Austauschprojekt

Freunde, Trips und Pizza

von Marina Maisel

»Der Canyon in Ein Ovdat war gigantisch. Steinböcke habe ich noch nie in der Natur gesehen, immer nur im Zoo«, sagt Ilja. »Wenn ich mir vorstelle, wie verzweifelt die Menschen in Massada gewesen sein mußten …« – »Die konnten nicht einmal im Toten Meer baden, wir schon.« Es war schwer, sich im Stimmen- und Themengewirr zu orientieren, als die neun Jugendlichen aus der Abfertigungshalle von EL AL am Münchner Flughafen die wartenden Eltern und Geschwister begrüßten. Sie hatten jede Menge zu erzählen, so daß die Fahrt in die Stadt gerade mal für die ersten Eindrücke ausreichte.
Im Rahmen eines Jugendaustauschs waren neun Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren, vornehmlich Madrichim der Zionistischen Jugend in Deutschland (ZJD) und des IKG-Jugendzentrums für zehn Tage in Israel. Die Begeisterung über die Erlebnisse der vergangenen Tage steht den Ankömmlingen deutlich ins Gesicht geschrieben. Beata, Ilja, Sascha und Felix erzählen fast gleichzeitig und unterbrechen einander ständig. »Israel«, erzählt der 17jährige Ilja Udler während der Busfahrt, »hat uns mit kaltem Wind, warmer Atmosphäre und koscherer Pizza in der Schule begrüßt.« So faßt er die Eindrücke in der Schule von Pisgat Zeev, einem Jerusalemer Bezirk, zusammen. Aus diesem Gymnasium waren im Sommer 13 Jugendliche nach München gekommen (siehe Jüdische Allgemeine vom 4. August 2005). Jetzt hatten die Münchner den Gegenbesuch abgestattet. Ilja war völlig überwältigt: »Ich hatte ja Zweifel, daß man in so kurzer Zeit ein so umfangreiches Programm durchführen kann. Vom Besuch der Klagemauer bis zum gemeinsamen Abendessen bei den Beduinen in der Wüste haben wir richtig viel erlebt.«
Höhepunkt reihte sich an Höhepunkt. Da war zum einen der offizielle Empfang beim zweiten Bürgermeister Igal Amadi im Rathaus in Jerusalem. Die Münchner Gymnasiasten waren die erste jüdische Gruppe, die als Austauschschüler nach Jerusalem kamen. Darüber freute sich Amadi ganz besonders und betonte, daß er sich eine Fortsetzung wünsche. Er ergänzte, daß er hoffe, daß sich die Jugendlichen in Israel so wohl fühlen werden, daß der eine oder andere einmal ganz hier leben werde.
Gerade Jerusalem hatte noch vieles mehr zu bieten: das Herzl-Museum beeindruckte die Jugendlichen auch deshalb, weil sie hier nicht einfach Exponate zu sehen bekamen, sondern die Geschichte multimedial lebendig wurde. »Man hat das Gefühl, man ist Teil der Geschichte«, sagte Limor. Bei einem anschließenden Workshop wurde das geschichtliche Wissen der Schüler dann noch vertieft. Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem beeindruckte ebenso wie die Klagemauer. Beata Reussmann war nicht zum ersten Mal in Israel, aber diesmal war es für sie eine ganz besondere Reise: »Ich habe Jerusalem aus einem anderen Winkel kennengelernt, habe mehr und neues aus der jüdischen Geschichte erfahren.«
»Ich habe Israel von ganz unterschiedlichen Seiten kennengelernt«, erzählt Felix Pertsovsky, der zum ersten Mal in Israel war. »Es fasziniert mich, daß ich die ganze jüdische Geschichte unter ganz neuen Aspekten gesehen habe, wie zum Beispiel beim Besuch der Klagemauer, die ja der letzte Überrest unseres Heiligtums ist. Ich kann die starken Gefühle dort gar nicht in Worte fassen.« Er war aber auch tief beeindruckt, das Land des jüdischen Volkes zu sehen und zu erspüren. Neben Religiösem wie dem Erleben einer Bar-Mizwa-Gesellschaft an der Westmauer, dem Mincha-Gebet mitten in der Wüste oder dem öffentlichen Chanukka-Feiern in der Jerusa- lemer Innenstadt erlebten sie Disco-Parties und weltliches Silvester. Riesigen Spaß machte auch das Shopping.
Für Felix bedeutete die Reise auch eine Gelegenheit, seine Freundschaft mit dem Austauschpartner Ran zu stärken, mit dem er sich bereits im Sommer in München angefreundet hatte. Ebenso wie Ilja Udler hat Felix bei seinem Münchner Austauschpartner gewohnt. Das Austauschprogramm zwischen jungen Juden aus München und Jerusalem wurde 2004 im Rahmen des jüdischen Programms gestartet mit dem Ziel, junge Leute aus verschiedenen Gruppierungen und Organisationen der Münchener Gemeinde näher zusammenzubringen. Der Leiter des Jugendzentrums der IKG München, Stanislav Skibinski, der auch dieses Projekt leitet, sagt: »Natürlich geht es nicht nur um Diskussionen und Besichtigungen. Es ist sehr wichtig, daß die jungen Leute den Kontakt zwischen Juden in der Diaspora und Juden in Israel pflegen.«
Die Reise war aus einem Projekt erstanden, das mit einer ganzen Reihe von Seminaren begonnen hatte, die von Itai Shimanovitch, einem früheren Leiter der ZJD München, durchgeführt wurden. Jugendliche und Erwachsene aus der Münchner Gemeinde wie Leo Sucharewicz, Anat Rajber und Gadi Gronich waren immer dabei. Wichtig war ihnen, »das Leadership-Potential der jungen Leute zu fördern, um ihre Aufgaben optimal erfüllen zu können«, wie Anat Rajber betont, die jetzt die Jugendlichen nach Israel begleitete. Die Idee eines regelmäßigen Jugendaustauschs war auch ein Ergebnis dieses Seminar-Projekts.
Natürlich hing das Gelingen entscheidend von weiteren Personen ab. Stanislav Skibinski erinnert sich: »Ohne die Unterstützung von Menschen wie Monika Sale, die unsere Ansprechpartnerin beim bayrischen Jugendring war, der auch für den Austausch mit Israel verantwortlich ist, hätte alles nicht so einfach gelingen können.« Als Partner in Israel für den Jugendaustausch konnte die Stadtverwaltung von Jerusalem gewonnen werden. »Wieder so ein glücklicher Zufall«, sagt Stanislav Skibinski. »In dieser Abteilung arbeiten zwei nette Damen, Francoise Kafri und Merav Levy, die schon einmal in München waren, die wir also schon kannten. So konnten wir leicht von zwei Seiten aus das Konzept für die weitere gemeinsame Arbeit ausarbeiten. Das war eine optimale Voraussetzung dafür, daß dieses Projekt überhaupt zustandekommen konnte.«
»Dank der israelischen Erfindung ICQ, das entspricht unserem Messenger«, erzählt Felix, »habe ich damals mit meinem Austauschpartner Ran Kontakt aufgenommen. Nach dem ersten Gespräch wurde mir schon klar, daß wir sicher eine schöne Zeit verbringen werden.« Genauso wie Felix selbst, hat sich auch die Familie von Felix mit Ran sehr gut verstanden. Ilja erging es mit seinem Austauschpartner Alon ähnlich. Und so fühlten beide sich jetzt bei ihrem Besuch in Israel so, als träfen sie einen alten Freund. »Ich habe mich gleich wie zu Hause gefühlt«, sagt Ilja, »was vor allem auch an der Gastfreundschaft von Alons Familie lag.« Auch diejenigen, die aus dem vergangenen Sommer noch keinen Austauschpartner hatten, fühlten sich in Israel bald heimisch.
Mit Begeisterung erinnerten sich alle Passagiere in unserem kleinen Bus auf der Fahrt vom Flughafen nach München an die Reise in die Negev-Wüste, an den Besuch der letzten jüdischen Festung Massada und an das Abendessen bei den Beduinen.
Was die Jugendlichen besonderes beeindruckt hat, war, daß die Beduinen bis zu fünf Frauen haben können, die sie sich mit für sie wertvollem Vieh erkaufen. Ein Kamel wird mit weit über 1.000 Dollar gehandelt. Für Marina Pylavska, eine Teilnehmerin der Gruppe, bot ein Beduine augenzwinkernd 50 Kamele, um sie für sich zu gewinnen. Ein großer Spaß für die ganze Truppe.
Wir sind schon mitten in München. »Feldmoching, Neuperlach, Harras, Schwabing«, nennen die Jugendliche ihren Wohnsitz in München. Sascha sagt auf einmal beim Abschied: »Ehrlich gesagt, manchmal wollte ich eigentlich gar nicht mehr zurück.« Manche nicken verständnisvoll. Ilja wundert sich: »Komisch, aber ich habe mein Zuhause gar nicht vermißt.« Beata sagt: »Ich werde bald in Israel leben. Nach dem Abitur will ich in Israel studieren«.
Zehn Tage haben die neun Münchner Jugendlichen in Israel verbracht. Sie bringen ein neues, unbeschreibliches, ja sogar fast heiliges Gefühl für ihre jüdischen Wurzeln mit. Und sie haben, wie sie selbst sagen, eine neue Familie gefunden. Sie haben sich selbst viel bewußter in ihrer jüdischen Identität erlebt und ein neues Zusammengehörigkeitgefühl als junge Juden und Madrichim in München bekommen. Ein Stückchen Jerusalem hat jeder mit nach Hause gebracht.

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