Gelsenkirchen

»Wir wollen Normalität zeigen«

»Wir wollen dazu beitragen, dass die Menschen die Schwellenangst verlieren«: Gemeindevorsitzende Judith Neuwald-Tasbach Foto: Uwe Steinert

Gelsenkirchen

»Wir wollen Normalität zeigen«

Judith Neuwald-Tasbach über die »Woche der Brüderlichkeit«, Antisemitismus und Schalker Fan-Projekte

von Heide Sobotka  05.03.2018 20:23 Uhr

Frau Neuwald-Tasbach, am 11. März beginnt die 67. »Woche der Brüderlichkeit«. Die Jüdische Gemeinde Gelsenkirchen beteiligt sich mit rund zehn Veranstaltungen. Wie kam es dazu?
Wir pflegen schon seit Langem eine Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Recklinghausen und haben uns sehr gefreut, als sie auf uns zugekommen ist und fragte, ob wir an diesem wunderbaren Programm teilnehmen wollen.

Warum ist es Ihnen als jüdische Gemeinde so wichtig, an der Woche der Brüderlichkeit teilzunehmen?

Ich glaube, dass ein ungeheuer großer Bedarf in unserer Gesellschaft nach Wissen und Verständnis über jüdisches Leben vorhanden ist und wir uns nicht immer nur zu Gedenkfeiern treffen sollten. Hier kommen wir mit Menschen ins Gespräch, die sonst vielleicht nicht kommen würden, und sie können sehen, dass jüdisches Leben gar nicht so anders ist, dass die jüdische Gemeinschaft ein selbstverständlicher Bestandteil der Stadtgesellschaft ist. Wir wollen ihnen ein Stück Normalität zeigen und dazu beitragen, dass Menschen die Schwellenangst verlieren, jüdische Gemeinden zu besuchen.

Sie führen die Kinderoper »Brundibár« auf, zeigen Interessierten Ihr Haus, erklären den Jüdischen Friedhof und widmen sich dem Thema Medizinethik.
Die Gemeindemitglieder freuen sich schon auf die Aufführung von »Brundibár«. Das ist für sie ein absolutes Highlight. Viele Themen, die wir jetzt im Programm haben, gehören aber auch zu unserem Standardrepertoire, wie etwa die jüdische Küche zu Feiertagen oder die Synagogenführungen und Friedhofsbesuche.

Ein Programmpunkt ist auch Antisemitismus. Warum sprechen Sie über dieses Thema mit Menschen, die durch ihr Interesse an der Woche der Brüderlichkeit dem Judentum ohnehin schon positiv gegenüberstehen?
Wir können leider gar nicht oft genug davon sprechen. Gerade weil sie sich von vorneherein aufnahmebereit zeigen, ist diese Veranstaltung während der Woche der Brüderlichkeit eine Möglichkeit, das Thema bei den Menschen zu verankern, sie zu sensibilisieren und ihnen zu zeigen, dass Antisemitismus keine Kleinigkeit ist, sondern Menschen verletzt. Dass er in vielen Formen existiert und wir sehr vorsichtig sein müssen, mit dem Problem für die Zukunft richtig umzugehen. Wir hoffen, dass sie als Multiplikatoren dieses Wissen in ihr privates Umfeld tragen.

Eine weitere Veranstaltung ist Schalke gewidmet. Was verbindet die Gemeinde mit dem Fußball-Erstligisten?

Zunächst einmal das blau-weiße Herz. Uns verbindet in der Tat sehr viel. Schalke hat uns nach dem Anschlag auf die Synagoge sofort und beispiellos geholfen und menschlich beigestanden. Der Verein hat immer Stellung gegen Antisemitismus bezogen und zahllose Fan-Projekte wie etwa gemeinsame Gedenkfeiern und Antidiskriminierungskampagnen finanziert. Der Klub hat ein sehr stringentes Konzept gegen das Vergessen und zur Sensibilisierung für das jüdische Leben entwickelt. So hat Schalke zum Beispiel einen Preis ins Leben gerufen, der den Namen eines jüdischen Jugendfußballspielers trägt: die Ernst-Alexander-Auszeichnung. Sie ging 2018 an das Grillo-Gymnasium Gelsenkirchen. Die Ehrung fand vor einem Bundesligaspiel auf dem Spielfeld statt. Funktionäre und Spieler sind mit Schülern zur Gedenkstätte Westerbork gefahren. Das sind sehr einprägsame Zeichen, denn über einen Fußballverein erreicht man zigtausend Menschen. Und wenn – wie bei Schalke – Vereinsführung, Sprecher und Spieler Stellung gegen Rassismus und Antisemitismus beziehen, dann strahlt das positiv in die Fan-Szene aus.

Der Sänger Peter Maffay erhält die Buber-Rosenzweig-Medaille. Wie finden Sie die Entscheidung?
Ganz großartig. Was er macht, ist sehr gut. Sein soziales Engagement und sein Einsatz gegen Rassismus und für Toleranz sind beispielhaft. Menschen, die sich persönlich dem Thema so verschreiben wie Peter Maffay, die muss man als Leuchttürme, als Vorbilder ehren. Seine Adaption des Songs »Über sieben Brücken musst du gehn« hat meine Generation begleitet und stark geprägt. Das Motto in diesem Jahr lautet ja auch »Angst überwinden – Brücken bauen«, das hat Maffay wirklich getan. Er hat die Auszeichnung auf jeden Fall verdient.

Mit der Gelsenkirchener Gemeindevorsitzenden sprach Heide Sobotka.

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