Slowenien

Beten in der Tabakfabrik

von Veronika Wengert

Den boshaften Scherz, daß man in Slowenien nicht schneller als 120 Stundenkilometer fahren dürfe, weil man das Land sonst schon durchquert habe, bevor man überhaupt angekommen sei, erzählen sich die Bewohner im Nachbarland Kroatien nur allzu gerne. Gerade mal so groß wie Hessen ist die ehemalige jugoslawische Republik mit ihren zwei Millionen Einwohnern. Doch darauf, daß alles recht überschaubar wirkt, sind die Slowenen sogar ziemlich stolz: Welches Land kann sich sonst damit rühmen, daß man in weniger als einer Stunde von der Hauptstadt aus das Meer, aber auch die Alpen erreicht?
Überschaubar ist auch das jüdische Leben im Land. Wenn Uroš Kolar, Chefredakteur des Monatsblattes Menorah davon erzählt, kommt einem alles fast ein wenig familiär vor: Eine einzige Gemeinde gibt es im ganzen Land, mit 150 Mitgliedern, wobei die meisten in der Hauptstadt Ljubljana zu Hause sind. Hinzu kommen noch einmal soviele Juden, die keine Mitglieder sind. Wieviele es wirklich sind, weiß niemand so genau. In Ljubljana kenne er nur eine orthodoxe Familie und etwa fünf Israelis, die durch Freunde oder das Studium ins Land gekommen seien, erzählt Kolar, der früher Vize-Präsident der Gemeinde war.
Von einer Infrastruktur, wie sie Juden anderswo auf der Welt vorfinden, kann die Gemeinde in Slowenien nur träumen: Im ganzen Land gibt es weder eine jüdische Schule noch Mikwe, aber auch keine koscheren Läden oder Restaurants. Dennoch funktioniert das jüdische Leben hier mindestens genauso gut wie anderswo auch. Die Frauen der Gemeinde treffen sich regelmäßig zum Nähen und Kochen, die Jugendlichen gründeten ihren eigenen Klub »Kadima« und organisieren regelmäßig Vorträge, in denen es meist um jüdisches Brauchtum geht.
Der Stolz der Gemeinde ist jedoch eine kleine Synagoge und ein Gemeindezentrum – in einer ehemaligen achtzig Quadratmeter großen Tabakfabrik. »Klein, aber unser Eigentum«, sagt Kolar. Von eigenen Räumen konnten die Juden in Slowenien über sechs Jahrzehnte lang nur träumen. Zu sozialistischen Zeiten habe man sich in Restaurants getroffen, um große Feiertage wie Pessach zu feiern, erinnert sich Kolar. Das Schmuckstück der kleinen Synagoge ist eine Sefer Tora, die vor drei Jahren von einem Spender bereitgestellt wurde, der lieber anonym bleiben möchte. An der Wand erinnern Bilder an eine Präsentationsfeier: Die Übersetzung der Haggadah ins Slowenische, erklärt Kolar. 500 Exemplare habe man damals drucken lassen, das sei ein großer Tag gewesen für die Gemeinde. Vor allem für die ältere Generation, die kein Englisch verstehe. Und diese mache immerhin zwei Drittel der Gemeinde aus. Entsprechend selten seien daher Hochzeiten oder Bar-Mizwen innerhalb der Gemeinschaft. Er selbst könne sich jedenfalls an solche Ereignisse in Slowenien in den letzten Jahren nicht erinnern, sagt Kolar. Falls jedoch Bedarf bestünde, dann biete sich die jüdische Infrastruktur im italienischen Triest an, knapp 100 Kilometer südlich von Ljubljana.
Mit Triest sind die slowenischen Juden eng verbunden: An Feiertagen fahre man manchmal organisiert in die dortige Synagoge, aber auch in koschere Geschäfte. Und demnächst finde auch ein gemeinsames Picknick statt, erzählt Kolar. In Triest lebt auch Ariel Haddad, der seit sieben Jahren Hauptrabbiner für Slowenien ist. Ein bis zwei Mal pro Monat reist er an, um in Ljubljana den Schabbat zu feiern. Unterschiede zwischen den Juden in Italien und Slowenien gäbe es dabei durchaus, sagt Haddad: Während ihm die Gemeinde in Triest sehr gesetzt vorkomme, spüre er in Ljubljana viel mehr Aktivität und Elan, vor allem bei den jüngeren Gemeindemitgliedern. Zudem gäbe es angesichts der historischen Umstände keine religiöse Tradition in Slowenien, diese müsse erst allmählich aufgebaut werden, sagt Haddad.
»Für wen das Judentum wichtig war, der ist schon längst ausgewandert«, bestätigt Kolar. Die meisten fanden in Israel oder den USA eine neue Heimat. Doch auch innerhalb des ehemaligen Jugoslawiens gab es zahlreiche Bevölkerungsverschiebungen. Im jüngsten Bürgerkrieg, der in Slowenien 1991 gerade mal zehn Tage dauerte, sind viele Flüchtlinge aus Kroatien oder Bosnien ins Land gekommen. Nicht wenige sind geblieben und machen heute ein Viertel aller Gemeindemitglieder aus.
Der Atheismus, den sich die jugoslawische Regierung auf die Fahnen geschrieben hatte, ließ keinen großen Spielraum für jüdisches Leben. Dennoch gab es eine Dachorganisation in der damaligen Hauptstadt Belgrad, der auch die jüdische Gemeinschaft von Slowenien angehörte. Diese war immerhin seit 1976 als eigene Religionsgemeinschaft registriert. Daran erinnert sich Andrej Kozar Beck, der heute Präsident der jüdischen Gemeinde Sloweniens ist. Mit der Auflösung Jugoslawiens formierte jede unabhängige Republik ihre eigene Gemeinschaft. Kontakte gibt es jedoch nach wie vor. So lade man sich nach wie vor gegenseitig zu Feiern oder Konferenzen ein und tausche regelmäßig Gemeindeblätter aus.
Eine kontinuierliche jüdische Tradition sucht man in Slowenien vergebens: Mehr als 500 Jahre gab es keine Synagoge in Ljubljana, seit die Juden Anfang des 16. Jahrhunderts aus dem Habsburger Reich vertrieben worden waren. Erst im 18. Jahrhundert wurde die Niederlassungsfreiheit ein wenig gelockert, vorübergehend zumindest. Heute erinnern nur spärliche Relikte an die jüdische Tradition im Land, darunter ein halbes Dutzend Friedhöfe. So gibt es in der zweitgrößten Stadt im Land, Maribor, durchaus eine bis heute erhaltene Synagoge – diese wird jedoch als Stadtmuseum genutzt. Schlendert man durch die Altstadt von Ljubljana, vorbei an Szene-Kneipen und Galerien, so kommt man an der Judengasse vorbei, die den Judensteig kreuzt. 15 Häuser soll das jüdische Ghetto hier einst umfaßt haben, darunter auch eine Synagoge. Geblieben sind nur die beiden Straßennamen. Einige Kilometer außerhalb Ljubljanas, auf dem Hauptfriedhof Zale, findet man einen kleinen Abschnitt, der durch eine rostige Metalltür mit Davidstern von den übrigen Gräbern abgetrennt ist. Zwei Dutzend gepflegte Grabmäler befinden sich hier, darunter ein Gedenkstein für die Schoa-Opfer.
Die kleine Gemeinde blickt jedoch positiv in die Zukunft: Im Gespräch sei der Bau einer Fabrik, die koschere Hähnchen für den Export herstellen wolle. Damit könne auch die Gemeinde in Slowenien ihren Bedarf decken, hofft Uroš Kolar. Und seit dem Beitritt zur Europäischen Union, durch den sich für die meisten Slowenen im Alltag kaum etwas verändert habe, plant man nun verstärkt Projekte mit den Gemeinden in Triest und der kroatischen Hafenstadt Rijeka. Bei solch einer Größe müsse man sich einfach öffnen, darüber sind sich alle Beteiligten einig.

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