Interview

»Sie wollen zurück«

»Wir wollen weitere verwundete Soldaten aus der Ukraine behandeln«: Julia Tarchis Foto: Daniel Tarchis

Interview

»Sie wollen zurück«

Die Aachener Oberärztin Julia Tarchis über verwundete ukrainische Soldaten, medizinische Hilfe und den Kampf für Freiheit

von Christine Schmitt  28.07.2022 11:38 Uhr

Frau Tarchis, ein paar Hundert verwundete ukrainische Soldaten werden derzeit in Deutschland medizinisch betreut – sechs von ihnen dank Ihrer Initiative im Aachener Luisenhospital. Die Klinik war eine der ersten, die Soldaten aufgenommen hat. Das ist nun bereits mehr als zwei Monate her. Wie geht es den Männern?
Wieder relativ gut. Sie haben einen Teil der Behandlung schon abgeschlossen, und ein paar werden demnächst mit der Rehabilitationsbehandlung beginnen können. Einige benötigen allerdings noch weitere operative Eingriffe, die durch Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie durchgeführt werden.

Einer der Soldaten war schwer verletzt. Hat er sich mittlerweile erholen können?
Alle sechs Soldaten sind schwer getroffen worden und benötigten operative Versorgungen, zum Teil sogar mit mehreren Operationen, um die gebrochenen Knochen und zum Teil fehlende Muskeln und Haut zu ersetzen. Wir konnten den Jungs glücklicherweise sehr gut helfen.

Was berichten die Männer aus ihrem Heimatland?
Dass ein Krieg im 21. Jahrhundert nie hätte passieren dürfen. Sie haben den Tod vieler Kameraden miterleben müssen. Sie verfolgen die Nachrichten, wie ihre Heimat bombardiert wird, erfahren, dass Freunde und Familienmitglieder verletzt oder getötet werden. Das ist immer präsent – und das ist ganz schlimm und herzzerreißend.

Werden sie darüber hinaus auch psychologisch betreut?
Zweimal in der Woche kommt eine Ukrainisch sprechende Psychologin zu den Kriegsopfern, um ihnen zuzuhören und mit ihnen zu sprechen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, verwundeten Soldaten diese medizinische Versorgung zu ermöglichen?
Ich bin Ärztin. Und als der Krieg angefangen hat, wollte ich etwas tun, das den Menschen hilft. Ich habe mir vorgestellt, welche Hilfe ich benötigen würde, wenn in dem Land, in dem ich lebe, so etwas Schreckliches passieren würde.

Was hatten Sie vor?
Ich wollte meinen Kollegen in der Ukraine helfen, indem wir die Kriegsopfer behandeln, die in erster Linie verletzt sind.

Wie kamen Sie an die entsprechenden Kontakte?
Wir haben mithilfe des privaten Fonds »Segel der Freiheit« den Kontakt zu den ukrainischen Militärärzten gefunden und mithilfe des niederländischen Transportunternehmens »Disaster Tech Lab« sechs ukrainische Soldaten zu uns gebracht. Die private Initiative aus Geleen kümmert sich um ukrainische Kriegsopfer.

Wie gingen Sie vor?
Nachdem wir mit den Ärzten vor Ort gesprochen hatten, wählten sie Patienten aus, die infrage kommen. Denn wir hatten ja nur den Bodentransport, der nicht der schnellste ist. Per Rettungswagen sind dann die Patienten zu uns gebracht worden.

Wie lange waren sie unterwegs?
Es war ein langer Weg, der mehr als 20 Stunden dauerte. Die Männer mussten von ihren Verwundungen her transportfähig sein. Zwei mussten liegend, vier konnten sitzend transportiert werden.

Gab es Komplikationen?
Zwischendurch musste der Transport an Kontrollpunkten anhalten, was die Fahrtzeit verlängerte.

Durften die Soldaten einfach so die Grenze passieren?
Das war sehr schwierig, weil Männer zwischen 18 und 65 Jahren die Ukraine nicht verlassen dürfen. Aufgrund von Ausnahmegenehmigungen ging das letztendlich.

Wie war die medizinische Versorgung in der Ukraine?
Die war sehr gut. Aber es mussten bei einigen Patienten weitere Operationen erfolgen, für die man ein großes Team braucht – und diese medizinische Infrastruktur ist dort in der Ukraine nicht mehr gegeben.

Wie alt sind Ihre ukrainischen Patienten?
Sie sind zwischen Anfang 20 und 37 Jahre alt.

Gehören sie der Nationalgarde an, dem Reserveverband der ukrainischen Streitkräfte?
Ja. Alle sechs.

Konnten die Männer das Krankenhaus schon einmal verlassen?
Ja, kürzlich gab es die ersten Schritte außerhalb des Klinikgeländes, wir hatten für sie einen Spaziergang durch ein Viertel Aachens organisiert. Sie wurden dabei natürlich begleitet. Sie bekommen auch Besuch von Menschen, die aus der Ukraine stammen und nun ebenfalls in Aachen sind.

Sie hatten sich bereits Ende Februar engagiert, um in der Ukraine zu helfen. Auf der Facebook-Seite des Krankenhauses sieht man Sie vor einem voll beladenen Transporter.
Wenige Tage nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine beschlossen wir im Krankenhaus, Medikamente und medizinische Hilfsgüter in das Land bringen zu lassen. Wir packten den Rettungswagen voll.

Wer kommt für die Kosten der ukrainischen Patienten auf?
Das Luisenhospital behandelt die Männer. Aus humanitärer Sicht wurden sie aufgenommen. Doch mittlerweile heißt es, dass eventuell das Sozialamt für einen Teil der Kosten aufkommen könnte.

Werden die Männer zurückgehen?
Erstens müssen sie zurück und zweitens wollen sie es auch. Unbedingt. So schnell wie möglich.

Die Soldaten wollen wieder an die Front?
Alle sechs Männer. Die Jungs hoffen, dem Land weiter dienen zu können. Sie kämpfen für Freiheit und Demokratie.

Wird das Aachener Luisenhospital weitere Soldaten aufnehmen?
Vor Kurzem erst haben wir besprochen, dass wir noch mehr Verwundete aus der Ukraine behandeln wollen.

Mit der Oberärztin der Anästhesiologie und der operativen Intensivmedizin des Aachener Luisenhospitals sprach Christine Schmitt.

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