Ausstellung

Die Hand der Fatima

von Tobias Müller

Gerade einmal 100 Jahre ist es her, daß die Mehrheit der Bewohner in der marokkanischen Hafenstadt Essouira Juden waren. Heute sind es gerade einmal 20. Um am Gemeindeleben teilzunehmen, müssen sie nach Casablanca oder Marrakesch reisen. Mehr als 200.000 Menschen zählte das Judentum in Marokko, die traditionsreichste Diasporagruppe im arabischen Raum noch 1956, als das Land unabhängig wurde. Wirtschaftliche Not und politische Spannungen durch den arabischen Nationalismus, vor allem nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967, waren die Motive der Emigration nach Israel, Frankreich, Nordamerika und Spanien. Der ungeheuren Dimension des Weggangs steht gegenüber, daß die weniger als 6.000 Verbliebenen immerhin drei Viertel der jüdischen Minderheit in der gesamten arabischen Welt bilden. Zentrum jüdischen Lebens ist heute das kosmopolitische Casablanca mit 30 Synagogen und einem Jüdischen Museum.
Der 2.000jährigen Tradition des marokkanischen Judentums widmet sich die Ausstellung Lihoed Maroc im Bijbelsmuseum in Amsterdam. Lihoed bedeutet »Juden« im marokkanischen Arabisch und steht für gegenseitige Beeinflußung. Vor der Islamisierung im 7. Jahrhundert durch die Araber konvertierten Berbergruppen in Marokko zum Judentum. Juden übernahmen deren Dialekte, so wie sie später Arabisch mit Hebräisch vermischten. Im Volksglauben gab es Rabbiner und Marabouts, die von Juden und Muslimen gleichermaßen verehrt wurden. Gemeinsam war auch die Furcht vor dem bösen Blick und der Schutz davor durch die fünf Finger der »Hand der Fatima«, die oft von jüdischen Silberschmieden angefertigt wurde. Lihoed Maroc verfolgt jüdisches Leben anhand zweier historischer Stränge. Die toshavim (»Einheimische«) siedelten seit der Zeit der Phönizier in Rif- und Atlasgebirge und im Süden. Im Mittelalter war Marokko Ziel sephardischer Juden, die vor der christlichen Verfolgung aus Spanien flohen und sich zunächst in den Städten des Nordens niederließen, wo sie auf eine urbanisierte Schicht jüdischer Händler und Handwerker trafen. Zusammen bildeten sie die meghorashim (»Vertriebene«), zu denen Wissenschaftler, Künstler, Schriftgelehrte und Philosophen gehörten.
Beiden Gruppen wurde ein Halbfreien-Status gewährt. Seine städtebauliche Umsetzung findet sich im marokkanischen Pendant zum Ghetto, der mellah, wo Juden unter persönlichem Schutz des Sultans in der Nähe seines Palastes leben mußten. Doch der Fokus der Schau liegt auf friedlicher Koexistenz. Symbolisch hierfür steht die legendäre Weigerung Sultans Mohammed V., mit dem Vichy-Regime zur Deportation der Juden zu kollaborieren: »Ich werde meine Kinder nicht aufgeben. Sie alle sind marokkanisch.«
Lihoed Maroc kommt nicht ohne den Verweis auf die aktuelle Migrationsdebatte in den Niederlanden aus – ein Spannungsfeld zwischen Xenophobie und militantem Islamismus mit antisemitischer Komponente.
Unter den muslimischen Migranten bilden die 300.000 Marokkanischstämmigen eine der größten Gruppen. Drei Viertel haben familiäre Wurzeln in Gegenden wie dem Rifgebirge, der historischen Hochburg von Juden und Berbern. Das Museum setzt auf einen Lerneffekt bei den meist überraschten marokkanischen Besuchern und hofft, ein Bewußtsein für ein gemeinsames Erbe zu schaffen.

»Lihoed Maroc«, noch bis zum 15. Januar im Bijbelsmuseum Amsterdam

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