Notlagen

»Babysitter im Ausland«

von Sabine Brandes

Israelis lieben es zu reisen. Je ferner, desto besser. Mit dem eigenen geografisch ex-
trem begrenzten Land, umgeben von nicht immer wohlgesonnenen Anrainern, ma-
chen sich viele auf, die weite Welt zu er-
kunden. Vor allem junge Frauen und Männer nach der Armee wagen sich in die ab- geschiedensten Winkel des Globus, um nach Jahren des Militärdienstes die Grenzen ihrer Freiheit auszutesten. Ob Trekking in den Anden oder im Kajak durch den Amazonas: Nicht wenige begeben sich auf ihren abenteuerlichen Touren in große Gefahr, nicht immer geht alles gut.
Mit erschreckender Regelmäßigkeit be-
richten die Zeitungen von verunglückten Israelis im Ausland – und darüber, wie sie zurück in die Heimat gebracht werden. Oft geschieht dies allerdings nicht dank einer Reiseversicherung oder hilfsbereiter Verwandter, sondern mithilfe der Botschaften und Gesandten Israels. Immer häufiger retten die Auslandsvertretungen Reisende aus brenzligen Situationen, helfen, kontaktieren, organisieren. In vielen Fällen sind die Aktionen wichtig und richtig: Gerade erst sind auf diese Weise Hunderte von Israelis aus Georgien herausgebracht worden, nachdem der Krieg gegen Russland ausbrach. Sicher wurden so Le-
ben gerettet. Politische Unruhen indes sind eher selten ein Grund. Oft bringen sich die Leute selbst in Gefahr. Und dann bitteschön soll schnell jemand zu Hilfe eilen.
»Israelisches Leben ist wertvoll. Der Staat tut alles, um es zu schützen und lässt sich das einiges kosten«, schrieb ein junger Reisender jüngst in seinem Blog. Daran ist viel Wahres. Wahrscheinlich mehr als ir-
gendein anderes Land kümmern sich Vertretungen des jüdischen Staates um Landsleute in Not. Oft jedoch, hört man Kritiker, werde die Bereitschaft zum Helfen schamlos ausgenutzt. Mitarbeiter in den Botschaften fühlen sich immer häufiger missbraucht. Die Zeitung Haaretz zitierte Madrids Konsul mit den Worten: »Wir sind zu Babysittern von Israelis im Ausland geworden.«
Doch auch das geduldigste Wohlwollen des Staates hat Grenzen. Gerade beschäftigt sich das Auswärtige Amt in Jerusalem mit der Frage, in welchen speziellen Fällen und wie oft man helfen dürfe. Derzeit ge-
schieht es offenbar zu oft. Gerade wurde der Fall eines jungen Mannes bekannt, der auf einer Klettertour in Spanien abrutschte und sich verletzte. Schnell organisierte das Team der Vertretung eine Helikopterrettung, brachte den Verunglückten in ein Krankenhaus. Anscheinend war das nicht Hilfe genug. Angeblich rief kurz nach der Aktion die Mutter bei der Botschaft an und bat, den Helikopter noch einmal loszuschicken. Ihr Sohn hatte seine Tasche am Unfallort vergessen.
Der 24-jährige Ori Schany aus Kfar Saba kennt das Gefühl, in einer misslichen Lage fern der Heimat zu sein. Vor einigen Monaten wurden er und sein Freund während einer Rucksacktour in Peru ausgeraubt. Bargeld und Kreditkarten waren futsch, Pässe und Mobiltelefon glücklicherweise noch da. Gleich machte er sich daran, in Israel anzurufen, um den Rück-flug umzubuchen, doch der Freund stoppte ihn und meinte: »Wir gehen einfach zur Botschaft. Die regeln schon alles für uns, dann können wir unsere Reise fortsetzen.« Schany erinnert sich, geschockt über soviel Chuzpe gewesen zu sein. »Als ob die Botschaft irgendein Reisebüro sei.«
»Frech kommt weiter« scheint in der Tat ein Motto manch reisender Israelis zu sein, wenn es darum geht zu bekommen, was er will. Ob es gerechtfertigt ist, ob die ausländische Dienststelle überhaupt in diesen Fällen tätig werden muss, scheinen sich die wenigsten zu fragen. »Warum schickt ihr nicht Flugzeuge nach Thailand, um sie rauszuholen, worauf wartet ihr noch?«, riefen aufgeregte Angehörige ins Telefon des Außenministeriums, als die ersten Nachrichten über Unruhen in Bangkok durch die Nachrichten gingen. Nur einen Tag zuvor liefen die Leitungen heiß, während der Orkan Gustav in Richtung New Orleans donnerte.
Ein Knessetmitglied fragte vor Kurzem im Ministerium nach, ob man nicht gestrandete Israelis aus Litauen holen könne, ihre Fluglinie sei pleite, und nun hätten sie keine Möglichkeit, nach Hause zu kommen. Auf den Hinweis, dass sich die Menschen doch bei einer anderen Linie Tickets kaufen könnten, sagte der Abgeordnete wütend: »Und wer soll dafür be-
zahlen?«
Nach vielen Vorfällen dieser Art diskutierte man nun im Außenministerium die Frage, wie viel Verantwortung der Staat für die Sicherheit individueller Staatsbürger im Ausland hat. Bislang gibt es keine eindeutige Regel, inwieweit die Botschaften oder Konsulate bei Problemen eingreifen dürfen. Die Arbeit der Mitarbeiter kostet nicht nur Nerven und Zeit, sie kostet auch viel Geld.
Für die Aktion in Georgien hatte die Regierung drei EL-AL-Maschinen gechartert. Die 500 Geretteten mussten nicht einen Schekel für diesen Flug bezahlen, obwohl einige von ihnen sogar das Geld für ihre ursprünglichen Tickets erstattet bekamen. Von der US-Botschaft Evakuierte indes mussten sogar für ihre Busfahrten aus dem umkämpften Georgien in Dollar bezahlen.
Der junge Mann mit dem Reiseblog hat wohl ebenfalls von all diesen Vorfällen gehört. Demnächst fliegt er in die USA. »Und am Flughafen«, schreibt er mit spitzer Feder, »werde ich mal die Botschaft anrufen und fragen, ob die mich abholen können«.

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