Gasastreifen

Die Mutter des Todes

von Bruno Schirra

Was für ein Leben, was für eine Freude, was für ein Glück. So beschreibt sie diesen Zustand, in dem sie seit drei Jahren lebt. Sie sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer ihres Hauses im palästinensischen Flüchtlingslager Dschabalia im Gasastreifen, eine zierliche kleine Frau, und schwelgt in leisen Worten in dem, was sie »mein größtes Glück« nennt. In diesem Haus, das so groß ist, so schön, hat sie sich eingerichtet. Mit ihren Kindern und all den Erinnerungen. Und die hat sie. Die muß man haben. Wenn man als Mutter nicht nur ein Kind getötet hat, sondern noch gleich zwei weitere dazu. »Mein Sohn«, so hat sie das erzählt, »ist schön von mir weggegangen, hat so hart gekämpft, ist so sanft gestorben. So vollkommen. So rein.«
Die ist die Geschichte von Mariam Farahat, und es ist die Geschichte ihrer Söhne. Am 7. März 2002 ist einer von ihnen er- schossen worden. Nie ist Mariam Farahat glücklicher, als in den Momenten, in denen sie davon erzählen kann, wie das war, als sie ihr an diesem Tag den zerfetzten Leib ihres 17 Jahre alten Kindes zurückgebracht haben. »Was für eine Freude, was für ein Glück war das für mich«, so beschreibt die 56 Jahre alte Witwe noch heute, was sie in dem Moment gefühlt hat, als man ihr den Leichnam ihres Sohnes Mohammad auf die Bahre legte. Alle waren sie gekommen, die Nachbarn, die Männer, die Frauen und deren Kinder. Mariam Farahat hat ihnen allen gesagt, daß sie »keine Beileidsbekundungen« will. »Ich will eure Glückwünsche, denn dies ist ein großer Tag. Dies ist ein Festtag für Mohammad und einer für mich. Denn mein Sohn ist zum Märtyrer geworden in unserem Kampf für Allah.« Und Mariam Farahat hat dann eilends eine paar Frauen losgeschickt, um Bombons, Schokolade und süßes Gebäck zu kaufen. Es galt an diesem Tag, ein Fest zu feiern, eines, das einer Vermählung gleichkommt.
So erzählt sie das vier Jahre später, am Tag bevor sich in Ramallah und in Gasa-Stadt das neugewählte palästinensische Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen findet. Die radikal-islamistische Hamas hat in der Januarwahl zur eigenen wie zur Verblüffung aller Beobachter einen fulminanten Wahlsieg eingefahren, hat das korrupte System der Fatah-Bewegung hinweggefegt und wird in den nächsten Jahren die palästinensische Regierung stellen. Mariam Farahat hat hier im Gasastreifen sehr viel zu diesem Sieg beigetragen, hat sich im Wahlkampf für die terroristische Hamas wochenlang fast aufgerieben und ist als eine von sieben Frauen am 26. Januar ins Parlament gewählt worden. »Als Abgeordnete werde ich dafür kämpfen, daß viele palästinensiche Frauen und Mütter meinem Beispiel folgen werden«, sagt sie. »Wenn Hunderte, gar Tausende palästinensischer Frauen mir auf meinem Weg gefolgt sein werden, dann werden wir mit Gottes Hilfe siegen.« Sanft kommen diese Worte. Es sind Worte über das Töten und das Sterben. »Mein Sohn Mohammad ist ein Held, ein Märtyrer für Allah«, schwärmt Mariam Farahat. »Und ich habe ihn dazu gemacht.«
Am 7. März 2002 dringt Mohammad in die jüdische Siedlung Atzmona im Gasastreifen ein. Sein Auftrag: So viele Juden wie möglich zu töten. Mohammad schießt sich seinen Weg bis in die Tora-Schule frei. Dort wirft er Handgranaten auf die studierenden Jungen, tötet mit seiner Kalaschnikow fünf von ihnen, verletzt sieben weitere schwer. Dann wird Mohammad von Sicherheitskräften getötet. Die Tat hat der junge Mann am Abend zuvor auf einem Video angekündigt. Zu sehen ist auch Mariam Farahad, seine Mutter. Die gibt ihm im Video nicht nur ihren Segen für den geplanten Mord, sondern noch einen besonderen Auftrag mit auf den Weg: Er soll nicht, ja darf nicht lebend zurückkommen. Es sei, das sagt die Mutter ihrem Sohn, seine Pflicht, als Märtyrer zu sterben.
Mohammad macht, was seine Mutter ihm sagt. Nun, drei Jahre später, zeigt sie voller Stolz das Video, das im Olivengarten ihres Hauses aufgenommen worden ist, deutet auf ein Stück Draht, der an der Wand ihres Wohnzimmers hängt. »Durch diesen Draht ist mein Mohammad in die Siedlung der Juden eingedrungen und hat seine Heldentat vollbracht. Sowenig dieser Draht die Juden hat schützen können, sowenig werden die Juden vor uns je geschützt sein.« Wie es dazu kommen kann, daß sie, eine Mutter, ihren Sohn in den Tod gejagt hat? Sie versteht die Frage nicht, will sie auch nicht verstehen. »Als Mutter vermisse ich ihn, als Muslima mußte ich tun, was ich getan habe«, sagt und lächelt über das Unverständnis, das ihr entgegenschlägt. »Lieben Sie ihn?« »Ja«, sagt sie nur. »Vermissen Sie ihn?« Mariam Farahad sitzt auf dem Sofa, hoch aufgerichtet, und wenn da Schmerz in ihr sein sollte, steht er ihr nicht im Gesicht geschrieben. Dort ist nichts als fromme Ergebenheit und Erdulden. »Natürlich vermisse ich ihn«, antwortet sie nach einer Pause. »Er war mein Sohn, und als muslimische Mutter, muß ich ihn nicht hergeben. Ich will ihn aber hergeben, für sein Kämpfen und Sterben im Heiligen Krieg. Das ist meine islamische Pflicht, und der komme ich freudig nach. So habe ich alle meine Kinder erzogen.«
Mariam Farahat sitzt auf dem Sofa unter dem Bildnis ihres Jungen, einem zu groß gewachsenen Jungen, der schüchtern in die Welt lächelt, stolz auf seine gescheckte Uniform ist und noch viel mehr auf die Kalaschnikow, die er krampfhaft in der Hand hält. Und seine Mutter wiederholt, was sie am Tag des Todes ihres Sohnes gesagt hat, was sie noch heute glaubt: »O wie süß. O wie schön, daß Mohammad getötet hat, daß Mohammad getötet worden ist in unserem Kampf für Allah. Mohamad hat das für Gott gemacht. Gott ist teurer, als Mohammad es jemals war. Gott hat ihn im Paradies empfangen. Deshalb trauere ich nicht um ihn. Deshalb freue ich mich für ihn.« Mariam Farahad lächelt fast feinsinnig, als sie den Abscheu spürt, der ihr von ihrem Gegenüber entgegenschlägt. »Ich kann Sie nicht verstehen. Ich will Sie auch nicht verstehen. Sie lieben nicht ihren Gott. Sie lieben den Tod. Das ist monströs. Er war ihr Kind, ihr Sohn. Sie haben ihn zum Morden getrieben. Sie haben ihn in den Tod gejagt.« Der Dolmetscher übersetzt, ohne mit der Wimper zu zucken, Wort für Wort. Sie hört den Vorwurf, versteht die Anklage – es berührt sie nicht. »Was wissen Sie schon«, sagt sie. »Sie sind kein Muslim. Sie können das nicht verstehen. Sie wollen das nicht verstehen. Für mich als Muslima ist es die höchste Pflicht, meine Söhne zum Dschihad zu erziehen. Nichts ist schöner für eine muslimische Mutter, wenn ihre Söhne im Kampf für Allah und gegen die Juden sterben.«
Mohammad war der erste, aber nicht der einzige Sohn, der Juden töten wollte und sollte. Mariam Farahad hat nach dem Tod des Sohnes Tag für Tag dessen Beispiel ihren anderen fünf Söhnen vorgehalten, so lange bis die ihrem Bruder folgten, für Hamas kämpften und töteten, bis sie selbt getötet wurden. Nidal, bei dem Versuch eine Bombe zu plazieren, Rawhad von einer israelischen Rakete. »Drei Söhne habe ich in den Kampf geschickt«, sagt Mariam Farahad, die in den Palästinensergebieten nur Umm Nidal, »Mutter des Kampfes«, genannt wird. »Die beiden anderen werden ihnen folgen.«
Für Umm Nidal ist der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ein ewiger Krieg, wenn auch keiner zwischen Israelis und Palästinensern. Sie spricht an diesem kalten Februartag nie über Israelis, nie über israelische Besatzung. Die Frau spricht nur über Juden, nur über die angeblichen Verbrechen der Juden gegen das palästinensische Volk. Gegen Allah und gegen dessen Propheten, gegen die Gemeinschaft der Muslime. »Die Juden haben als erste von Allah den Koran offenbart bekommen«, sagt sie. »Abraham war der erste Muslim, denn er empfing den Koran von Allah selbst, aber dann haben die Juden den heiligen Koran gefälscht, haben Allah verraten und versucht, den Propheten Mohammad zu töten. Deshalb müssen die Muslime die Juden bis ans Ende aller Tage bekämpfen.« Wie sie das sagt, klingt es nicht nach Wut, sondern nach Gewißheit. »Die Juden waren und sind der ewige Feind der Muslime. Deshalb müssen sie bekämpft und bekriegt werden. Deshalb wird nie Friede sein.« Dann zitiert sie aus dem Hadith des El Buchari, der religiösen Traditionsliteratur des Islam: »Der Prophet, Andacht und Friede Allahs sei mit ihm, erklärte: Die Zeit der Auferstehung wird nicht anbrechen, bevor nicht die Muslime die Juden bekämpfen und sie töten. Die Muslime werden die Juden töten und werden darüber jubeln und Gottes Sieg feiern. Der Prophet sagt: Die Juden werden sich hinter dem Stein und dem Baum verstecken und der Stein und der Baum werden sagen: O Muslim, du Diener Gottes, hier ist ein Jude hinter mir. Komm und töte ihn!« Eine unfaßbare, abschreckende Litanei des Todes.
Hassim, der palästinensische Fahrer, hat ihr zugehört, hat den Kopf geschüttelt und dabei gequält die Augen verdreht. Später wird es aus ihm herausbrechen, daß »Leute wie Umm Nidal die Palästinenser um weitere zehn Jahre zurückgebombt haben«. Hassim hat während dieser Tage in Gasa immer von den »guten, alten Zeiten« geschwärmt, als er als Mechaniker in Israel gearbeitet hat und seine Familie ernähren konnte. »Das haben mir Leute wie Mariam Farahat zerbombt«, klagt er. »Das wird nie mehr zurückkommen.« Aber Hassim ist eine Minderheit, zumindest hier in Gasa. Dort wird Umm Nidal geliebt, als Ikone ihres Volkes fast verehrt.
Als sie einen Tag nach dem Gespräch ins palästinensische Parlament einzieht, gleicht das einem Triumphzug. Sie sieht die jubelnden Wähler, genießt die Anerkennung der Honaratioren und der Imame, die ihr Vorbild in den Moscheen des Gasastreifens oft gepriesen haben. Als die Führung der Hamas, Ismail Haniya und Mahmoud al Zahar, ihr ehrfurchtsvoll die Reverenz erweisen, glüht sie vor stolz. Und sie hat nur eine Botschaft: »Unser heiliger Kampf ist ein heiliger Krieg, so lange bis der letzte Millimeter palästinensischen Bodens von den Juden gereinigt worden ist. In Gasa, in der West Bank, in Al Quds, in Haifa, in Tel Aviv, in Nahariya.«

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