Schweiz

Grüezi, Vergangenheit!

von Peter Bollag

Die Schweiz, so sagt man, stelle zwar die zuverlässigsten Uhren der Welt her, aber auch die können manchmal ziemlich langsam ticken. Zum Beispiel dann, wenn es um die Rahabilitation von Menschen geht, die während des Zweiten Weltkriegs bedrohten Juden zur illegalen Flucht in das neutrale Land verhalfen. Zwei Studenten der Universität Basel haben nun eine Seminararbeit vorgelegt, die sich mit diesem längst überfälligen Thema befasst. Ein großer Wurf in der eidgenössischen Diskussion über die Geschichte des Landes zwischen 1933 und 1945 ist dies zwar immer noch nicht. Aber was Mario Seger und Rafael Scherrer erarbeitet haben, ist immerhin ein kleiner Beitrag zu einer langsam beginnenden Veränderung in der Schweiz.
Die beiden Studenten werteten für ihre Seminararbeit verschiedene Urteile Basler Gerichte gegen Fluchthelfer aus. Dank ihrer Archivrecherchen werden nun neun von insgesamt 15 Menschen, die von zivilen oder militärischen Gerichten wegen Fluchthilfe im an Deutschland grenzenden Kanton Basel-Stadt verurteilt wurden, nun auch wirklich rehabilitiert werden. In Basel-Stadt hatten besonders viele Flüchtlinge versucht, Nazideutschland zu entkommen. Und etliche Schweizer, die Flüchtlingen halfen, wurden erwischt und auch verurteilt – meist zu Geldstrafen, manchmal zu Gefängnis. Erst 2004 wurde ein Gesetz verabschiedet, nach dem die damals verurteilten Fluchthelfer heute rehabilitiert werden können.
Dank der Recherche der Studenten kann auch die 1912 in Basel geborene Irma Schön – alle Namen wurden von den Verfassern geändert – auf Wiederherstellung ihres Rufes hoffen. Im September 1938 händigte sie in Freiburg im Breisgau der aus Wien stammenden Lea Roth einen Grenzpassierschein aus. Dieser Schein ermöglichte Roth und ihrem Mann die Flucht in die Schweiz und damit die Weiterreise, wahrscheinlich nach Palästina. Für dieses »Vergehen« wurde Irma Schön 1939 zu einer Geldbuße verurteilt.
Was Seger und Scherrer in ihrer Arbeit gut herausarbeiten, sind die Motive der Fluchthelfer: Auch wenn einige für ihre Dienste bezahlt wurden, waren es vor allem Menschlichkeit und echte Sorge um die Flüchtlinge. Dieser Befund trifft sicher auch auf Paul Grüninger zu (1892-1972), den vielleicht bekanntesten Schweizer Fluchthelfer. Grüninger war Polizeikommandant in St. Gallen und rettete 1938/39 an der östlichen schweizerisch-österreichischen Grenze wahrscheinlich Tausenden zumeist jüdischen Flüchtlingen das Leben, indem er wegsah oder wegsehen ließ, wenn diese über die grüne Grenze kamen.
Erst in den 90er-Jahren, also lange nach seinem Tod 1972, wurde Grüninger, der 1939 unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassen worden war und sich jahrzehntelang mehr schlecht als recht beruflich über Wasser halten musste, von den Behörden rehabilitiert. Dies geschah nicht zuletzt aufgrund der Diskussionen, die das Buch Grüningers Fall, das der Zürcher Historiker und Journalist Stefan Keller 1998 vorlegte, ausgelöst hatten. Wie sehr die wenigen Schweizer Bemühungen zu einer angemessenen Würdigung der Fluchthelfer mit der Person Kellers zusammenhängen, merkt man daran, dass Keller auch die Seminararbeit von Seger und Scherrer betreute.
Kellers Buch war auch Grundlage für die Forschungen des Düsseldorfer Historikers Wulff Bickenbach, einem früheren Oberst der Bundeswehr, der sich erst nach seiner Pensionierung dem Geschichtsstudium widmen konnte. Der heute 67-jährige Historiker legt dieser Tage ein Buch über Grüninger vor (Gerechtigkeit für Paul Grüninger, Böhlau Verlag, Köln/Weimar, 2009)
Bickenbach, der sich selbst als »als einen an der Thematik interessierten Bürger« bezeichnet, wertete für seine Forschungen insbesondere die damaligen vier Tageszeitungen von St. Gallen aus, welche erstaunlich offen über die Flüchtlingssituation an der nahen Grenze berichtet hatten. Schon alleine durch diesen Befund wird der Satz eines früheren Schweizer Bundesrates – »Wenn man gewusst hätte, was sich drüben im Reich abspielte, hätte man den Zaun sicher weiter gemacht« – ad absurdum geführt. Außerdem wird Grüningers Handeln durch den Nachweis, dass das Wissen über die Vorgänge in Nazideutschland vorlag, quasi legitimiert. Dass dies dem unbequemen St. Galler Polizisten aber nicht half, auch nicht nach 1945, zeigt Bickenbachs Buch. So wird Grüninger heute zwar in den Gedenkstätten von Jerusalem und Berlin als »Gerechter der Völker« beziehungsweise als »Stiller Held« geehrt. Das Stadion des St. Galler Fußballvereins SC Brühl, dessen Präsident Grüninger war, darf aber erst seit 2006 seinen Namen tragen. Und für das für St. Galler Schulen erstellte Geschichtsbuch Hinschauen und nachfragen aus dem Jahr 2006, welches das Verhalten Grüningers hervorhebt, mag die St. Galler Erziehungsdirektion bis heute keine Empfehlung aussprechen. »So gesehen ist selbst Grüninger jetzt noch nicht vollständig rehabilitiert«, meint Wulff Bickenbach.
Bickenbach mag aber nicht schlecht über die Schweiz sprechen. »Ich wurde überall vorbildlich empfangen, man hat mir und meinen Forschungen keinerlei Steine in den Weg gelegt«, sagt er. Und dass ein früherer Angehöriger der Streitkräfte des ehemaligen Täterlandes sich mit der nicht immer ruhmreichen Vergangenheit des kleinen Nachbarstaates befasst, habe keine negativen Reaktionen ausgelöst: »In der Schweiz weiß man genau zwischen damaligen Tätern, Opfern und Helfern zu unterscheiden«, sagt Bickenbach.
Bleibt zu hoffen, dass das schweizerische Unterscheidungsvermögen bald zu einer landesweiten Rehabilitierung der Fluchthelfer führt.

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