Madame Tussauds

Als Hitler den Kopf verlor

von Katrin Richter

Der dunkelbraune Tisch steht einsam in der grauen Ecke. Acht Bücher liegen darauf. Zwei links, eins in der Mitte, fünf rechts. In Rosa und Pastellgelb sind sie neben der Wandkarte des »Großdeutschen Reiches von 1944« die einzigen Farbtupfer im nachempfundenen Führerbunker. Der ist im neuen Wachsfigurenkabinett von Madame Tussauds in Berlins Mitte zu besichtigen. Bis zum vergangenen Samstag kurz nach 10 Uhr saß hin- ter diesem Tisch noch die Figur von Adolf Hitler. Eine Hand lag auf dem Buch in der Mitte, die andere auf seinem Schoß. Der Blick ins Nichts gerichtet. Über dem exakt gezogenen Haarscheitel des »Führers« drehten sich zwei große Deckenventilatoren. Die drehen sich zwar an diesem Montag immer noch. Doch die 25 Kilogramm schwere Figur ist weg, zur Reparatur.
Der »Führerbunker« wirkt verwaist. In der dunklen Ecke ist es zeitweise sehr still. Nur von nebenan, dort, wo Walter Ulbricht und John F. Kennedy stehen, sind in regelmäßigem Abstand ein paar Wortfetzen zu hören: »Ich bin ein Berliner« spielt das Tonband immer wieder.
Hitler sollte auch ein Berliner werden. Doch schon der zweite Besucher riss dem Diktator am vergangenen Samstag, dem Eröffnungstag von Madame Tussauds Berliner Dependance, den Kopf ab. »Eine gute Reklame«, findet das Berliner Ehepaar Börner, das sich am Montagnachmittag die Ausstellung ansieht. »Wir haben uns schon überlegt, ob das Absicht war.« Die beiden haben sich Sophie Scholl angesehen und sind dann an der gelben Linie stehen geblieben, die die Besucher davon abhalten sollte, sich mit der Hitler-Wachsfigur fotografieren zu lassen oder sie zu berühren. Eine Ausnahme. Denn Madame Tussauds fordert die Besucher ansonsten ausdrücklich dazu auf, sich den Prominenten zu nähern. Das Ehepaar Börner wollte Hitler zwar nicht anfassen, aber dass jetzt hinter dem Schreibtisch keiner mehr sitzt, stört sie schon ein bisschen. »Hitler gehört nun mal zu unserer Geschichte, mehr aber auch nicht«, sagt Herr Börner. Und wie er, so denken viele Besucher.
Andere haben offenbar noch gar nicht mitbekommen, dass Hitler nur ein paar Minuten Platz genommen hatte. »Was ist hier?«, fragt Florian. Der junge Lübecker kann mit dem leeren Schreibtisch nichts anfangen. »Ach Hitler«, sagt er. Es klingt ein wenig enttäuscht. Dann wirft der Student einen kurzen Blick auf die Infotafel. »Wo ist er denn?« Von dem Vorfall am Wochenende habe er nichts gehört. Auch die erregte Diskussion über die Frage, ob man Hitler überhaupt ausstellen dürfe, habe er nicht verfolgt. »Mich interessiert eher der Beckenbauer«, sagt Florian, und dann ist er auch schon verschwunden. Wie die anderen Besucher läuft er den rot tapezierten Gang entlang. Kaum einer, den es stört, dass es hinter dem großen dunkelbraunen Tisch nichts zu sehen gibt.
Für Frank L. stellte sich die Kulisse am Samstag noch anders da. Vollständig, mit »Führer«-Figur. Und deretwegen ist der Kreuzberger gekommen. Als zweiter Besucher steht er an der Kasse. Es ist genau 10 Uhr, 18.50 Euro Eintritt hat Frank L. gezahlt. Dann geht er durch den schmalen Gang. Vorbei an Bismarck, vorbei an Karl Marx, der mit seinem imposanten weißen Bart schräg gegenüber von Sophie Scholl sitzt. Frank L. sieht sie alle und dann auch ihn, Adolf Hitler. Der 41-Jährige drängt einen Besucher zur Seite und schubst einen Mitarbeiter von Madame Tussauds an die Wand. Dann stürzt er sich auf die Figur, ruft »Nie wieder Krieg!« und reißt ihr den Kopf ab. Nach vollbrachter Tat macht Frank L., den andere Besucher als »ganz normalen Typen« beschreiben, keine Anstalten zu flüchten. Minuten später wird der Mann von der Polizei abgeführt. Am nächsten Tag gesteht der ehemalige Polizist und gelernte Altenpfleger, dass die ganze Aktion auf eine Wette zurückgeht.
Noch eine gute halbe Stunde nach der Eröffnung ist die Aufregung riesig. Auf dem Gehweg Unter den Linden stehen Kameras, werden Mikrofone in die Höhe gehalten und Notizblöcke gezückt. Eine improvisierte Pressekonferenz der Berliner Polizei. Ein Sprecher trägt kurz vor, was passiert ist. Der Publizist Henryk M. Broder ruft urplötzlich dazwischen: »Endlich ein Attentat auf Hitler, das geklappt hat.« Alle lachen, selbst der Polizeisprecher. Das Bonmot vom »kopflosen Führer« macht seine Runde durch die Medien.
»Was Hitler denn habe?«, witzeln einige Besucher, die sich am Montag versuchen vorzustellen, wie Frank L. sich auf die Figur stürzte. Andere sind enttäuscht. »Ich bin extra wegen der Hitler-Figur hierhergekommen«, sagt ein Frankfurter. Doch das gilt wohl nur für die Wenigsten. Die Beatles, Oliver Kahn und Marlene Dietrich – das sind historische Persönlichkeiten, die die Besucher anziehen. Im oberen Stockwerk ist die Figur aus dem Bunker kein besonderes Thema. »Ja, der gehört halt zur deutschen Geschichte, aber ob Hitler nun hier ausgestellt wird oder nicht, das ist mir egal«, sagt Daniela. Die 16-jährige Schülerin aus der Nähe von Köln steht neben dem blond gelockten Moderator Thomas Gottschalk. Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett kenne sie aus London und wollte mal sehen, wer hier in Berlin ausgestellt wird. »Ich war überrascht, wie klein Angela Merkel ist«, sagt die Schülerin. Den nachgebildeten Bunker habe sie gar nicht richtig gesehen. Da saß keiner drin, also bin ich weitergegangen.« Wie so viele, die zwar kurz vorbeischauen, sich dann aber lieber mit Tom Cruise oder Madonna fotografieren lassen. Mit Hitler wäre das nicht möglich. Kurz vor dem Bunker weist ein Schild darauf hing, dass das Berühren der Figur und das Fotografieren aus Respekt vor den Millionen Opfern des Zweiten Weltkriegs hier untersagt ist. Darum hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland gebeten. Zusätzlich gibt es eine Informationstafel. Dort kann man nachlesen, wer der Diktator war.
Doch bei aller Brisanz: Kaum einer hätte wohl damit gerechnet, dass sich jemand auf den wächsernen Hitler stürzen würde. Auch die beiden Mitarbeiter von Madame Tussauds offenbar nicht. So konnten sie den Angriff auf die 200.000 Euro teure Figur nicht verhindern. Wie groß der entstandene Schaden ist, darüber geben den Verantwortlichen keine Auskunft. Fest steht aber: Adolf Hitler kehrt nach Berlin zurück. Wann genau, ist unklar. Aber die Verantwortlichen des Wachsfigurenkabinetts versichern: Er kommt. Vollständig, mit Kopf auf dem Rumpf. Eine unglaubliche Vorstellung. Nicht nur für Frank L.

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