Litauen

Frist und Frust

von Roland Stork

»Faina Kukliansky, Rechtsanwältin« steht auf ihrer Visitenkarte. Dazu die Anschrift ihrer Kanzlei in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Auf den ersten Blick macht sie den Eindruck einer feinsinnigen Person, zierlich, zurückhaltend. Im Gespräch aber wird ihre große Entschlossenheit und ihr Kampfesmut deutlich.
Ihre Biographie macht es ihr schwer, Menschen abzuweisen, die sich mit der Bitte an sie wenden, die Rückgabe von Hauseigentum vor Gericht zu erstreiten. »Ich bin eine der wenigen echten Litwaken, die noch in diesem Land leben.« So bezeichnen sich die Juden Litauens. Von 16. Jahrhundert und bis in den 1930er Jahren lebten im Land etwa 200.000 Juden. Heute sind es nur wenige Hundert. Bereits im November 1941, nur vier Monate nach Kriegsbeginn im Osten, erklärt der Leiter des Einsatzkommandos, Karl Jäger, Litauen als »bis auf die Arbeitsjuden judenfrei«.
Von den Überlebenden fliehen viele vor der Roten Armee oder wandern während und nach der kommunistischen Ära aus. »Das ist unsere Tragödie«, erzählt Faina Kukliansky über die Jetzt-Zeit. »All die Traditionen, die über Jahrhunderte aufrechterhalten wurden, sind in der sowjetischen und auch in der nachsowjetischen Zeit ausgestorben. Der Statistik nach sind es 4.000, aber in Vilnius, wo ich gerade die jüdische Gemeinschaft neu registriere, haben wir bislang 170 Einträge.«
Juristen mit jüdischem Hintergrund gibt es in Litauen gerade mal zwei. Deshalb also hat sich Faina Kukliansky nach dem Motto »Wer, wenn nicht ich?« des Kampfes um die Rückgabe ehemals jüdischen Eigentums angenommen. Das Eigentum geht in die Millionen und dessen Entschädigung in der sowjetischen Zeit nie ein Thema war. Im unabhängigen Litauen jedoch sollte dem Privatbesitz wieder zu seinem Recht verholfen werden. Nur, wenn möglich, allein dem litauischen.
So kam das Parlament zu folgender Lösung: Rückgabe oder Entschädigung ja, aber nur an litauische Staatsbürger. Ein geschickter Schachzug, denn so konnten neben jüdischen Ansprüchen auch die der Polen, die vor dem Krieg zu Hunderttausenden in und um Vilnius gelebt hatten, abgewehrt werden. Andererseits ungünstig, denn zur Erlangung der Staatsbürgerschaft mußte man einen ständigen Wohnsitz in Litauen nachweisen. Damit wurden neben Juden und Polen auch solche Litauer ausgeschlossen, die vor den Kommunisten emigriert sind und heute zumeist in Nordamerika leben.
1995 wurde beschlossen, den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern. Nunmehr konnte jeder litauischer Staatsbürger werden, der selbst oder dessen Vorfahren bis zum Jahre 1940 im heutigen Litauen gelebt hatte. Die Ausnahme wäre, wenn er nicht in der Zwischenzeit in seine »ethnische Heimat« zurückgekehrt war. Dann gilt man als Repatriierter und ist von der Erlangung der litauischen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen. Erneut also der Versuch, nach Israel emigrierte Juden und nach Polen ausgesiedelte Polen von Rückgabeansprüchen fernzuhalten.
»Aber was ist das, die ethnische Heimat der Juden? Israel?«, fragt Faina Kukliansky. »Ich habe eine Landkarte aus der Zeit des britischen Protektorates, aus der ganz klar hervor geht, daß die Lager für die Ankömmlinge in Palästina waren und sie palästinensische Pässe erhielten. Was ist das bitte für eine ethnische Heimat?« Die Juristin kommt in Fahrt und benennt weitere Widersprüche: »Um den Status eines Repatriierten feststellen zu können, muß der Antragsteller einen Fragebogen mit der Frage nach seiner ethnischen Abstammung einreichen. Ein Deutscher muß schreiben, daß er Deutscher ist, ein Jude, daß er Jude ist. Anders kann man ja nicht fest stellen, ob jemand ein Repatriierter ist oder nicht.«
Praktisch nirgendwo ist die Staatsbürgerschaft eine Vorbedingung für die Rück- gabe von Eigentum. Nicht einmal in Lettland oder Estland, empört sich Faina Kukliansky. Dem litauischen Verfassungsgericht stellt sie nun die unangenehme Frage, wie dieses Gesetz mit der Verfassung vereinbar sein kann, deren Artikel 29 festhält: Jeder ist vor dem Gesetz gleich, ohne Ansehen seiner Nationalität.
So lange diese Frage nicht entschieden ist, wird vor Gericht mit juristischen Feinheiten gearbeitet. Denn 2002 trat eine kleine Gesetzesänderung in Kraft. Nun ist ein Repatriierter nur noch derjenige, der in sein Abstammungsland ausgereist ist und dort ansässig ist. Bis dahin war das Wort »oder« gültig gewesen. »Das heißt jetzt, daß in einigen Fällen, Juden, die nach Palästina und nicht nach Israel ausgereist sind, mit großen Schwierigkeiten und vielen Nachweisen litauische Staatsbürger werden können«, erläutert Faina Kukliansky.
Damit aber ist erst der Zugang zur litauischen Staatsbürgerschaft gesichert. Der Kampf um die Rückgabe des Eigentums beginnt dann aufs Neue, denn mit dem Jahr 2001 ist die Frist auf die Einreichung von Rückerstattungsanträgen abgelaufen. Faina Kukliansky: »Ich habe den ersten Fall gerade vor dem Höchsten Verwaltungsgericht, ob denjenigen, die nach den alten Regelungen keine litauischen Staatsbürger werden konnten, jetzt bei geänderter Gesetzeslage nicht neue Fristen eingeräumt werden müssen.« Das ist eine deli- kate Frage. In Israel leben Nachkommen bereits verstorbener Litwaken, die schließlich nicht in ihr Abstammungsland ausgewandert sind, sondern lediglich dort leben.
Es wird also an allen Ecken und Enden gerungen. Allein den besagten Fall vor das Höchste Verwaltungsgericht zu bekommen, sei ein hartes Stück Arbeit gewesen, sagt Faina Kukliansky. Das sei auch wenig verwunderlich, wenn man bedenke, daß einige jüdische Familien wie etwa die Familie Frenkel in Siauliai »die halbe Stadt besaßen. Da sträubt sich die Stadtverwaltung natürlich. Und da wird natürlich auch wieder versucht, den Nachfahren die Staatsbürgerschaft abzusprechen«, betont die Anwältin.
Und selbst wer die Staatsbürgerschaft fristgerecht erworben und den Antrag auf Rückerstattung eingereicht hatte, sah und sieht sich zahlreichen Schwierigkeiten ausgesetzt. Laut Gesetz soll die Behörde selbst die nötigen Unterlagen beibringen, die das Besitztum oder die enge Verwandtschaft mit dem früheren Eigentümer beweisen. Die Realität umschreibt Faina Kukliansky sarkastisch so: »Ich bin eine sehr guter Namenskenner geworden! Selbst mit Gutachten eines Sprachforschungsinstitutes ist es hier in Litauen oft noch nicht genug. Ich muß Zeugen dafür bringen, daß der Herr Bär und der Herr Dov (die hebräisierte Version von Bär) ein und dieselbe Person sind.«
Kann in den Prozessen um die Rückgabe des Privateigentums zumeist ein Rechtsnachfolger bewiesen werden, stellt sich für den ehemals bedeutenden Besitz jüdischer Gemeinden ein großes Problem: Es fehlen legitime Nachfolgeorganisationen, da es in den meisten litauischen Städten keine jüdischen Kultusgemeinden mehr gibt. Außerdem tun sich, wie Faina Kukliansky erläutert, »die jüdischen Gemeinschaften schwer, für diese Gebäude, die zumeist aus der Zarenzeit stammen, Dokumente zu liefern, die die Existenz als Synagoge belegen.« Dann fragen die Gerichte nach den Verstaatlichungsunterlagen. »Aber die Synagogen wurden nicht einmal in der Sowjetunion verstaatlicht. Gotteshäuser gin- gen einfach in die Nutzung des Staates über, schon deshalb, weil nach dem Krieg keine Juden mehr geblieben waren, die in den Gottesdienst gehen würden. Das wurden dann Lagerräume.« Allein der jüdischen Gemeinde in Vilnius stünden an die 400 erhaltengebliebene Gebäude zu, schätzt die Anwältin.
Faina Kukliansky wird ihren Kampf um Gerechtigkeit fort führen, auch wenn sie der Kampf bis zu ihrem Lebensende begleiten wird. Letztendlich gehe es aber um die Einsicht des litauischen Staates und des gesamten Volkes, daß nicht nur Litauern, sondern auch Juden und Polen ihr früheres Eigentum oder zumindest eine Entschädigung dafür zustehe. »Anstatt immer neue Gründe zu finden, sollten sie guten Willen zeigen und das Eigentum zurück geben«, befindet Faina Kukliansky. So lange das nicht geschieht, wird Faina Kukliansky die Gerichte bemühen und »wenn die Entscheidung (vor dem Verfassungsgericht, Anm. d. Autors) nicht zu unseren Gunsten ausfällt, dann gehen wir weiter, bis nach Straßburg.«

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