Wuligers Woche

Antisemitisch? Absurd!

Eine Anekdote aus der Geschichte der »Israelkritik«

von Michael Wuliger  13.08.2020 09:30 Uhr

Generaloberst David Dragunsky Foto: ullstein bild

Eine Anekdote aus der Geschichte der »Israelkritik«

von Michael Wuliger  13.08.2020 09:30 Uhr

Generaloberst David Dragunsky wird auch den meisten Experten für sowjetische Militärgeschichte kein Begriff sein.

Prominent wurde der Panzerkommandant nicht im Zweiten Weltkrieg, sondern 38 Jahre später. 1983 erschien auf Seite 1 der »Prawda« ein offizieller Aufruf der sowjetischen Führung gegen den Zionismus, der, so der Text, »Ultranationalismus, Chauvinismus und rassische Intoleranz vereint, ein Vorwand für territoriale Besetzung und Annexion ist, volks- und menschenfeindliche Politik und Propaganda betreibt sowie mit perfider Taktik Diversion sät«.

Taktik Zu dieser perfiden Diversionstaktik, erläuterte der Artikel, gehöre vor allem »der absurde Versuch der zionistischen Ideologen, diejenigen, die sie kritisieren oder die aggressive Politik der herrschenden Kreise Israels verdammen, als antisemitisch darzustellen«.

Dass Moskaus Antizionismus mit Antisemitismus nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hatte, dafür bürgte als Unterzeichner David Abramowitsch Dragunsky, schon an Vor- und Vatername als jüdischer Sowjetbürger erkennbar.

Viel Erfolg hatte der zweifache Held der Sowjetunion damit nicht. Der judenfeindliche Hautgout des sowjetischen Antizionismus war notorisch.

Mit ihm hatten weitere angesehene Angehörige dieser in der UdSSR schon immer respektierten und stets gut behandelten Nationalität signiert. Spontan gründeten sie nach Erscheinen des Prawda-Textes eine Organisation, um die Botschaft des Aufrufs im In- und vor allem im Ausland zu verbreiten, das »Antizionistische Komitee der sowjetischen Öffentlichkeit«. Vorsitzender wurde David Dragunsky.

Sozialismus Viel Erfolg hatte der zweifache Held der Sowjetunion damit nicht. Der judenfeindliche Hautgout des sowjetischen Antizionismus war notorisch. Zwar ging man im Mutterland des Sozialismus nicht ganz so krude vor wie im benachbarten Polen, wo 1968 im Zuge einer Kampagne der Zionismus von Parteikadern anhand ihrer ursprünglichen jüdischen Namen entlarvt wurde, in einigen Fällen auch durch eine Untersuchung der Geschlechtsteile auf die fehlende Vorhaut.

Aber dass in offiziellen Publikationen wie »Judentum ohne Maske« oder »Vorsicht, Zionismus«, die in Millionenauflagen erschienen, viel und gerne aus den Protokollen der Weisen von Zion zitiert wurde (wenn auch ohne Quellenangabe), war bekannt. Ein führender (notabene nicht jüdischer) sowjetischer Historiker beschwerte sich 1975 bei dem Chefideologen der KPdSU, Michail Suslow, dass »unter der Flagge des Antizionismus spürbar Antisemitismus geschürt« werde.

Phänomen David Dragunsky starb 1992. Sein »Antizionistisches Komitee« löste sich 1994 auf. Etliche Publikationen des Vereins sind im heutigen Russland immer noch in Umlauf, jetzt herausgegeben von faschistischen Gruppen. PS: Ähnlichkeiten mit aktuellen Phänomenen in Deutschland und anderswo sind rein zufällig.

Dragunsky und seine Mitstreiter lebten in einer Diktatur. Möglicherweise handelten sie unter Druck. Die jüdischen Freunde des Antizionismus heute zwingt keiner. Sie tun es freiwillig.

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Nur nicht selbst beteiligen oder Tipps für den Mietwagen in Israel

von Ayala Goldmann  20.04.2024