Ob in Israel oder in Deutschland – die Beziehungen zwischen den beiden Ländern werden seit jeher aufmerksam verfolgt. In Israel sahen viele den Beginn der diplomatischen Beziehungen sehr skeptisch. Vor 60 Jahren wurden in beiden Ländern Botschaften eröffnet. Endlich konnten Juden auch in Deutschland einen israelischen Pass beantragen. Wir wollten wissen, woran sich Jüdinnen und Juden, die damals diesen Anfang miterlebt haben, erinnern.
Andreas Nachama, Rabbiner und ehemaliger Gemeindevorsitzender, Berlin
Die diplomatischen Beziehungen begannen im Mai 1965, etwa ein halbes Jahr nach meiner Barmizwa und zwei Jahre vor meinem ersten Israelbesuch im Dezember 1967. In Berlin gab es damals einen »inoffiziellen« israelischen Botschafter, das war Rudi Sander, der Repräsentant der EL AL, die seit 1964 ein Büro im Europa Center unterhielt. Er gehörte zum Freundeskreis meiner Eltern, Lilli und Estrongo Nachama, und so ergab es sich, dass beim Kaffee oder beim Abendbrot mit ihm und seiner Frau darüber gesprochen wurde. Rudi Sander gehörte zur High Society in Berlin und wurde zu offiziellen Senatsempfängen eingeladen. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, waren alle in diesem jüdischen Kreis meiner Eltern dafür, dass in Bonn nicht nur die arabischen Staaten, sondern auch Israel eine Botschaft haben sollte.
Die Eröffnung der Botschaft in Bonn war ein freudiges Ereignis für die jüdische Community in West-Berlin. Ich bin sicher, dass der erste Berlin-Besuch Asher Ben-Natans, des ersten israelischen Botschafters in der Bundesrepublik, in der »Jüdischen Allgemeinen« von Heinz Galinski, dem Gemeindevorsitzenden, mit einem Leitartikel bedacht wurde. Asher Ben-Natan wurde dann auch zu einem Freund Heinz Galinskis.
Herbert Rubinstein, ehemaliges Vorstandsmitglied der Gemeinde, Düsseldorf
Rein privat können meine Frau Ruth und ich uns nur erinnern, dass der erste deutsche Botschafter in Israel Rolf Friedemann Pauls war. Er hinkte. Die Tante meiner Frau, Sybille Alfeld (Zippora Alpeled), wohnte in Tel Aviv und war vor ihrer Auswanderung nach Palästina Studienrätin in Köln gewesen. Da die Kinder von Botschafter Pauls Hebräisch lernen mussten, übernahm sie diese Aufgabe. Es formierte sich in Israel großer Widerstand gegen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, kein Wunder, wenn wir heute zurückblicken, gab es doch 1965 viele Holocaust-Überlebende und geflüchtete deutsche Juden in Israel, für die Deutschland ein No-Go war. Ich erinnere mich an den ersten Botschafter Asher Ben-Natan. Er war für uns der israelische »Curd Jürgens«.
Jael Botsch-Fitterling, ehemaliges Mitglied des Gemeinde-Präsidiums, Berlin
In meinem ersten israelischen Pass steht: »Gültig für alle Länder, außer Deutschland«. Ich habe sowohl von Geburt die palästinensische, nach der Staatsgründung die israelische und rückwirkend von Geburt an die deutsche Staatsbürgerschaft. Mein erster deutscher Ausweis musste noch in London ausgestellt werden, denn in Israel war das damals nicht möglich. Dort lebten wir. Mein Vater, Walter Schachtel, zog im Mai 1933 von Berlin nach Palästina. Dort lernte er seine spätere Ehefrau Mirjam (Marianne Ruth Frankenstein), eine Medizinstudentin aus Hamburg, kennen.
In der Nachkriegszeit war Deutschland für die meisten Israelis tabu, aber meine Eltern wollten wieder zurück, weshalb sie die Beziehungen der beiden Länder intensiv verfolgten. Israel war in dieser Zeit in einer ökonomischen Notlage. Wir lebten in Nahariya, dort bauten unsere Eltern Obst und Gemüse für Restaurants an. Als meine Mutter von einer Reise aus dem Ausland wiederkam, demonstrierte sie uns fünf Kindern, wie groß ein Schnitzel sein konnte – so groß wie ihre Hand. Wir mochten es ihr gar nicht glauben. Zur Barmizwa meines Bruders erhielten wir eine Sondergenehmigung, dass wir fünf Truthähne aus eigener Zucht für 100 Gäste schlachten durften.
Es gab in den 50er-Jahren eine Handelsmission zwischen Israel und Deutschland. Mein Onkel wurde dort Attaché und zog mit meiner Tante und meiner Cousine nach Köln. Das war im Sommer 1953. Zwei Jahre später besuchte meine Mutter die Yarons und prüfte, ob es ratsam wäre, in Nachkriegsdeutschland zu leben. Mein Vater war immer dafür, Beziehungen aufzubauen. In Israel war das nicht leicht.
Eine Wende gab es erst nach dem Eichmann-Prozess. Als Deutschland die dringend benötigte Eisenbahn als Reparationszahlung für Israel finanzierte, kam es zu Protesten im Land. 1957 zogen meine Familie und ich nach Frankfurt und holten später den Vater meiner Mutter nach. Am 24. August 1965 wurde die israelische Botschaft in Köln eröffnet. Ein Jahr darauf zog sie nach Bonn um. Bereits als Studentin engagierte ich mich in der Deutsch-Israelischen Studentengruppe und später bei der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.
Albert Meyer, ehemaliger Gemeindevorsitzender, Berlin
Ich war juristischer Referendar in Nordrhein-Westfalen und erhielt die Möglichkeit, bei einer Kanzlei in Israel eine Auslandswahlstation zu absolvieren. Einer ihrer Klienten war ein deutscher Staatsbürger, der im Ausland festgenommen worden war und schließlich vor einem israelischen Militärgericht angeklagt wurde. Zu meinen Aufgaben gehörte es, mit den Mitarbeitern der deutschen Botschaft Gespräche zu führen – auch hinsichtlich des zu zahlenden Honorars. Das war im Jahr 1974. Ich erinnere mich noch, wie fremd den Mitarbeitern die jüdische Community vorkam. Keiner wusste, dass ich Jude bin – sie empfahlen mir, mich nicht in Gespräche verwickeln zu lassen. Als sich der deutsche Botschafter Rolf Pauls ein paar Jahre davor in Israel vorstellte, waren meine Eltern – und wahrscheinlich viele andere auch – überrascht. Denn er war ein Kriegsversehrter. Letztendlich hat er einen guten Job gemacht.
Mordechay Lewy, israelischer Gesandter in Deutschland (2000 bis 2004), Bonn
Als die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik begannen, war ich 17 Jahre alt und besuchte in Israel das Gymnasium. Ich wurde am 15. Mai 1948, dem Unabhängigkeitstag, geboren. Die Aufnahme der Gespräche war damals ein großes Thema. In der Bundesrepublik galt seit 1955 die sogenannte Hallstein-Doktrin, die beinhaltete, dass Staaten, die die DDR als eigenen Staat anerkennen würden, mit diplomatischen und wirtschaftlichen Sanktionen zu belegen seien.
Der damalige ägyptische Regierungschef Gamal Abdel Nasser drohte immer wieder, die DDR als Staat anzuerkennen, wenn die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen zu Israel aufnimmt. Doch dann lud er Anfang 1965 den DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht zu einem Besuch nach Ägypten ein – und erkannte somit die DDR an. Dadurch war der Weg für diplomatische Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik geebnet.
Im März 1965 beschloss die BRD unter Kanzler Ludwig Erhard, dem Staat Israel diplomatische Beziehungen anzubieten. Zwei Monate später wurde der gegenseitige Austausch von Diplomaten vereinbart. Im Mai 1965 »stolperte« die Bundesrepublik gewissermaßen in die Beziehungen mit Israel hinein. Ich denke, es war eine wohldurchdachte, subtile Idee, mit Rolf Pauls einen versehrten Wehrmachtsoffizier, dem keine Verbrechen nachzuweisen waren, als ersten Botschafter nach Israel zu schicken. Israel konnte so nicht ablehnend reagieren.
Vorausgegangen war in den 50er-Jahren die Israel-Mission, eine dem israelischen Finanzministerium unterstellte »Handelsmission« zur Abwicklung von deutschen Wiedergutmachungsleistungen nach dem Luxemburger Abkommen von 1952. Mit diesem Wirtschaftsabkommen sollten in Israel Projekte angekurbelt werden, wie beispielsweise der Bau der Eisenbahn und der Straßen. Dafür wurden die deutschen Reparationszahlungen gebraucht, auch wenn in der Knesset die Opposition gegen diese Zahlungen war. Aber Israel befand sich in einem ökonomischen Notstand.
Mit Deutschen wollte man nichts zu tun haben. Die Kinder der Mitarbeiter der Handelsmission in der Bundesrepublik besuchten Schulen in Holland und Luxemburg und sollten möglichst keinen Kontakt zu Deutschen haben. Ich habe mich entschieden, nach meiner Tätigkeit als Gesandter in Deutschland zu bleiben und habe in Frankfurt Geschichte studiert.
Alfred Jacoby, Architekt, Darmstadt
Als erster Botschafter Israels kam Asher Ben-Natan 1965 nach Bonn. »Man kann keine Seite aus dem Buch der Geschichte herausreißen«, beschrieb er damals der Zeitung »Ma’ariv« seine Aufgabe.
Als erster israelischer Regierungschef besuchte Yitzhak Rabin im Juli 1975 Deutschland. Der Tageszeitung »Die Welt« gewährte er ein Interview. Ich sollte ihm einige Fragen auf Englisch stellen, sie auf Tonband aufnehmen und ins Deutsche übersetzen. Nach dem Ende der Fragerunde nahm Rabin mich zur Seite. »Sie sind jüdisch, jung, gut ausgebildet und sprechen mehrere Sprachen. Weshalb sind Sie noch hier?«
Genau 50 Jahre nach dem Novemberpogrom wurde 1988 die Neue Synagoge in Darmstadt eingeweiht. Einer der Festgäste war der Historiker Golo Mann, der mich bat, ihn durch das Haus zu führen. »Heute leben nur 27.000 Juden wieder in diesem Land. Glauben Sie, dass es richtig ist, ein so großes Haus für eine so kleine Gemeinschaft zu erbauen?«, fragte er. Ich antwortete ihm: »Wir sind hier und wir bleiben hier.« Er hat beides verstanden.
Aufgezeichnet und zusammengestellt von Christine Schmitt