Recycling

Grün ist die Hoffnung

von Sabine Brandes

Er steht mit vier überdimensionalen Plastiktüten am Informationsschalter. »Wie viele?«, fragt die Dame hinter der Theke knapp. Lior Zeborower hat schon gezählt. 42 Bier- und Weinflaschen, dazu jede Menge kleine Plastikflaschen. 18 Schekel Pfandgeld bekommt er in die Hand ge-
drückt. Das sind gerade einmal 3,21 Euro.
25 Agorot, etwas wenig mehr als 4 Cent, gibt es pro zurückgegebenem Getränkebehälter. Dafür lohne sich der Aufwand – sammeln, lagern, wegbringen – kaum, be
klagt der 36-Jährige aus Tel Aviv, der in der grünen Partei aktiv ist. Tatsächlich ist das Wiederverwertungssystem in Israel alles andere als ausgereift. Mit Pfand belegt sind lediglich Bier- und Weinflaschen aus Glas, zudem Plastikbehältnisse bis zu 0,75 Liter. Die gängigen 1,5-Liter-Flaschen sind ausgeschlossen und landen – bestenfalls – im Sammelkäfig an der Straßenecke. Automaten gibt es nur in den wenigsten Supermärkten, nicht selten sind die Angestellten überfordert und schicken ihre Kunden samt leerer Flaschen wieder nach Hause.
Dass es auch anders geht, machen jetzt Grundschulkinder in Haifa und Umgebung vor. Im Rahmen der Woche der »Liebe zur Natur« zeigen sie ihren Eltern, dass man Flaschen und Papier nicht in den Hausmüll, sondern ausschließlich in die dafür vorgesehenen Recycle-Container wirft. Getränkebehälter machen zehn Prozent des gesamten Müllvolumens aus. Immerhin: Seit Israel 2001 das Rückgabegesetz eingeführt hat, sind 1,5 Milliarden Flaschen gesammelt worden. Schätzungen des Umweltministeriums gehen von einer Rückgabequote von 50 Prozent aus. Tatsächlich recycelt werden aber nur zwei Zehntel. Doch die Regierung betont das Positive: Die Quote der Wiederverwertung sei immerhin von mageren drei Prozent Anfang der 90er auf 20 Prozent in den letzten Jahren gestiegen.
Umweltverbänden reicht das nicht. Sie verlangen eine Verschärfung des Gesetzes und machen Druck auf die Politiker. Mit Erfolg: In einer ersten Lesung ist der Vorschlag, das »Flaschengesetz« auf große Behälter und Dosen auszudehnen, angenommen worden. Die Änderung würde zudem die Verantwortlichkeit von Herstellern und Importeuren deutlich erhöhen. Sehr wahrscheinlich ist es allerdings nicht, dass die Novelle bald Realität wird. Die religiösen Parteien wissen sich stets zu wehren. Ihr Argument: Für die kinderreichen Familien, nicht selten in finanziellen Nöten, sei es unzumutbar, Pfand für große Flaschen zu bezahlen.
Etwa 450 Kilogramm wirft jeder Einwohner zwischen Flensburg und Berchtesgaden pro Jahr in die Mülltonne, insgesamt 37,6 Millionen Tonnen Abfall. Vom Hausmüll wird in Deutschland nach Angaben von Greenpeace mehr als die Hälfte wiederverwertet. Separat gesammeltes Papier, Glas, Kunststoff und Biomüll werden nahzu vollständig recycelt. Davon können Israels Naturfreunde nur träumen. Egal ob in Jerusalem, Tiberias oder Kirijat Schmona: Vor den hiesigen Haustüren steht auch im Jahr 2007 nur eine einzige Mülltonne. Die kann zwar gelb, schwarz, grau oder braun sein, mit Trennung aber hat das recht wenig zu tun. Papier, Bioabfälle, Plastik oder Glas, hier landet alles in einem Behälter und nach der Abfuhr auf einer der großen Kippen. Müll, Müll und noch einmal Müll. Die wahrhaft unschöne Seite des Landes.
Die Vereinigung für den Schutz der Umwelt (IUED) veröffentlichte Anfang des Monats neue Zahlen. Jeder Einwohner produziert demzufolge 912 Kilo Müll jährlich – fast genau doppelt so viel wie die Deutschen. »Und mehr als 80 Prozent landen nach wie vor auf Mülldeponien, die der Luft, Erde und dem Grundwasser langfristig schaden«, so ein IUED-Sprecher. »Dabei sind Deponien für unser Land mit seinem hohen Lebensstandard, der steigenden Bevölkerung und sehr begrenzten Fläche die denkbar schlechteste Lösung.«
Ein anderes Problem ist die Flut der Plastiktüten. Auf dem Carmelmarkt, in der coolen Boutique auf der Scheinkin-Straße in Tel Aviv oder dem »Hypermarkt« am Stadtrand Jerusalems: Alle verteilen die nicht biologisch abbaubaren Beutel aus Polypropylen, als wären Papiertüten oder Leinentaschen noch nicht erfunden. Auch die Regierung erkennt, dass Tüten eine Vielzahl von Problemen mit sich bringen. »Sie werden vom Wind überallhin getragen, erreichen so jede Ecke des Landes, gefährden die Tier- und Pflanzenwelt und verschmutzen die Natur«, heißt es in einer Erklärung des Umweltministeriums. In einem Pilotprojekt an einer Schule in Eilat wurde die Tütenbenutzung jüngst mit einfachen Miteln um 70 Prozent reduziert.
Dass es geht, weiß auch Gilad Ostrovsky, Fachmann in Sachen Hausmüll bei IUED. »Die Lösung wäre ganz einfach«, sagt er und zitiert das irische Modell, bei dem eine Steuer auf Plastikbeutel erhoben wird. Dort sei die Benutzung der Beutel in den ersten eineinhalb Jahren um 90 Prozent zurückgegangen. Supermarktkassiererin Dorit Kohen hätte nichts dagegen. Zwar habe sie sich noch nie Gedanken über zu viel Plastik gemacht, dennoch findet sie, dass die Idee von mitgebrachten Leinenbeuteln einfach wunderbar sei.
»Das gesellschaftliche Bewusstsein ist das Problem«, ist Zeborower sicher. »Es mag sein, dass sich heute mehr Leute um die Umwelt scheren als noch vor 20 Jahren, doch es ist nach wie vor die Minderheit. Es gibt noch zu viele, die ihren Müll in die Natur schmeißen und meinen, sie hätten nichts falsch gemacht.« Es hänge auch von der sozialen Herkunft ab, wie umweltbewusst jemand sei. Junge, gut situierte Leute im Landeszentrum seien meist engagierter als sozial schwächere und strengreligiöse Familien oder arabische Israelis. Es müsste generell viel mehr Aufklärung her, meint er. »Den Menschen muss knallhart vor Augen geführt werden, dass es – wenn sie weiter so müllen – die schönen Naturparks, die sie am Schabbat gern besuchen, sehr bald nicht mehr gibt.«

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