Niedrige Löhne

Arme Arbeiter

von Sabine Brandes

Yael Gudan arbeitete hart. Sechs Stunden täglich, von Sonntag bis Freitag. Am Monatsende hatte sie dafür 3.500 Schekel auf dem Konto. Umgerechnet 636 Euro. »Davon konnten ich und mein Sohn unmöglich leben«, sagt die alleinerziehende Kindergärtnerin aus Tel Aviv. Eine Vollzeit-
stelle hätte lediglich 80 Euro mehr gebracht. Also suchte sie nach alternativen Einkommensmöglichkeiten. Wie viele Israelis. Examinierte Chemiker treten mit Knalleffekten auf Kindergeburtstagen auf, Köche bieten neben ihrem regulären Job »hausgemachtes Essen mit Lieferservice«, Lehrer kellnern am Wochenende im Café. Von einem Gehalt allein können die wenigsten sich und ihre Familien heute ernähren. Gudan hatte eine einträgliche Idee: Die 45jährige paßt nun auf den Nachwuchs der Nachbarn in ihrer Wohnung auf. Flexible Öffnungszeiten und eine individuelle Betreuung machen ihr Angebot für berufstätige Eltern attraktiv. Und sie selbst hat 2.000 Schekel mehr zur Verfügung.
In Deutschland verdient ein Angestellter im bundesweiten Mittel mit Vollzeitstelle 3.384 Euro brutto, bei einem Arbeiter stehen – so die Angaben des Statistischen Bundesamtes – immerhin 2.507 Euro auf dem Lohnzettel. Von diesen Summen können israelische Arbeitnehmer nur träumen. Hier beträgt das durchschnittliche Einkommen weniger als 7.000 Schekel – vor Steuern. Umgerechnet sind das gerade einmal 1.266 Euro. Doch selbst das ist für viele eine unerreichbare Summe. Ein Viertel aller Beschäftigten verdient weniger als die Hälfte und ist damit beim offiziellen Mindesteinkommen von 606 Euro angekommen, gab die staatliche Israelische Versicherungsanstalt zum Ende des Jahres an.
1,65 Millionen Israelis haben Vollzeitstellen. Ein Drittel aller Angestellten sind im öffentlichen Dienst beschäftigt, also in städtischen Verwaltungen, bei der Armee oder der Regierung. Und die bezahlen schlecht. Mordechai Barsilai ist seit 20 Jahren Angestellter der Kleinstadt Ramat Hascharon. Mit Spätdiensten und Wochenendschichten kommt er auf 850 Euro mo- natlich. Kein Wunder, daß die Mehrheit der Arbeitnehmer ihr Kreditlimit bereits am Zahltag überschritten haben.
Ein Arbeiter im Kibbuz-Speisesaal bringt 670 Euro nach Hause. Etwa 80 Prozent aller Kibbuz-Mitglieder haben weniger als das Mindestgehalt zur Verfügung, schrieb die Tageszeitung Haaretz jüngst. »Stimmt«, sagt Halel Hadari. Auch er wuchs in einer Kooperative auf. An sein genaues Gehalt erinnert er sich nicht mehr. »Auf jeden Fall war es selbst für das einfachste Leben zu wenig.« Als junger Mann verließ Hadari den heimatlichen Kibbuz und studierte Geschichte. »Nicht nur wegen des Geldes, aber auch.« Heute, mit einem Doktortitel in der Tasche, unterrichtet der 38jährige aus Nahalal im Norden Kinder in Privatstunden und arbeitet nachmittags zudem als Englischlehrer für eine amerikanische Stiftung. Stundenlohn: 15 Euro brutto. »Wenn ich die Vorbereitungszeit abziehe, komme ich aber nicht einmal auf die Hälfte.«
Auch Efrat Kasantini hat zwei Universitätsabschlüsse und einen festen Job an der Tel Aviver Universität als Sozialarbeiterin. Eine Arbeit, die ihr Spaß, sie jedoch nicht reich macht. Kasantini verdient monatlich etwas mehr als 900 Euro. »Ich liebe meine Arbeit«, sagt die 33jährige. »Aber es macht mich wütend, daß ich noch nicht einmal unsere Miete damit verdiene.« Die Kasantinis leben mit ihren zwei Töchtern in einer Vier-Zimmer-Wohnung mit Garten im Norden von Tel Aviv und zahlen dafür 1.100 Euro plus Nebenkosten. Vor der Einfahrt stehen zwei Autos, die Kinder gehen in private Kindergärten, nachmittags zum Ballett und Englischunterricht. Kasantinis Ehemann ist selbständig. Er hat eine kleine Firma für Lichtgestaltung und arbeitet im Schnitt doppelt so viele Stunden wie ein Festangestellter. »Ja, manchmal ist es hart, daß wir beide viel und lange arbeiten«, gibt die Sozialarbeiterin zu, aber sie wollen ihren Töchtern schließlich etwas bieten und sie mit guter Bildung fürs Leben rüsten. Dann fügt sie hinzu: »Und ich hoffe, daß die beiden eines Tages angemessen für ihre Arbeit bezahlt werden.«
Lehrerin Ajelet Reschev arbeitet sechs Tage in der Woche an einer Mittelschule. Vor vier Jahren trennte sie sich von ihrem Ehemann und mußte mit ihren zwei Kindern zurück zu den Eltern ziehen. Es gab einfach keine andere Möglichkeit, erinnert sie sich. »Ich konnte von meinem mickrigen Einkommen unmöglich eine eigene Wohnung, Auto und Kinderbetreuung finanzieren.« Zwar bekommt die 40jährige Unterhalt für die Söhne, doch bei einem Gehalt von etwa 720 Euro mußte sie ihren Lebensstandard extrem herunterschrauben. Die Unterstützung vom Staat waren der Erlaß der städtischen Steuer plus 400 Schekel (73 Euro) Wohngeld. »Lächerlich«, meint Reschev verächtlich. Ihr sei damals wichtig gewesen, dieselbe gute Betreuung für ihre Söhne zu ermöglichen. »Und dafür ging der Großteil des Geldes drauf.« Ein Kindergartenplatz für Kinder bis fünf Jahre kostet monatlich im Schnitt 350 Euro.
Mittlerweile lebt Reschev mit ihrem neuen Lebenspartner und den Kindern wieder in eigenen vier Wänden. Doch die Erinnerung an die zwei Jahre im ehemaligen Kinderzimmer bei ihren Eltern bleibt. »Es ist bitter, wenn ich daran denke, daß ich allein noch nicht einmal die Basis für das Leben finanzieren könnte – wie sehr ich mich abrackere. Und so geht es fast allen Leuten, die ich kenne.« Sie liebe ihr Land und wolle nirgends anders leben. »Aber das Arbeit nicht anständig bezahlt wird, daran krankt unser System ganz gewaltig.«

Capri

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