Gastronomie

Morgens Ruben, abends Carla

Mit »Luigi Zuckermann« fing alles an: Udi Cohen ist mit seinen Gedanken immer bei neuen Projekten. Foto: Stephan Pramme

Das »L’Entrecôte« ist eine kleine französische Restaurantkette. Sie hat ein besonderes Konzept: Es gibt schlicht daherkommende Steakgerichte. In einem eher informellen Ambiente im Stile einer französischen Brasserie – wozu unter anderem auch gehört, dass nicht reserviert werden kann –, soll man sich dem Wesentlichen widmen: einem in Scheiben geschnittenen Entrecôtesteak mit einer delikaten Sauce auf einem Rucola-Bett, dazu knusprige Pommes frites in französisch-belgischem Stil.

»So etwas wollte ich auch machen«, sagt Ehud »Udi« Cohen. Schon seit drei Jahren betreibt der Israeli das Deli »Luigi Zuckermann« an der Rosenthaler Straße. Für sein neues Projekt suchte sich der 34-Jährige einen Laden in der Linienstraße und nannte es »Ruben & Carla«. Hier stiegen einst in der legendären Schwulen- und Lesbenbar »The Sharon Stonewall« wilde Partys. Jetzt können sich die Berlinerinnen und Berliner in dem kleinen Restaurant verschiedensten Rinderspezialitäten widmen.

Denn es gibt nicht nur Steaks, sondern auch Pastrami-Sandwiches und Burger. Allerdings nicht gleichzeitig: Tagsüber fungiert das jüdische »Ruben« als Pastrami-Bar, während es abends zum italienischen »Carla« wird, in dem Steaks im italienischen Tagliata-Stil serviert werden. Cohens Kompagnon Sebastiano Caraccia kommt aus Italien. Der Israeli und der Italiener lernten sich vor 16 Jahren in einem New Yorker Club kennen. Heute sind sie nicht nur Geschäftspartner, sondern auch beste Freunde.

Zwischenstopp Dass Cohen in Berlin landete, war Zufall. Eigentlich wollte er 2008 gerade von London nach Ibiza übersiedeln. Bei einem längeren Zwischenstopp bei Caraccia in Mailand entstand plötzlich die Idee, stattdessen nach Berlin zu gehen. Sein erster Besuch in der deutschen Hauptstadt lag da schon acht Jahre zurück, erzählt Cohen. Damals habe ihn sehr genervt, dass sich die Leute immer sofort entschuldigt hätten, als sie hörten, dass er Israeli ist.

Cohen, ein großer, lebhafter Schlaks, ist mehr am Hier und Jetzt interessiert als an der für Juden mörderischen Geschichte Deutschlands. Auf den ersten Blick könnte man ihn wahrscheinlich für unhöflich halten. Denn immer wieder springt er auf, »um kurz etwas zu klären«. Doch jedes Mal entschuldigt er sich freundlich lächelnd für die Unterbrechung. Es ist einfach seine Art. Cohen ist ständig auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern. Inzwischen ist der Gastronom fasziniert von der Spreemetropole. Schon 1996 verließ er Israel – »das war mir irgendwie zu klein«, sagt der Gastronom. Er zog um die halbe Welt – New York, London, Paris, Amsterdam.

Nicht unpraktisch war dabei, dass ein Teil seiner Familie aus Schottland stammt – mit einem britischen Pass reist es sich einfach leichter durch die EU. Die wahrhaft europäische Stadt ist für Cohen aber Berlin – viel mehr als London oder Paris. Hier kommen junge Leute aus aller Welt zusammen, hier tobt das Leben, schildert der Mann mit dem schmalen Gesicht und den wachen Augen seine Begeisterung. Allerdings musste er feststellen, dass das Berlin der Gegenwart nicht gerade eine Stadt der Geschäftsleute ist. Deswegen modifizierte er sein ursprüngliches Konzept, die Tagliata-Steaks auch als Businesslunch anzubieten, und setzte stattdessen auf die Pastrami-Bar für das Tagesgeschäft.

Für das abendliche Tagliata-Gericht musste er noch eine andere Frage klären: Was muss in die Sauce? Die französische Zeitung Le Monde berichtete vor Jahren, dass bei Cohens bekanntem Vorbild in Paris unter anderem Hühnerleber, Thymian, Sahne und Dijonsenf in die Sauce komme. Der junge Israeli jedenfalls recherchierte wochenlang in anderen Städten und tüftelte am Rezept. Auch beim »Ruben & Carla« ist die Zusammensetzung der Sauce Betriebsgeheimnis.

Biohof Cohen legt Wert auf qualitativ hochwertige Zutaten. Das Steak kommt aus Argentinien, Australien oder von brandenburgischen und sächsischen Biohöfen. Sein Pastramifleisch bezieht das Restaurant von einer jüdischen Firma in Österreich. Denn auch, wenn sein Restaurant nicht koscher und er nicht besonders religiös ist – ein wenig traditionell ist Cohen schon.

Freitags geht er oft zum Gottesdienst in die Synagoge – am liebsten in die orthodoxe von Adass Jisroel. »Da ist es nicht so voll wie in anderen Berliner Synagogen«, sagt der Israeli. Außerdem befindet sich das Bethaus in der Tucholskystraße – gleich um die Ecke vom Restaurant. Inspirierend findet Cohen auch Rabbiner Josh Spinner von der Lauder Foundation. Zwar weiß der junge Restaurantbesitzer nicht viel über das Judentum. Dennoch freut es ihn, wenn er im Gottesdienst als Erster aus der Tora lesen darf. Denn als ein Cohen hat er für die Gemeinde eine herausgehobene Bedeutung: »Dort fühlt man sich durch meine Anwesenheit geehrt.«

Wie so viele Israelis sagt auch Udi Cohen von sich, dass er besessen davon ist, Nachrichten anzuschauen – zumeist noch auf Englisch, dann entschuldigt er sich: »Mein Deutsch ist leider noch nicht so gut.« Aber auch in englischen Medien wird über die Beschneidungsdebatte berichtet. Doch darüber kann er nur müde lächeln. »Juden praktizieren diesen Ritus seit über 4.000 Jahren, und das wird auch so bleiben«, ist er sich sicher.

Gastronom durch und durch hat er so viel Energie, dass er schon nach wenigen Minuten unruhig wird, denn in ihm brodeln bereits neue Pläne. Am Ku’damm will er demnächst eine Dependance des »Luigi Zuckermann« eröffnen.

Jom Haschoa

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