Rex Bloomstein

»Die Moststub’n heroben beim KZ«

von Jessica Jacoby

Dem britischen Dokumentarfilmer Rex Bloomstein ist etwas gelungen, das bisher nur Claude Lanzmanns Shoah schaffte: Eine authentische Ahnung des Grauens der Nazilager zu vermitteln, indem er sich bewusst den üblichen, durch allzu häufigen Gebrauch schon zu Klischees verkommenen Bildern ebenso verweigert wie hergebrachten filmischen Techniken. Bloom- steins preisgekrönte Dokumentation KZ – Willkommen in Mauthausen, die diese Woche in den deutschen Kinos anläuft, kommt wie Shoah ohne Spannungsdramaturgie, Musik und Archivbilder aus, aber anders als Lanzmann, auch ohne überlebende Opfer und Täter.
Statt ihrer lässt Bloomstein die Zuschauer von damals und heute zu Wort kommen: den alten Jäger, der den KZ-Kommandanten privat kannte, ihm menschliche Qualitäten bescheinigt und sich überhaupt nach dieser Zeit zurücksehnt. Die Witwe eines gutaussehenden SS-Mannes, die von ihrer Hochzeit in Mauthausen schwärmt; nur der Gestank nach verbranntem Menschenfleisch trübte die Idylle. Oder Gasthaus Frellerhof, in dem damals die SS gern einkehrte und wo heute ein Musikantenduo das Lied »Die Moststub’n heroben beim KZ, die ist wirklich herrlich und nett...« singt.
Bloomstein belässt es aber nicht nur bei den alten KZ-Nachbarn, die deutlich machen, wie problemlos man an einem Ort des Grauens leben konnte, wenn man nur wollte. Er spricht auch mit jungen Zugezogenen, die gerne in dem idyllisch an der Donau gelegenen Mauthausen leben. Nur die KZ-Gedenkstätte stört sie; sie fühlen sich dadurch stigmatisiert.
Für den Besuchergruppenführer Harald Brachner dagegen, den Bloomstein mit der Kamera begleitet, ist die Gedenkstätte in dem oberösterreichischen Städtchen sein Lebensinhalt. Seit Jahren führt er Tou-risten durch das ehemalige Lager, beseelt vom pädagogischen Ehrgeiz, jeden von ihnen emotional zu erschüttern, zum Nachfragen zu bringen. Dafür zahlt er, wie viele seiner Kollegen, einen hohen Preis: chronische gesundheitliche Beschwerden, Depressionen, Belastungen des Privatlebens, Alkoholismus. Andere, jüngere Besuchergruppenführer sind Zivildienstleistende, die hier ihre Familiengeschichte aufarbeiten: Ihre Großväter waren, was sie ihnen lang verschwiegen hatten, SS-Männer.
Wenn bei den Rundgängen schonungslos und detailliert der Lageralltag geschildert wird, ist das manchmal kaum zu ertragen. Einer Schülerin wird schlecht, eine israelische Frau zündet Kerzen im Verbrennungsofen an und ruft nach jemandem, der das Kaddisch sprechen soll – sie selbst als orthodoxe Frau darf nicht. Andere Touristen sind weniger dünnhäutig, lassen sich vor den Verbrennungsöfen fotografieren, nicht ohne vorher den Anzug zurechtzuzupfen. Ein Slowake freut sich, dass Mauthausen so gut erhalten ist und will gleich eine Tournee aller übrigen KZ-Gedenkstätten starten: »I really enjoyed to be here.« Andere Besucher ritzen Hakenkreuze in Gedenktafeln oder klauen. Von ursprünglich 14 Duschköpfen in der früheren Gaskammer sind nur noch vier am Platz; aus den anderen wurden Souvenirs. Spätestens an dieser Stelle hat das Grauen einen eingeholt.
In aktuellen Diskussionen über Formen des Gedenkens wird oft die Befürchtung laut, mit dem Aussterben der Erlebnisgeneration auf beiden Seiten werde die Erinnerung an die Schoa ihre Unmittelbarkeit verlieren. Dieser Film zeigt, dass es nicht unbedingt so kommen muss. Das setzt freilich die Kreativität und auch den Mut voraus, eingeübte und bekannte Wege zu verlassen. Rex Bloomsteins Film macht vor, wie das geht.

Medien

Zwischen dem demokratischen Staat Israel und der Terrororganisation Hamas darf es keine Äquidistanz geben

Ein Essay von Philipp Peyman Engel

von Philipp Peyman Engel  23.07.2024

Ramallah/Tel Aviv

Hamas-Terroristen bei Drohnenangriff in Tulkarem getötet

Im Westjordanland heizt sich die Lage weiter auf

 23.07.2024

Washington D.C./Tel Aviv/Gaza

Netanjahu in den USA: Geisel-Angehörige hoffen auf Abkommen

Die Lage am Dienstagmorgen – und ein Ausblick auf den Tag

 23.07.2024

Nordhausen

Paus besucht KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Paus: Die Gedenkstätte zeige, wohin Ausgrenzung, Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus führen können

 22.07.2024

Cottbus

Förderung für Schulprojekt zu NS-Geschichte

Höhepunkt des Projekts ist eine einwöchige Studienfahrt nach Theresienstadt und Prag

 22.07.2024

20. Juli 1944

Gedenken an gescheitertes Hitler-Attentat

Bundeskanzler Olaf Scholz wird bei der Veranstaltung sprechen

 19.07.2024

Angela Merkel

Sie gewann die Herzen der Israelis

Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel wird am Mittwoch 70. Eine Würdigung von Shimon Stein

von Shimon Stein  17.07.2024 Aktualisiert

Pro & Contra

Zurück zur Wehrpflicht?

Zwei Meinungen zur Debatte

von Boris Schulman, Rainer L. Hoffmann  17.07.2024

Nahost

Bundesregierung wirbt für Waffenstillstand im Gazastreifen

Im Auswärtigen Amt ermahnte ein Sprecher abermals Israel

 15.07.2024