Agunot

Angekettet

von Detlef David Kauschke
und Wladimir Struminski

Ariella Dadon ist Mutter zweier Kinder. Die 26jährige religiöse Frau lebt in einem Moschaw im Süden Israels, von ihrem Mann getrennt. Die Ehe ging nach zweieinhalb Jahren auseinander, nachdem sie von ihm physisch und psychisch mißhandelt wurde. Seit über drei Jahren versucht sie nun einen Get, einen Scheidungsbrief, zu erhalten. Bislang vergeblich, denn ihr Mann verweigert seine Zustimmung. »Mal sagt er vor dem Rabbinat, daß er die Ehe weiterhin will. Mal geht es auch um Geld, daß ich zahlen soll«, sagt Ariella Dadon. Mittlerweile hat sie sich an »Mavoi Satum« (Sackgasse) gewandt, eine Organisation, die sich für die Belange der Agunot einsetzt. Agunot sind Frauen, deren Mann den Get, den Scheidungsbrief, verweigert. Von »Mavoi Satum« erhalte sie viel Unterstützung – juristisch und moralisch – und habe dabei auch Mut gefaßt, über ihren Fall öffentlich zu reden. »Ich möchte, daß die Öffentlichkeit weiß, wie wir leiden«, sagt Ariella Dadon. »Wir haben den Teufelskreis der häuslichen Gewalt verlassen, sind aber immer noch Gefangene des rabbinischen Gerichts.«
Nach jüdischem Recht hat Ariellas Ehe weiterhin Bestand. Ohne Get kann sie nicht wieder heiraten. Falls sie mit einem neuen Partner Kinder hat, gelten diese als Mamserim (Bastarde) und unterliegen ihr Leben lang schwerwiegenden religiösen und juristischen Beschränkungen. So trifft die Bezeichnung Aguna, zu Deutsch »Angekettete«, durchaus zu.
Allein in Israel leben Schätzungen zufolge etwa 16.000 Agunot. Diese hatten mit Spannung auf eine in der ersten November-woche anberaumte rabbinische Agunot-Konferenz unter der Schirmherrschaft des sefardischen Oberrabbiners von Israel, Schlomo Amar, gewartet. Die Zusammenkunft, so ihre Hoffnung, werde eine halachisch zulässige, für die »Angeketteten« aber zufriedenstellende Lösung des Problems voranbringen. Als ein vielversprechender Ansatz gelten voreheliche Verträge. Durch sie kann eine Ehe rückwirkend annulliert werden, falls der Ehemann im Ernstfall den Scheidungsbrief verweigert. Die Hoffnung ging nicht auf. Im letzten Augenblick sagte der Oberrabbiner die in mühevoller Arbeit vorbereitete Konferenz ab. Eine offizielle Begründung wurde nicht gegeben, doch sprach sich der Grund schnell herum: Mit dem Rückzieher fügte sich Amar offensichtlich einer Anweisung des prominenten ultraorthodoxen Rabbiners Josef Schalom Eljaschiw. Der bekleidet zwar kein offizielles Amt, doch der 96jährige wird allgemein als ein führender Schriftgelehrter der Ultraorthodoxie anerkannt. Und er ist, wie es heißt, nicht an einer Änderung des Status quo interessiert.
Die derzeitige Rechtslage fußt auf der Tora. Dort heißt es (5. Buch Moses 25,1), daß ein Mann, dessen Frau nicht mehr seine Gunst findet, »ihr einen Scheidebrief schreiben« und sie »aus seinem Haus« entlassen soll. Dementsprechend hängt eine Scheidung davon ab, ob der Ehemann zustimmt. Tut er es nicht, ist sie eine Aguna. Ebenfalls kann eine Frau, deren Mann sich ins Ausland abgesetzt hat, als Aguna zurückbleiben. Oder sie wird zu einer »Angeketteten«, wenn der Mann durch eine schwere Krankheit – etwa im Koma liegend – einem Get nicht mehr zustimmen kann. Oder wenn der Mann tot ist, sein Ableben nach Unglückensfällen oder Terroranschlägen oder Krieg nicht endgültig geklärt ist. Über Jahrhunderte hinweg haben rabbinische Gelehrte versucht, diese Vorschriften auch im Sinne der Frauen anders zu deuten. So heißt es im Talmud (Yevamot 121 a) zum Beispiel, daß eine Frau, die bezeugen kann, daß ihr Mann verstorben ist, als Witwe anerkannt wird und frei ist, erneut zu heiraten.
Unter bestimmten Umständen kann es dem Talmud (Arachin 21 1) zufolge auch notwendig sein, Druck auf den scheidungsunwilligen Ehemann auszuüben. Doch vermissen viele Frauenorganisationen bei den Rabbinatsgerichten, die Bereitschaft, diese Möglichkeit auch wirklich anzuwenden. In Israel könnten die Rabbinatsgerichte Männer sogar in Haft nehmen lassen, wenn sie ihre Zustimmung zur Scheidung verweigern. Außerhalb Israels haben die Frauen zwar die Möglichkeit, eine zivilrechtliche Scheidung einzuklagen. Allerdings ändert das aus halachi- scher Sicht nichts an ihrem Status.
Polina Kislyanski aus Montreal/Kanada hat sich von ihrem Mann vor mehreren Jahren getrennt. Die zivilrechtliche Scheidung ist schon lange durch, nach jüdischem Recht sind sie jedoch noch immer verheiratet. Denn Polinas Mann verweigert ihr den Get. Dies hat das Rabbinische Gericht von Montreal im August vergangenen Jahres bestätigt. Seitdem versucht die New Yorker Hilfsorganisation ORA (Organisation for the Resolution of Agunot), daß Polina Kislyanski zu ihrem Recht kommt. »Wir reden immer wieder mit dem Mann und versuchen, ihn zu überzeugen, in eine Scheidung einzuwilligen. Aber er scheint seine Frau wirklich zu hassen, deshalb sagt er ›Nein’«, berichtet Yehoshua Zew von ORA. In 120 Fällen ist die Organisation in den vergangenen drei Jahren tätig geworden. »Ein Drittel konnten wir schon lösen. Die Frauen haben den Get bekommen. Der Rest ist noch offen.« Wie bei Polina Kislyanski. Ende Oktober organisierte ORA vor dem Haus der Mutter des scheidungsunwilligen Mannes eine Demonstration. Sie bestärkte ihren Sohn in seiner Position. Öffentlicher Druck soll die Lösung bringen. »Bisher haben wir noch nichts erreicht, aber wir machen weiter«, sagt Yehoshua Zew entschlossen.
Was tun, wenn wirklich nichts mehr geht? Wie lassen sich die traditionellen rabbinischen Entscheidungen der heutigen Zeit anpassen? Diese halachischen Probleme hätte die geplante rabbinische Konferenz in Jerusalem thematisieren können. Auch hätte die Frage der internationalen Zusammenarbeit rabbinischer Gerichte erörtert werden können. Denn die ist in der modernen Zeit besonders wichtig, da Ehemänner von heute auf morgen in ein anderes Land reisen können. »Ich weiß nicht, was wirklich erreicht worden wäre. Aber man hätte die Aufmerksamkeit auf die Probleme dieser Frauen lenken können«, bedauert Rabbiner Joseph Blau, ein Experte in Agunot-Fragen van der Yeshiva University. Blau war bereits nach Israel gereist, um an der Konferenz teilzunehmen. Im letzten Moment erfuhr er von der Absage. »Wir haben eine historischen Chance verpaßt. Es wäre das erste Mal gewesen, daß diese Fragen in einem globalen Rahmen besprochen worden wären.«
Nachdem die Konferenz nicht zustande gekommen ist, setzt »Mavoi Satum« keine Hoffnung mehr in den Dialog mit dem Rabbinat. Um so entschiedener will die Organisation nun von der Knesset eine gesetzliche Neuregelung verlangen, die die Rabbinatsgerichte zu mehr Rücksichtnahme auf die Agunot zwingt. »Daß die Konferenz abgesagt wurde, ist wie eine Ohrfeige«, sagt Rachel Azaria, Vorsitzende von »Mavoi Satum«. »Als religiöse Frau empfinde ich es als besonders schmerzhaft, daß das rabbinische Establishment sich nicht um eine Lösung bemühen will.« Arielle Adon meint zu wissen, warum das so ist. »Heirat und Scheidung sind das einzige Monopol, das dem Rabbinat noch verblieben ist. Deswegen wollen sie keine Veränderung«, meint sie. »Ich kenne Frauen, die schon 13 Jahre und länger warten. Wir wollen unsere Freiheit. Es ist Zeit, daß endlich etwas passiert.«

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