Interview

Treffpunkt Gemeindetag

»Vier Tage, an denen man zusammenkommt, miteinander diskutiert, streitet, sich inspirieren lässt«: Daniel Botmann Foto: © Gregor Zielke / Zentralrat der Juden in Deutschland

Herr Botmann, vom 14. bis zum 17. Dezember lädt der Zentralrat der Juden erstmals seit vier Jahren wieder zum Gemeindetag nach Berlin ein. Wenn Sie sich an Ihren ersten Gemeindetag erinnern, was fällt Ihnen dazu spontan ein?
Der Gemeindetag ist die Veranstaltung, an der sich die gesamte jüdische Gemeinschaft Deutschlands trifft – ganz unterschiedlichen Alters, jeder religiösen Ausrichtung. Und das sind vier Tage, an denen man zusammenkommt, miteinander diskutiert, streitet, sich inspirieren lässt, aber auf der anderen Seite auch Gottesdienste feiert, zusammen ist und auch gesellig ist. Übrigens war der Gemeindetag innerhalb von zwei Wochen ausgebucht. Das Interesse ist riesig.

Was macht für Sie die Idee des Gemeindetags aus?
Das Besondere ist das Zusammenspiel auf der einen Seite, hochrangige Politiker im Rahmen des Gemeindetags hautnah treffen zu können. Auf der anderen Seite gibt es die Verbundenheit, dass man sieht, man ist nicht allein, sondern Teil einer sehr starken und vielfältigen jüdischen Gemeinschaft.

Gibt es diesmal einen thematischen Schwerpunkt bei den Podiumsdiskussionen, Vorträgen und Gesprächsformaten?
Wir haben nach den Terroranschlägen der Hamas vom 7. Oktober die Ausrichtung angepasst; der Krieg in Gaza und die dramatische Situation der Geiseln wird viel Raum einnehmen, und das ist wichtig. Der Ukraine-Krieg mit den dadurch entstehenden Folgen für die jüdische Gemeinschaft ist aber auch weiterhin sehr präsent in den Gemeinden. Menschen mussten fliehen, und auch die jüdische Gemeinschaft in Russland leidet unter den Geschehnissen. Und auf der anderen Seite gibt es natürlich auch die innenpolitischen Fragen, die damit einhergehen. Die gesellschaftliche Stimmung, die Bedrohung durch Islamisten, aber auch durch Rechtsextreme in unserem Land, sind aktueller denn je. Die Themenvielfalt ist sehr groß, die die jüdische Gemeinschaft beschäftigt. Und dem wollen wir mit dem Gemeindetag auch gerecht werden.

In Deutschland und in vielen weiteren Ländern wird der Antisemitismus immer offener gezeigt. Welchen Einfluss hat dieses Thema in den Workshops des Gemeindetags?
Antisemitismus ist natürlich ein Thema, wird aber nicht der einzige Schwerpunkt sein. Wir haben fünf thematische Säulen, auf denen der Gemeindetag basiert. Die eine Säule ist Politik und Gesellschaft, Religion und Gemeinschaft die zweite, Kultur und Erinnern die dritte. Soziales und Nachhaltigkeit ist die vierte Säule, Gegenwart und Zukunft die fünfte.

Das Motto lautet in diesem Jahr »Zusammen leben«. Aber unbeschwerte Tage scheinen angesichts der aktuellen Situation weit weg zu sein. Wie wird auf diese Situation eingegangen?
Der Gemeindetag bietet die Plattform, um tatsächlich miteinander ins Gespräch zu kommen. Viele beschäftigen sich mit genau diesen Themen, und hier hat man die Möglichkeit, mit anderen darüber zu diskutieren, die ganz ähnliche Erfahrungen machen, sich auszutauschen, sich auch weiterzubilden, mehr zu erfahren, sich eine Meinung zu bilden und Politiker mit Fragen zu konfrontieren. Gerade an den Stellen, wo man das Gefühl hat, da läuft es in der Politik falsch, bietet der Gemeindetag hautnah die Möglichkeit, mit den Entscheidern unserer Republik ins Gespräch zu kommen und sie direkt zu konfrontieren.

Altbundespräsident Gauck war da, der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Schäuble, ebenfalls, der amtierende Bundespräsident Steinmeier ebenso. Wer wird dieses Jahr den Gemeindetag eröffnen?
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, Bundespräsident Steinmeier und seine Exzellenz, der israelische Botschafter Ron Prosor. Es werden als hochrangige Speaker Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Annalena Baerbock, die Bundesaußenministerin, erwartet. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz wird am Samstagabend kommen, am Sonntag zum Abschluss Bundesjustizminister Marco Buschmann.

Was für ein Signal ist das für Sie?
Ein wichtiges. Der Gemeindetag ist ein Äquivalent zum Kirchen- oder Katholikentag. Das ist die hochrangigste Veranstaltung der jüdischen Gemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Es besteht eine enge Verbindung oder Verbundenheit auch mit der Bundespolitik und mit vielen Landesregierungen. Und da ist es konsequent, dass vor allem in dieser schwierigen Situation die Staatsspitze die jüdische Gemeinschaft beim Gemeindetag besucht.

Gab es die Überlegung, den Gemeindetag wegen der aktuellen Situation abzusagen?
Nein. Wir haben die Maßnahmen für diese Veranstaltung in Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden angepasst und sie entsprechend hochgefahren. Der Gemeindetag und alle Teilnehmer sind sicher.

Unter dem Dach des Zentralrats sind derzeit ungefähr 105 Gemeinden gelistet. Vor welchen Herausforderungen stehen sie?
Unser Problem ist, dass wir eine sehr überalterte Struktur innerhalb der jüdischen Gemeinden haben. Und dass wir seit Jahren mehr Sterbefälle als Geburten verzeichnen. Damit sinkt die Zahl der Mitglieder langsam, aber stetig. Und dementsprechend ist es wichtig, dass man die Gemeinden so gestaltet, dass sie gerade für junge Leute und für junge Familien attraktiv sind, dass relevante Angebote vorhanden sind, dass Menschen dort abgeholt werden in ihrem Leben, wo sie gerade stehen. Und daran arbeiten wir gemeinsam. Das ist auch ein Weg, um die Zukunft der jüdischen Gemeinden zu stabilisieren.

Was könnte so ein Angebot sein?
In den vergangenen Jahren haben einige jüdische Gemeinden in der Hinsicht große Fortschritte gemacht. Die Jüdische Gemeinde Frankfurt beispielsweise hat Räume eingerichtet, in denen Eltern Platz finden und wo sie auch Kleinkinder betreuen können. Es gibt Familienzentren, die in jüdischen Gemeinden gegründet worden sind. Aber es muss noch sehr viel mehr passieren. Man wird auch schauen müssen, wie wir es schaffen können, gerade die Altersgruppe der 30- bis 55-Jährigen für die jüdischen Gemeinden zu aktivieren. Für das mittlere Alter gibt es leider nicht ausreichend relevante Angebote. Daran müssen wir in der Zukunft arbeiten und besser werden. Der Zentralrat bietet mit dem Projekt »Gemeindecoaching« für die Entscheidungsträger vor Ort unter anderem für diese Fragestellungen Unterstützung an.

Gibt es genau für diese Klientel beim Gemeindetag Programme?
Ja. Auch, aber nicht nur. Es ist eine Veranstaltung für Menschen zwischen null und 100 Jahren. Die Angebotspalette richtet sich an alle Altersgruppen. Wir haben von ganz kleinen Kindern bis Menschen ins hohe Alter sehr unterschiedliche Angebote.

Beim letzten Gemeindetag 2019 waren das 180 Referenten und Referentinnen, 25 Panels und Vorträge, liberale, orthodoxe Gottesdienste, Lesungen, Live-Musik, festliche Dinner und ein Galaabend. Ist das noch zu toppen?
Ich hoffe. Der interne Schwerpunkt wird natürlich das gemeinschaftliche Schabbatfeiern, das gemeinsame Beten, das gemeinsame Essen, das Zelebrieren des Schabbats. Eine Schabbatfeier mit 1300 Menschen ist ein einmaliges Erlebnis, was nur der Gemeindetag so bieten kann.

Beim ersten Gemeindetag 2013 wurden mehr als 700 Schabbatkerzen entzündet. Wie viele könnten es diesmal sein?
Wir werden gut vorbereitet sein. Und dann werden wir sehen, wie viele entzündet werden.

Wie könnte es gelingen, dass die Gemeinden die positive Stimmung des Gemeindetags mit nach Hause nehmen?
Der Gemeindetag hat eine inspirierende und anregende Wirkung auf die Teilnehmer. Sie kommen aus fast allen jüdischen Gemeinden der Republik. Wichtig ist, dass die Anregungen in die eigenen Gemeinden hineingetragen werden und dass man dort darauf aufbauend sich überlegt, wie man dieses Gemeinschaftsgefühl, dieses Zusammengehörigkeitsgefühl auch lokal bei sich in der jüdischen Gemeinde schafft. Viele jüdische Gemeinden machen das schon sehr, sehr stark und sind sehr aktiv.

Mit dem Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland sprach Christine Schmitt.

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