Pessach

Chametz in Chemnitz

von Teresa Stelzer

»Ein Lämmchen, ein Lämmchen, es kaufte mein Vater für zwei Suse ein Lämmchen, ein Lämmchen«, so heißt es in der Haggada. Um des Auszugs des jüdischen Volkes aus Ägypten zu gedenken, wird zum Pessachfest wieder aus jenem Buch gelesen werden. Doch bevor das kleine Gebet als Liedchen erklingt, bevor gefeiert werden kann, steht traditionell der große Frühjahrsputz ins Haus.
»Wir sind total im Stress!«, ruft Ruth Röcher, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz. Seit Montag wird im ganzen Haus geräumt und geschrubbt. So verschwindet Marina Ostrovskaya in der Küche beinahe hinter den Tellerstapeln, während sie fleißig Löffel und Gabeln poliert.
»Überall, wo die Gemeinde mit Essen in Berührung kommt, muss alles sauber gemacht werden«, erklärt sie. Das gilt neben der Küche auch für die Speisekammer und den großen hellen Gemeindesaal. Was und wie dabei alles koscher für Pessach gemacht wird, hat Marina Ostrovskaya im Kopf. Die zierliche 49-Jährige kam vor elf Jahren nach Chemnitz und ist seit 2005 als Köchin für koschere Küche in der Gemeinde angestellt. Die weiß-türkis gestreifte Schürze umgebunden, führt sie Regie. Ihr zur Seite stehen zwei bis drei Helfer. Gearbeitet wird von 8 bis 16 Uhr, wenn es sein muss auch länger.
Dabei ist Marina Ostrovskaya froh, dass ihr dieses Jahr fünf Tage Zeit bleiben: »Letztes Jahr waren es zweieinhalb: Viel zu kurz!« Zunächst dreht sich alles um die Speisekammer. Aus Kisten, Regalen, Ge- friertruhen und Kühlschränken müssen sämtliche Getreideprodukte verschwinden. Mehl, Erbsen, Spaghetti – alles, was als gesäuert gilt, muss raus.
Und wo sich Marina Ostrovskaya nicht sicher ist, zum Beispiel bei der roten würzigen Soße in der Flasche, muss sie das Etikett genau studieren. Werden die Nahrungsmittel etwa ein- fach weggeworfen? »Nein, die werden verkauft«, beruhigt die Köchin. Die Jüdische Gemeinde Chemnitz hat da seit Jahren in ihrer Sekretärin, die keine Jüdin ist, eine treue Abnehmerin gefunden. Die Transaktion wird mit einem Kaufvertrag ordentlich belegt.
Besondere Aufmerksamkeit gebührt bei den Aufräumarbeiten der Küche. »Dort darf kein Stäubchen Mehl gefunden werden«, beschwört Marina Ostrovskaya und erklärt: »Alles muss von Hand geputzt werden.«
Große Mühe bereitet dabei das Kaschern des Geschirrs. Stapelweise muss es aus den Schränken geräumt werden. »Dafür brauchen wir einen starken Mann«, sagt Ostrovskaya. Teller, Kannen, Schüsseln und Tassen werden gewässert und gespült. Über extra Geschirr für Pessach verfügt die Gemeinde nur zum Teil. Utensilien aus Holz oder Plastik verschwinden in den Schränken. »Und diese werden dann mit Klebeband versiegelt«, ergänzt die Köchin. Ein Detail von vielen, das nicht vergessen werden darf.
Unter anderem müssen alle Kühlschrankfächer mit Alufolie ausgelegt werden. Auch das dient dazu, dass die Speisen des Pessachfestes nicht einmal mit kleinsten Spuren von Gesäuertem in Kontakt kommen. Ebenso ist es der Köchin in der Pessachzeit nicht erlaubt, die üblichen Arbeitsplatten in der Küche zu benutzen, da dort Reste von gesäuerten Milch- und Mehlprodukten zu finden sein könnten. Also muss umgeräumt werden. Ein Teil der länglich geschnittenen Küche wird abgesperrt.
Ein zusätzlicher großer Tisch dient nun als Arbeitsfläche. Auf ihm werden unter anderem die Matzot zubereitet. Die Brote, bestehend aus den Zutaten Wasser und Mehl, müssen innerhalb von 18 Minuten fertig sein, damit der Teig nicht säuert. Dies erinnert an die Hast, die den Aufbruch aus Ägypten begleitete. Das Mehl der Mazzot wird speziell aus sehr junger Gerste gewonnen. In Israel steht jetzt zur Pessachzeit denn auch die erste Gerstenernte an.
An den ersten beiden Tagen des Pessachfestes, den Sederfeiern, erwartet Marina Ostrovskaya die meisten Gäste, da für diese Zeit das Arbeitsverbot gilt. In den vergangenen Jahren kamen rund 120 Gemeindemitglieder. Neben den Mazzot bereitet Marina Ostrovskaya für sie gemüse- und fleischhaltige Gerichte vor. Da die jüdische Gemeinde in Chemnitz be- sonders Mitglieder durch osteuropäische Migranten gewonnen hat, sieht sich die Köchin ab und an mit feinen Unterschieden im Brauchtum konfrontiert. So essen die Sefardim an Pessach Reis, die Aschkenasim jedoch nicht. Geeinigt hat man sich auf den frohen Verzicht.
Marina Ostrovskaya sorgt natürlich auch für die traditionellen Sederspezialitäten: Sie mixt aus geriebenen Äpfeln, Zimt, Wein, Nüssen und Rosinen das Haroseth, brät ein Stück Fleisch schwarz an, besorgt
bittere Kräuter und richtet schließlich alles auf dem Sederteller mit den kleinen Vertiefungen an.
Auch dieses Jahr wird man sich in der jüdischen Gemeinde in Chemnitz ab dem 15. Nissan, der in diesem Jahr auf den 9. April fällt, wieder auf den Anlass des Pessachfestes besinnen. »Die Eltern müssen aus der Haggada erzählen, damit die Kinder nicht die Geschichte vom Auszug aus Ägypten vergessen«, erklärt die Gemeindemitarbeiterin. Es wird von den zehn Plagen berichtet werden, die Gott über die Ägypter sandte. Besonders über die zehnte und letzte Strafe, die den Ägyptern alle Erstgeborenen nahm, wovon die Juden verschont blieben, aber vor dem ägyptischen Groll in die Wüste flohen.
Übersetzt bedeutet Pessach dann auch sinngemäß so viel wie »Verschonen«. Verschont wurde das kleine Lämmchen aus dem Vers der Haggada zwar nicht. Es wurde von einer Katze verschlungen, diese wurde von einem Hund gebissen, der wurde von einem Stock geschlagen, dieser wurde vom Feuer verbrannt, welches wiederum vom Wasser gelöscht wurde. – Dennoch wird der Vers, auf Russisch, Hebräisch und Deutsch gesungen, zu gelebter jüdischer Kultur in Chemnitz beitragen.

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