Nach den Auftaktniederlagen gegen Arminia Bielefeld und Hannover 96 ist der Fehlstart in die neue Saison für Fortuna Düsseldorf perfekt. Abseits des Platzes stand Fortuna unterdessen weiter oben im Interesse nationaler und internationaler Medien. So platzte ein Wechsel des israelischen Fußballnationalspielers Shon Weissman, was in der vergangenen Woche für hitzige Debatten sorgte. Für gewöhnlich ist ein solcher Vorgang »business as usual«, doch im Falle Weissmans wird intensiv diskutiert: Denn trotz erfolgreichem Medizin-Check scheiterte die Verpflichtung – für die einen an menschenverachtenden Social-Media-Postings und für die anderen an Antisemitismus.
Dabei schien der Plan zunächst klar: Die Fortuna hatte noch Bedarf in der Offensive. Der 29-jährige Angreifer vom spanischen Zweitligisten FC Granada passte perfekt ins Profil. Die sich anbahnende Verpflichtung weckte auch das Interesse der Fans am Rhein, sodass zeitnah von ihm geteilte – inzwischen aber gelöschte – Aussagen des Fußballers publik wurden. Diese Aussagen standen im Kontext mit den Massakern und der systematisch verübten sexuellen Gewalt der islamistischen Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023, bei denen über 1200 Menschen ermordet wurden und etwa 250 Geiseln genommen wurden (von denen noch 50 im Gazastreifen festgehalten werden). Weissman teilte und likte in sozialen Netzwerken Aussagen, in denen unter anderem gefordert wurde, über Gaza »200 Tonnen Bomben« abzuwerfen oder den Küstenstreifen »auszulöschen«.
Bei einer Petition kamen nur 60 Unterschriften zusammen.
Botschaften, für die Weissman sich später entschuldigen sollte, doch Fortuna-Fans und anti-israelische Accounts griffen die Postings auf. Auch eine Petition gegen den Transfer wurde gestartet, die trotz der medialen Aufmerksamkeit nur knapp 60 Unterschriften erhielt. Während sich der digitale Mob formierte, vermischten sich legitime Kritik an den geteilten Inhalten und israelbezogener Antisemitismus zunehmend.
Der Verein reagierte zögerlich und am Ende unklar. Statt offensiv zu kommunizieren, ob man zu Weissman steht oder seine Aussagen kritisch sieht, wurde ein kommunikatives Vakuum erzeugt. In einer kurzen Nachricht auf der Plattform »X« hieß es, dass »von einer Verpflichtung abzusehen« sei, ohne dies angemessen zu begründen. Auch die Jüdische Gemeinde Düsseldorf meldete sich kurze Zeit später öffentlich zu Wort und reagierte auf die »Anti-Israel-Kampagne« sowie das Veto des Fortuna-Aufsichtsrats: »Fortuna wirft Shon Unglaubwürdigkeit vor, da er verschiedene Hass-Posts auch weit nach dem 7. Oktober 2023 gelikt haben soll und er somit nicht aus dem Affekt, wie er selbst sagte, gehandelt haben soll.«
Weissman ist nicht der erste Fußballspieler, dem seine Social-Media-Aktivitäten zum Verhängnis werden
Düsseldorfs städtischer Antisemitismusbeauftragter Wolfgang Rolshoven vermittelte daraufhin für vergangenen Freitag ein klärendes Gespräch zwischen der Vereinsführung und der Jüdischen Gemeinde. Im Nachgang hieß es vonseiten der Gemeinde, der Verein habe erläutert, wie die »Entscheidung gegen eine Verpflichtung getroffen worden sei«. Vom Zweitligisten heißt es: »Wir haben am Ende festgestellt, dass sich seine in den sozialen Medien getätigten Aussagen und der anschließende Umgang damit nicht mit unseren Werten in Einklang bringen ließen.«
Adam Lahav, in Düsseldorf lebender Deutsch-Israeli und Co-Betreiber des hebräischsprachigen Blogs und Podcasts Fussball.co.il über die Fußballkultur und Geschichte in Deutschland, ist der Überzeugung, dass Weissman nicht nur aus nachvollziehbaren Emotionen nach dem 7. Oktober gehandelt habe. Dafür sprächen auch seine Social-Media-Aktivitäten vor dem Terrorangriff der Hamas: »Weissman teilte nicht nur problematische Inhalte, sondern antwortete auch auf Postings von Itamar Ben-Gvir mit Kommentaren wie ›Respekt!‹ und ›Man muss sie alle vertreiben‹«, so Lahav.
Weitere Screenshots von teilweise gelöschten Kommentaren, die der »Jüdischen Allgemeinen« vorliegen, lassen laut Lahav zumindest eine ideologische Nähe zu Benjamin Netanjahus rechtsextremen Koalitionspartnern vermuten.
Shon Weissman ist nicht der erste Fußballspieler, dem seine Social-Media-Aktivitäten rund um einen deutschen Verein zum Verhängnis werden. Beispielsweise wurde 2019 der damalige Spieler des FC St. Pauli, Cenk Şahin, freigestellt, weil er die türkischen Militärangriffe auf die kurdischen Gebiete in Nordostsyrien in einem Instagram-Posting unterstützt hatte.
Antworten auf Posts von Israels Minister Itamar Ben-Gvir brachten den Fußballer in die Kritik.
Ähnlich handelte nach dem 7. Oktober 2023 auch der 1. FSV Mainz 05 gegenüber dem Spieler Anwar El Ghazi, nachdem dieser sich im Herbst 2023 israelfeindlich geäußert hatte – wobei im Juli 2024 das Arbeitsgericht Mainz zugunsten von El Ghazi entschied und die fristlose Kündigung für unwirksam erklärte.
Im Nachgang der Entscheidung von Fortuna Düsseldorf sah sich der Verein mit diversen Anschuldigungen konfrontiert. Der »Focus«-Kolumnist Jan Fleischhauer ging sogar so weit, dass er bei Welt-TV erklärte: »Man kann jetzt sagen – Fortuna Düsseldorf ist gesichert arisch.« Eine Kritik, die der Düsseldorfer und Gründer des BVB-Fanklubs »Israelische Borussen«, Adam Lahav, nicht nachvollziehen kann, denn »allein die Entscheidung, ihn in der härtesten Phase der internationalen Kritik an der israelischen Regierung zu verpflichten, war eine bewusste Geste«. Zudem beteiligte sich Fortuna – beim 4:3-Heimsieg gegen den 1. FC Kaiserslautern am 21. Oktober 2023 –, wie viele weitere Erst- und Zweitligisten, an der von der Deutschen Fußball Liga empfohlenen Schweigeminute für die Opfer des Hamas-Terrors.
Auf der einen Seite steht die berechtigte Kritik an Weissmans politischen Positionen, auf der anderen Seite der antisemitische Hass, den Jüdinnen und Juden in der Öffentlichkeit besonders erleben. Anders als Weissman hat sich der 25-jährige Daniel Peretz politisch nichts zuschulden kommen lassen. Der Bundesligaaufsteiger Hamburger SV lieh ihn in der Sommerpause vom Liga-Konkurrenten FC Bayern aus.
Der israelische Nationaltorhüter steht seit 2023 beim deutschen Rekordmeister unter Vertrag. Daniel Peretz, der ebenfalls die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ist online massiven antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt, wie andere israelische Spieler in Deutschland vor ihm. Für Adam Lahav ist mit der Entscheidung von Fortuna Düsseldorf klar: »Wenn Aussagen als Aufruf zu Gewalt gegen ein ganzes Volk verstanden werden, dann zieht man die Rote Karte.«