Jüdisches Museum Berlin

»Wir hoffen auf unbekannte Geschichten«

Tamar Lewinsky im Jüdischen Museum Berlin (JMB) Foto: Stephan Pramme

Jüdisches Museum Berlin

»Wir hoffen auf unbekannte Geschichten«

Tamar Lewinsky über ihre Ausstellungspläne zu Juden in der DDR und die Suche nach Objekten

von Christine Schmitt  22.01.2022 18:18 Uhr

Frau Lewinsky, Sie suchen Objekte, die vom jüdischen Leben in der ehemaligen DDR erzählen. Was haben Sie vor?
Das Jüdische Museum Berlin (JMB) bereitet eine Wechselausstellung vor, die sich dem jüdischen Leben in der ehemaligen DDR widmet, also eine kulturhistorische Ausstellung. Wir rufen in diesem Jahr dazu auf, uns Gegenstände aus unterschiedlichen Lebensbereichen zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig wollen wir die Sammlung des JMB kontinuierlich weiter ausbauen und einen neuen Sammlungsschwerpunkt zu diesem Thema etablieren.

Welche Objekte können das sein?
Da sind wir ganz offen. Wir freuen uns über private oder offizielle Dokumente, Briefe, Fotos, private Filmaufnahmen, dreidimensionale Objekte und Judaika. Wichtig sind uns dabei die Geschichten, die zu den Objekten gehören. Wenn ein starkes Narrativ dazu kommt, kann auch eine einfache Tasse unheimlich spannend werden. Wir hoffen auf interessante, unbekannte Geschichten.

Wie sollen der Gegenstand und das Narrativ präsentiert werden?
Wenn wir Objekte für das Jüdische Museum geschenkt bekommen, dann dokumentieren wir diese, einschließlich ihrer Geschichten. Das ist ein Schwerpunkt unserer Sammlungstätigkeit. In der Ausstellung möchten wir das vertiefen. Dazu werden wir mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen Interviews führen, also mit Personen, die einen biografischen Bezug zum Thema haben. Perfekt wäre es, wenn sie dabei etwas zu ihren Objekten erzählen können.

Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Als Kuratorinnenteam haben wir bereits für die neue Dauerausstellung die Jahre ab 1945 kuratiert. Über eine lange Zeit haben wir uns immer wieder damit auseinandergesetzt, wie wir die DDR miterzählen können, und sind auf viele spannende Themen gestoßen, aber wir hatten leider nicht genügend Platz, alles darzustellen. Deshalb haben wir vorgeschlagen, dass wir diesem Thema ein größeres Ausstellungsprojekt widmen sollten. Daraufhin haben wir einen guten Zuspruch im Haus bekommen. Im Sommer 2023 soll die Ausstellung eröffnet werden.

Gibt es eine Geschichte, die Sie besonders begeistert hat?
Uns hat eher generell begeistert, wie viele Themen und unerzählte Geschichten mit dem Projekt in den Mittelpunkt rücken. Wir haben gemerkt, dass vieles nicht präsent ist. Wenn man den Leuten erzählt, dass es jüdisches Leben in der DDR gab, stößt man auf Erstaunen. Es gab beispielsweise acht jüdische Gemeinden und viele jüdische Akteurinnen und Akteure in Politik, Wissenschaft und Kultur.

Wie groß waren die jüdischen Gemeinden in der DDR?
Sie waren klein. In Ost-Berlin bestand die Gemeinde um die Wendezeit aus 200 Mitgliedern und war mit Abstand die größte. Die anderen Gemeinden hatten weitere 200 Mitglieder. Sie waren stark überaltert. Sie hätten nicht überlebt, wenn nicht die Emigranten aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion gekommen wären.

400 aktive Juden in der ehemaligen DDR hören sich ziemlich wenig an.
Gewiss. Aber wir verstehen die jüdische Erfahrung nicht nur in halachischem Kontext. Diese Erfahrungen können auch familiäre Traditionen sein, die weitergegeben werden, eine gemeinsame Geschichte, die gerade bei den Remigrantinnen und Remigranten präsent war, die zurückgekehrt waren, um einen antifaschistischen Staat mit aufzubauen. Nicht wenige von ihnen nahmen in der DDR bedeutende politische Funktionen ein und prägten das kulturelle Leben.

Haben Sie schon erste Objekte?
Ja. Da ist beispielsweise ein Sederteller, der in China produziert wurde und einen Fehldruck in der Schrift aufweist: Seder steht spiegelverkehrt. Es war Ausschussware und wurde nach Ost-Berlin gebracht. Dort gab es ja einen Mangel an Judaika, woher sollte man sie bekommen?

Ist das Thema ein Novum?
Nein, denn es gibt hier und dort bereits Sammlungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten wie etwa die Akten vom Verband der Jüdischen Gemeinden in der DDR im Centrum Judaicum, Nachlässe von Künstlern in der Akademie der Künste oder Nachlässe von Politikern im Bundesarchiv. Wir möchten diese unterschiedlichen Bereiche nun aber stärker zusammenbringen. Der Fokus soll nicht nur auf den Gemeinden liegen, sondern auch auf dem Alltagsleben und individuellen Familiengeschichten. Dabei wollen wir möglichst viele unterschiedliche Stimmen zu Gehör bringen.

Mit der Kuratorin des Jüdischen Museums Berlin (JMB) sprach Christine Schmitt.

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