Köln

Schon wieder zur Flucht bereit

Was wäre, wenn Deutschland von einer Liechtensteiner Befreiungsfront terrorisiert, seine Selbstverteidigung daraufhin von der internationalen Staatengemeinschaft scharf verurteilt und das Land als Aggressor hingestellt würde?

Eine Frauenstimme trägt den fiktiven Text des Autors Daniel Anderson distanziert und geübt wie eine Nachrichtensprecherin vor. Parallelen zu gegenwärtigen Ereignissen, wie etwa dem Nahostkonflikt, werden deutlich. Und dies ist nur das Vorwort zu Arthur Millers Stück Scherben, das im Kölner Horizonttheater folgt.

Aktualität In tragischer Aktualität erlebt das vorwiegend jüdische Publikum – Mitinitiator war die Synagogen-Gemeinde Köln – daraufhin Millers Stück, das eigentlich 1938 in Amerika spielt. Das jüdische Ehepaar Sylvia und Phillip Gellburg erfährt von der Judenverfolgung in Europa. Seit Sylvia die Bilder von gedemütigten Juden in der Zeitung gesehen hat, ist sie gelähmt.

Ihr Arzt, Dr. Hayman, kann keine körperlichen Gründe für die Lähmung diagnostizieren und findet durch Gespräche mit den Eheleuten heraus, dass Sylvias Krankheit offenbar psychosomatische Ursachen hat, ausgelöst durch die Nachrichten aus Deutschland – aber auch bedingt durch ihre sie zunehmend deprimierende Ehe. Als sich Phillip durch Sylvias Krankheit auch mit seiner eigenen jüdischen Identität beschäftigen muss, zeigt sich, dass er von Selbsthass und Komplexen geplagt wird und keinesfalls frei von tiefgreifenden Ängsten ist.

Arthur Millers Spätwerk von 1994 beleuchtet den gesellschaftlichen Konflikt der amerikanischen Juden in den 30er-Jahren. Gleichzeitig widmet er sich der Tragik einer gescheiterten Ehe, dem auch in Amerika wachsenden Antisemitismus sowie den vielschichtigen Formen jüdischer Identitäten und Fragen, die weit über das Private hinausgehen. Denn während Sylvias Lähmung den stillen Aufschrei als Reaktion auf die Geschehnisse in Deutschland symbolisiert, muss sich der Zuschauer in Britta Shulamit Jakobis Inszenierung die Frage stellen: Wann würde ich aufschreien?

Diskussion Bedrohungsszenario und die als lähmend empfundene Reaktion auf die Gräuel in Nazi-Deutschland schienen das Publikum unmittelbar zu treffen. Als wäre das gerade auf der Bühne Gesehene Realität, stellten viele Zuschauer bei der anschließenden Diskussion die Frage: »Wann muss ich gehen? Wann wird es hier zu gefährlich?« Unvermittelt wird die Sicherheit der Juden im heutigen Europa zum Thema.

»Die alten Ressentiments«, so einer der Zuschauer, »fallen wieder auf fruchtbaren Boden.« Dass Deutschland aber weiterhin ein sicheres Heimatland für Juden sei, glaubt Michael Rado vom Vorstand der Synagogen-Gemeinde. Anders als damals stelle sich heute der Staat schützend vor Minderheiten, und solange dies der Fall sei, müssten sich Juden in Deutschland keine Sorgen machen.

Wieder am Sonntag, 8. Mai, 15 Uhr, Jüdische Gemeinde Trier, Kaiserstraße 25

Essay

Vorsichtig nach vorn blicken?

Zwei Jahre lang fühlte sich unsere Autorin, als lebte sie in einem Vakuum. Nun fragt sie sich, wie eine Annäherung an Menschen gelingen kann, die ihr fremd geworden sind

von Shelly Meyer  26.10.2025

Stuttgart

Whisky, Workshop, Wirklichkeit

In wenigen Tagen beginnen in der baden-württembergischen Landeshauptstadt die Jüdischen Kulturwochen. Das Programm soll vor allem junge Menschen ansprechen

von Anja Bochtler  26.10.2025

Porträt

Doppeltes Zuhause

Sören Simonsohn hat Alija gemacht – ist aber nach wie vor Basketballtrainer in Berlin

von Matthias Messmer  26.10.2025

Trilogie

Aufgewachsen zwischen den Stühlen

Christian Berkel stellte seinen Roman »Sputnik« im Jüdischen Gemeindezentrum vor

von Nora Niemann  26.10.2025

Dank

»Endlich, endlich, endlich!«

Die IKG und zahlreiche Gäste feierten die Freilassung der Geiseln und gedachten zugleich der Ermordeten

von Esther Martel  24.10.2025

Kladow

Botschaft der Menschlichkeit

Auf Wunsch von Schülern und des Direktoriums soll das Hans-Carossa-Gymnasium in Margot-Friedländer-Schule umbenannt werden

von Alicia Rust  24.10.2025

Osnabrück

Rabbiner Teichtal: »Unsere Aufgabe ist es, nicht aufzugeben«

»Wer heute gegen Juden ist, ist morgen gegen Frauen und übermorgen gegen alle, die Freiheit und Demokratie schätzen«, sagt der Oberrabbiner

 24.10.2025

Universität

»Jüdische Studis stärken«

Berlin bekommt als eines der letzten Bundesländer einen Regionalverband für jüdische Studierende. Mitgründer Tim Kurockin erklärt, wie sich der »JSB« künftig gegen Antisemitismus an den Hochschulen der Hauptstadt wehren will

von Mascha Malburg  23.10.2025

Sport

»Wir wollen die Gesellschaft bewegen«

Gregor Peskin ist neuer Vorsitzender der Makkabi-Deutschland-Jugend. Ein Gespräch über Respekt, neue Räume für Resilienz und interreligiöse Zusammenarbeit

von Helmut Kuhn  23.10.2025