Düsseldorf

Verlegerin der ersten Stunde

Eine auf Hochtouren laufende Druckerpresse kündigte 1946 im südlichen Düsseldorfer Stadtteil Benrath einen besonderen Neubeginn an. Die tiefschwarze Maschine spuckte Hunderte Exemplare einer Zeitung mit dem Titel »Jüdisches Gemeindeblatt für die Britische Zone« aus. Das Medium wurde bald darauf zum »Allgemeinen Wochenblatt der Juden in Deutschland« und damit zur Vorgängerzeitung der heutigen »Jüdischen Allgemeinen«.

In einer ruhigen Nebenstraße startete damit die publizistische Vernetzung der überlebenden jüdischen Deutschen im Westteil des Landes, der späteren Bundesrepublik – unter der Leitung von Karl und Lilli Marx.

Ihre Eltern wurden im KZ ermordet

Lilli Marx, 1921 als Lilli Behrendt in ein liberales Berliner Elternhaus geboren, konnte 1939 nach England fliehen. Ihre Eltern wurden im KZ ermordet. In London lernte die junge Frau ihren späteren Ehemann kennen, den 24 Jahre älteren Journalisten Karl Marx. Die beiden kehrten schon 1946 nach Deutschland zurück und fingen in Düsseldorf neu an, als Medienunternehmer der ersten Stunde.

Dass Lilli Marx nach der Hochzeit 1947 weiterarbeitete – noch dazu in leitender Funktion –, war für damalige Zeiten ungewöhnlich. Ihr Ehemann Karl schrieb Leitartikel, während sie sich als Geschäftsführerin um Organisation und Weiterentwicklung des Verlags kümmerte.

Nach der Hochzeit arbeitete sie in leitender Funktion weiter.

Die gebürtige Berlinerin setzte sich von Benrath aus für die Wiederbelebung jüdischer Traditionen und Werte ein – und für die Aussöhnung mit der Mehrheitsgesellschaft. Sie engagierte sich im Vorstand der Düsseldorfer Gemeinde und war 1951 Mitgründerin der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in der NRW-Landeshauptstadt. Auch für eine Verbesserung der Rolle der Frau machte sich die Rückkehrerin stark. Unter ihrer Leitung erschienen Beilagen, die auch soziale und Frauenthemen betrafen wie »Frau in der Gemeinschaft«.

Lilli Marx zählte 1958 auch zu den Gründerinnen des ersten Soroptimistinnen-Klubs in der NRW-Landeshauptstadt, der sich für Gleichberechtigung und Menschenrechte für Frauen und Mädchen einsetzt. Hanne von Schaumann-Werder, ehemalige Deutschland-Präsidentin von Soroptimist International, kann sich noch gut an die Begeisterung erinnern, mit der Lilli Marx die Frauen im Klub mitriss und neue Ideen entwickelte.

Lebensabend im Nelly-Sachs-Haus

Nach dem Tod ihres Mannes 1972 zog sich Lilli Marx als Geschäftsführerin zurück. Sie heiratete den Schriftsteller Alexander Czerski und pendelte zwischen Deutschland und Israel. Ihren Lebensabend verbrachte sie im Nelly-Sachs-Haus, dem Alten- und Pflegeheim der Düsseldorfer Gemeinde. Dort starb sie am 5. April 2004 mit 83 Jahren.

Doch ihre Wirkung hält an. Auf Initiative der Benrather Bürgerschaft wurde 2022 zunächst eine Straße nach ihr benannt. Und inzwischen hatte sich ein Bildungsprojekt gegründet, das speziell junge Menschen über Lilli Marx informieren möchte. Dahinter stehen die Heimatgemeinschaft Groß-Benrath, der Soroptimistinnen-Klub und die Stadt. Das Ziel war früh klar: ein Museumsraum.

Jahrelang liefen Vorbereitungen und Recherche. Wolfgang D. Sauer, Leiter des Heimatarchivs Benrath, suchte in diversen Archiven Material zusammen, er fand auch die Heiratsurkunde. Für den pensionierten Deutsch- und Geschichtslehrer ist die Publizistin »eine Brückenbauerin für Freundschaft und Aussöhnung«. Schülerinnen und Schüler des Benrather Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasiums erstell­ten eine Ausstellung mit Bildern aus dem Leben von Lilli Marx und nahmen einen Podcast auf. Die Schirmherrschaft des Projekts übernahm Rita Süßmuth. Sie unterstrich bei der Eröffnung: »Lilli Marx ist ein großes Beispiel dafür, dass Versöhnung möglich ist.«

Bert Römgens, Geschäftsführer der Gemeinde und Leiter des Nelly-Sachs-Hauses, lernte Lilli Marx noch im Seniorenheim kennen: »Sie liebte den konstruktiven Dialog, mich begeisterte ihr wacher Geist.« Zur Finanzierung des Museumsraums trugen der Galerist Till Breckner und der Künstler Günther Uecker bei. Uecker stiftete zwei Grafiken. Die Düsseldorfer Soroptimistinnen-Klubs übernehmen die Raummiete. Für die Ausstellungsgestaltung sorgte das Atelier Nils Kemmerling zusammen mit Masthoff Architektur.

Sie gründete einen der ersten Soroptimistinnen-Klubs in Düsseldorf.

Der Raum konnte nun – am 104. Geburtstag der Verlegerin – im ersten Stock des Bürgerhauses Benrath eröffnet werden. Er zeigt auf etwa 70 Quadratmetern Schautafeln zur Geschichte der Juden in Deutschland vor und nach dem Krieg und zum Leben von Lilli Marx als Verlegerin und Soroptimistin.

Titelseiten der jüdischen Zeitungen

Als Raumtrenner sind Titelseiten der jüdischen Zeitungen aufgehängt. Synagogen-Modelle und gemalte Bilder aus der Schüler-Ausstellung runden den Eindruck ab, und auch in den Schüler-Podcast kann man hier hineinhören. In Kürze soll ein Beamer startklar sein, mit dem Wolfgang D. Sauer Dokumente und Fotos an die Wand projizieren kann. Die Schau soll das Leben der Publizistin vor allem für Schulklassen präsent werden lassen. Sie ist aber auch für Erwachsene interessant. Die Ausstellung soll ab dem 19. Februar an jedem ersten und dritten Mittwoch im Monat von 16 bis 20 Uhr geöffnet sein.

Herzstück des Raums ist eine handbetriebene Druckerpresse von 1905 aus einer Druckerei in Leverkusen. Auf einer solchen Maschine wurden wenige Hundert Meter entfernt die ersten jüdischen Nachkriegszeitungen gedruckt. Das robuste Relikt aus der Kaiserzeit ist dank der Hilfe eines älteren Mannes wieder betriebsbereit. Für ein gebrochenes Maschinenteil, das den Betrieb der eine halben Tonne schweren Maschine noch aufhielt, konnte der Benrather Rudi Kundt Ersatz herstellen.

Unter Anleitung können die Schülerinnen und Schüler damit nun selbst gesetzte Schriftstücke drucken – und sich ein bisschen so fühlen wie die jüdischen Presse-Pioniere kurz nach dem Krieg.

Interview

Holocaust-Überlebender Weintraub wird 100: »Ich habe etwas bewirkt«

Am 1. Januar wird Leon Weintraub 100 Jahre alt. Er ist einer der letzten Überlebenden des Holocaust. Nun warnt er vor Rechtsextremismus und der AfD sowie den Folgen KI-generierter Fotos aus Konzentrationslagern

von Norbert Demuth  16.12.2025

Magdeburg

Neuer Staatsvertrag für jüdische Gemeinden in Sachsen-Anhalt

Das jüdische Leben in Sachsen-Anhalt soll bewahrt und gefördert werden. Dazu haben das Land und die jüdischen Gemeinden den Staatsvertrag von 2006 neu gefasst

 16.12.2025

Bundestag

Ramelow: Anschlag in Sydney war Mord »an uns allen«

Erstmals gab es in diesem Jahr eine Chanukka-Feier im Bundestag. Sie stand unter dem Eindruck des Anschlags auf eine Feier zum gleichen Anlass am Sonntag in Sydney

 16.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns wollen?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Berlin

Chanukka-Licht am Brandenburger Tor entzündet

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin das erste Licht am Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet. Der Bundespräsident war dabei

 15.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025

Berlin

Straße nach erster Rabbinerin der Welt benannt

Kreuzberg ehrt Regina Jonas

 12.12.2025

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

Chanukkia

Kleine Leuchter, große Wirkung

Von der Skizze bis zur Versteigerung – die Gemeinde Kahal Adass Jisroel und die Kunstschule Berlin stellen eine gemeinnützige Aktion auf die Beine. Ein Werkstattbesuch

von Christine Schmitt  12.12.2025