München

Auf der grünen Wiese

Wohin er sich auch wendet, der Pulk aus Fotografen und Kameraleuten weicht Daniel Libeskind auf dieser grünen Wiese im altehrwürdigen Münchner Bezirk Lehel nicht von der Seite. Libeskind klappt den Mantelkragen hoch, vergräbt die Hände in den Taschen und erträgt lächelnd und mit stoischer Ruhe das große Interesse an seinem Be-
such. Er ist nach München gekommen, um ein knapp 2.000 Quadratmeter großes Grundstück anzuschauen, auf dem in einigen Jahren eine neue Synagoge stehen könnte. Die kleine Gemeinde Beth Shalom plant den Bau der ersten liberalen Synagoge in Deutschland seit dem »Dritten Reich«. Und der Stararchitekt will sie entwerfen.

Augenschein Mit dem Ortstermin verschafft sich der 63-Jährige, der das Jüdische Museum in Berlin errichtet hat und zur Zeit weltweit an 26 Projekten arbeitet, einen ersten Eindruck von dem Grundstück, das für den Bau infrage kommt. »Ein schöner Platz. Man kann sehen, dass es sich hier um ein intaktes prosperierendes Stadtviertel handelt«, resümiert er. Die Grünfläche »Am Gries« liegt nahe der Isar und gleich hinter Münchens »Museumsmeile« im noblen Stadtteil Lehel – einer ehemaligen Vorstadt, die im 18. Jahrhundert eingemeindet wurde. Direkt neben dem Areal steht das älteste Seniorenheim Münchens, gegenüber reihen sich gediegene Mehrfamilienhäuser aneinander, dazwischen ein Kinderspielplatz. Ideale Nachbarschaft für ein liberales Gemeindezen-
trum, das zugleich Kinderkrippe, Kindergarten, ein Café und Räume für Festlichkeiten beherbergen soll und so, wie Libeskind meint, »Teil des Alltagslebens« und ein Ge-
winn für alle sein könnte. »Etwas, das die Gemeinschaft im Viertel bereichert.«
Doch braucht München neben dem Jüdischen Zentrum am Jakobsplatz überhaupt eine zweite, wenn auch deutlich kleinere Synagoge? Ja, denn die könne der »Vielfalt jüdischen Lebens Rechnung tragen«. Noch ist es zu früh, um zu sagen, wie sie aussehen solle, aber dass sie sich stark von der Jakobsplatz-Synagoge unterscheiden würde, steht für Libeskind fest. Er stelle sich einen Bau vor, der »die Freude am Jüdischsein« zum Ausdruck bringt und »auch Kindern gefällt«.

beziehungen Den Kontakt zu dem weltberühmten Architekten stellten Gemeindemitglieder mit direktem Draht nach New York her. Auch Walter Rothschild, früherer Rabbiner von Beth Shalom, der vor Jahren die Bat Mizwa für Libeskinds Tochter in Berlin hielt, war ein Türöffner. Dass Libeskind tatsächlich zusagte, die Synagoge für die rund 300 Gemeindemitglieder zu planen, überraschte die Liberalen selbst – und brachte das Projekt so richtig in Schwung.
Denn Beth Shalom sucht schon seit zehn Jahren nach geeigneten Räumlichkeiten für die Gemeinde. Derzeit halten sie Gottesdienste in einem Kellerraum ab, der »aus allen Nähten platzt«, sagt Thomas Dahmen, Vorsitzender der liberalen Ge-
meinde. »An Jom Kippur sind etliche Leute umgekippt, weil die Luft in dem kleinen Saal so stickig war.« Einige Raumangebote vonseiten der Stadt lehnten die Liberalen ab, weil sich die Objekte für die Bedürfnisse der Gemeinde nicht eigneten. Allzu weit weg vom Stadtzentrum entfernt will sich Beth Shalom nicht niederlassen. Auch die kürzlich besichtigte Synagoge in der Reichenbachstraße, die bis zum Umzug an den St.-Jakobs-Platz von der Israelitischen Kultusgemeinde genutzt wurde, erfülle nicht die Kriterien für einen Gottesdienst nach liberalem Ritus. »Umfangreiche Um-
baumaßnahmen wären notwendig, zusätzliche Räume im Gebäudekomplex, die für Unterricht, Jugend- und Sozialarbeit oder Zusammenkünfte der Gemeindemitglieder benötigt werden, fehlen«, sagt Dahmen.
Doch damit die Vision einer eigenen Synagoge Wirklichkeit wird, müssen noch etliche Hürden genommen werden: Die Finanzierung der Baukosten von geschätzten 11 bis 13 Millionen Euro ist noch völlig offen. Die Gemeinde gibt sich aber optimis-
tisch, dass Gelder fließen, sobald der Libeskind-Entwurf fertiggestellt ist. Sie will Spenden aus aller Welt eintreiben »gerne nach dem Vorbild Barack Obamas mit kleinen Beträgen über das Internet«, erklärt Terry Swartzberg, Vorstandsmitglied von Beth Shalom. »Die progressiven Juden stellen die Mehrheit der Juden auf aller Welt«, ergänzt Dahmen. Und so hofft man auf tatkräftige Hilfe für das symbolträchtige Projekt.
Die Tatsache, dass mehr als 70 Jahre nach der Zerstörung der liberalen Münchner Hauptsynagoge ein neues liberales Gotteshaus errichtet würde, soll Juden weltweit zur Unterstützung animieren. »Wir hoffen auch, dass uns der Freistaat nicht im Stich lässt«, sagt Dahmen. Zusammen mit städtischen Zuschüssen könnten dann rund 40 Prozent der Baukosten aus öffentlicher Hand kommen, meint er.

Skepsis Doch zunächst gilt es, das Wohlwollen der betroffenen Anwohner zu ge-
winnen. Die jedenfalls stehen der Idee bisher mit gemischten Gefühlen gegenüber. Eine Bürgerversammlung soll bald einberufen werden, Bedenken existieren vor allem ob der Sicherheitslage. Aber es gibt auch positive Stimmen. Angela Miksch, deren Wohnung direkt an die Baustelle grenzen würde, hätte zwar am liebsten, dass »alles bleibt wie es ist«. Allerdings – wenn schon gebaut wird, »dann habe ich nichts gegen etwas Kulturelles. Bloß der Kinderspielplatz darf nicht weg.«
Unsicher ist jedoch noch, ob Beth Shalom das Grundstück überhaupt bebauen darf. Der derzeit geltende Bebauungsplan sieht dort nur Wohnungen vor. Und eine Änderung dieses Planes muss durch verschiedene städtische Instanzen und kann Jahre dauern. Das weiß auch Libeskind. Doch er meint gelassen, dass es oftmals ein langwieriger Prozess sei, kommunale Be-
hörden von einem Vorhaben zu überzeugen. Schließlich glaube er an das Projekt – sonst wäre er nicht gekommen. Seine Zu-
versicht teilt man auch bei Beth Shalom. Nach Libeskinds Besuch liegt es nun neben Bürgern und Verantwortlichen der Stadt vor allem an der Gemeinde, die Vision Tat werden zu lassen.

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