein.«
Wenn Tamar Levy in ihrem silberfarbenen Suzuki-Jeep zu ihrem Lieblingsfriseur in Ramat Hascharon fährt, freut sie sich: »Er verwöhnt mich richtig!« Mit den Streifen aus Silberpapier für die neuen Strähnchen sitzt sie auf dem Bürgersteig vor Jan Dochis Salon, blättert in der neuesten Ausgabe von »La Ischa« und nippt an einem Latte macchiato. Der Schönheit nachzuhelfen, findet nicht im Verborgenen statt, sondern im gleißenden Licht. Während Hollywoodstars gern und oft betonen, dass jedwede Operation aus medizinischen Gründen nötig gewesen sei, gehen Israelis lockerer damit um. Man ist stolz auf das, was man hat – oder was der Doktor daraus gemacht hat.
Ob sie sich schön findet? »Im Moment sehr«, sagt Levy und schaut auf ihr Dekolletee, das im neuen T-Shirt erst richtig zur Geltung kommt. Quer darüber steht in hellen Glitzersteinen geschrieben: »Be yourself.« Dabei entspricht Levy nicht unbedingt dem Schönheitsideal, das in Europa vorherrscht – dünn, dünner, am dünnsten. Diese Frau ist ganz Frau. Sie hat einen runden Po und üppige Hüften, die sie mit Stolz in hautenge Jeans zwängt. »Das gehört zu mir und wohl auch zum Nahen Osten.« Schlanke, aber kurvige Damen sind begehrt. Bei der Wahl der Frau stellt der jüdische Mann neben Attraktivität aber eine weitere Bedingung an die zukünftige Ehefrau und Mutter seiner Kinder: Gebärfreudig sollte sie sein. Junge Mädchen können dürr sein, Frauen nicht. »Natürlich wollen und sollen wir super aussehen und sexy sein«, sagt Levy. »Aber eben auch Kinder bekommen und gute Hühnersuppe kochen.«

Capri

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