Wahltag

Der große Unbekannte

Deutschlands jüdischer Wähler ist ein unerforschtes Wesen. Nix Genaues weiß man nicht darüber, wie sich Juden entscheiden. Bekannt ist immerhin, dass im Bundestag keine jüdischen Abgeordneten vertreten sind. Der Linke Gregor Gysi, den viele für einen solchen halten, kann lediglich mit einem jüdischen Großvater aufwarten – welcher Deutsche hat nicht Entsprechendes zu bieten?
Nach Nazis und Krieg gab es durchaus eine Reihe prominenter Juden in der deutschen Politik und im Verbandswesen. Zum Beispiel Herbert Weichmann. Der Sozialdemokrat kehrte aus dem Exil in seine deutsche Heimat zurück und wurde Erster Bürgermeister der Freien Hansestadt Hamburg (1965-71). Auch Ludwig Rosenberg hielt es nicht lange im Asyl. In den 60er-Jahren wurde er Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftbunds.
Juden wählten traditionell links. Die SPD war lange Jahre die einzige deutsche Partei, die sich für die Gleichberechtigung der Hebräer einsetzte – und Antisemitismus bekämpfte. Ihr Vorsitzender August Bebel verspottete Judenfeindschaft als »den Sozialismus der dummen Kerls«. Viele Juden wurden aktive Sozialdemokraten. Die Prominenteste, Rosa Luxemburg, hatte allerdings mit Juden oder gar jüdischer Solidarität nichts im Sinn: »Was willst Du mit den speziellen Judenschmerzen? Mir sind die … Neger in Afrika … ebenso nahe«, schrieb sie einer Freundin.
Viele aufgeklärte Juden wollten damals nichts von ihrer israelitischen Herkunft wissen. So riet der liberale Kapitalist, AEG-Vorstandsvorsitzende und spätere Außenminister Walther Rathenau den Juden in seiner Schrift Höre Israel!, sich gefälligst »anzuarten«. Genützt hat die Anbiederung keinem. Was wiederum den jiddischen Witz bestätigt, der das Treffen zweier Freunde schildert. Der Getaufte versucht, sich gegenüber dem Glaubenstreuen herauszuwinden: »Innerlich bin ich der Gleiche geblieben!« – »Und äußerlich?«
Die nach dem Krieg Geborenen, die heute 60-Jährigen, konzentrierten sich darauf, die materielle Existenz ihrer Familien zu sichern. Die Traumata von Schoa und Exil, die ihre Eltern durchzumachen hatten, hinderten sie daran, sich in exponierte öffentliche Postionen, wie die Politik sie mit sich bringt, zu begeben. Der Name »Zentralrat der Juden in Deutschland« für die Dachorganisation der jüdischen Vertretung beweist überdies, dass viele Hebräer noch im inneren Exil verharrten.
Dabei blieben Deutschlands Juden aufmerksame Beobachter des Zeitgeschehens. Mit Abscheu etwa nahmen sie zur Kenntnis, dass Hans Globke, der an den antisemitischen Nürnberger Gesetzen mitgewirkt hatte, zum engsten Mitarbeiter von Bundeskanzler Konrad Adenauer wurde. In den 60er-Jahren war Willy Brandt der unbestrittene Favorit der hiesigen Juden. Er hatte als junger Mann den Nazis den Rücken gekehrt und sie aktiv bekämpft. In der Sozialistischen Internationale pflegte der spätere Bundeskanzler die Freundschaft mit den israelischen Genossen, zum Beispiel Ben Gurion und Golda Meir.
Die Zeiten haben sich geändert. Manche Sozialisten entdeckten in der Ölkrise ihr Herz für die Palästinenser, andere haben nur Augen für die vermeintlich aggressiven Israelis. Doch gleichzeitig konnte sich in letzter Zeit der »Arbeitskreis jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten« etablieren.
Die expliziteren Unterstützer findet Israel heute auf konservativer Seite. Der CSU-Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt, ist ein solcher, ebenso wie der Chef der Jungen Union, Philipp Mißfelder. Diese zeigen Verständnis für die Notlage des jüdischen Staates, ohne einseitig Partei zu ergreifen. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel zählt die Sicherheit Israels zu den entscheidenden Anliegen der deutschen Politik. Das wissen die Juden hierzulande zu würdigen. Zumal ihnen das Selbstbewusstsein, die Anzahl und der Einfluss der amerikanischen Juden fehlt.
Und in Zukunft? Unter den Kindern der Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, aber auch den hier geborenen Juden, gibt es viele, die sich für Politik interessieren. Manche engagieren sich in Parteien. Zum Beispiel die Sozialdemokraten Peter Feldmann und Sergey Lagodinsky. Recht so. Denn wer als Jude und Deutscher hierzulande etwas verbessern will, muss arbeiten, auch in der Politik. Junge Zeitgenossen werden dazu bereit und in der Lage sein. Weil sie zunehmend ein eigenständiges deutsch-jüdisches Selbstbewusstsein entwickeln.
Übrigens: Orthodoxe Juden dürften am Sonntagabend wegen Jom Kippur vom Wahlergebnis keine Notiz nehmen (vgl. S. 9). Da soll man sich ja von weltlichen Dingen, auch von den Medien, fernhalten. Aber zuhören wird man doch wohl noch dürfen. Zum Beispiel beim Gottesdienst, wenn die Betenden einander die ersten Hochrechnungen zuflüstern.

Israel

Eli Sharabis Bestseller bald auch auf Englisch

Zum zweiten Jahrestag des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 soll das Buch der ehemaligen Geisel veröffentlicht werden

von Sabine Brandes  10.07.2025

Genf

Türk verurteilt US-Sanktionen gegen Albanese

Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Volker Türk, sprach von »Angriffen« und »Drohungen« gegen die umstrittene Italienerin

 10.07.2025

Der unter liberianischer Flagge fahrende Massengutfrachter "Eternity C" beim Untergang im Roten Meer am Mittwoch, den 9. Juli 2025.

Terror auf See

Tote nach Huthi-Angriff auf Handelsschiff

Die Huthi-Miliz im Jemen versenkt innerhalb von 24 Stunden zwei Schiffe auf dem Roten Meer

von Nicole Dreyfus  10.07.2025

Wien

Vor Treffen mit Sa’ar: Wadephul ermahnt Israel

Der Bundesaußenminister will sich weiter für einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln einsetzen, verlangt aber bessere humanitäre Hilfe in Gaza

 10.07.2025

Gaza

Das Dilemma des Deals

Premier Benjamin Netanjahu hat das Weiße Haus ohne ein Freilassungsabkommen für die israelischen Geiseln verlassen. Die Verhandlungen gehen weiter

von Sabine Brandes  09.07.2025

Berlin

Bundestagspräsidentin will Angehörige israelischer Geiseln treffen

In dieser Woche sind Angehörige der von der Hamas verschleppten Geiseln in Berlin. Am Dienstag kommt Bundestagspräsidentin Klöckner mit ihnen zusammen. Sie formuliert im Vorfeld klare Erwartungen

 07.07.2025

Magdeburg

Batiashvili und Levit mit Kaiser-Otto-Preis ausgezeichnet

Der Kaiser-Otto-Preis ist die höchste Auszeichnung der Stadt Magdeburg. Er wurde im Jahr 2005 anlässlich des 1.200-jährigen Stadtjubiläums zum ersten Mal verliehen. In diesem Jahr ging er an zwei Künstler, die sich gesellschaftlich engagieren

von Oliver Gierens  03.07.2025

Israel

Gideon Saar: Mehrheit der Regierung will Gaza-Deal

Israels rechtsextreme Minister Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich möchten einen neuen Gaza-Deal verhindern. Laut Außenminister Saar sind die meisten Regierungsmitglieder aber anderer Ansicht

 02.07.2025

Politik

Dobrindt in Israel - Treffen mit Netanjahu geplant

Innenminister: »Ich will zeigen, dass wir Israel als engsten Partner im Kampf gegen den Terror unterstützen.«

 28.06.2025