Es war ein Gottesdienst der besonderen Art: Viele Leute trugen regenbogenfarbene Kippot, es gab queere Varianten der Brachot, und der Schabbat wurde mit der Melodie der queeren Hymne »I will survive« empfangen. Der queer-jüdische Verein »Keshet Deutschland« hat zum Pride Schabbat eingeladen. 200 Menschen folgten der Einladung in die Synagoge in der Oranienburger Straße. Dort fand der Pride Schabbat vor sieben Jahren zum ersten Mal statt. »Wir versuchen, queeres jüdisches Leben als einen ganz selbstverständlichen Teil in den Gemeinden zu etablieren«, erklärte David Studniberg, einer der Veranstalter. »Die orthodoxen Gemeinden sind die große Hürde, die wir noch schaffen müssen, aber da hoffe ich auch, dass das irgendwann klappt.«
Beim Pride Schabbat sind queere Jüdinnen und Juden ausnahmsweise nicht in der Minderheit. Das war auch für Liora und Joshua der Grund für ihr Kommen. Die beiden sind gebürtig aus Mexiko, haben in Israel gelebt, wohnen mittlerweile in Dresden und sind orthodox aufgewachsen. »Wir waren immer in einer Gemeinschaft«, berichtete Liora. Die fehle in Dresden. Dort gebe es nur wenige jüdische Queers. Vom Pride Schabbat erhofften die beiden sich deshalb Anschluss.
Im gesamten Bundesgebiet mobilisieren Rechtsextreme gegen Pride-Veranstaltungen. Jüdische Queers sehen sich zusätzlich mit einem erstarkten Antisemitismus in der queeren Szene konfrontiert. »In vielen queeren Räumen sind wir mittlerweile nicht mehr willkommen«, sagt Dima Bilyarchyk von Keshet bei der Begrüßung. Nur einige Tage vor dem Pride Schabbat äußerten die Organisatorinnen des »Community Dyke March« ihr Unbehagen über Regenbogenflaggen mit Davidstern. Solche Vorfälle zeigen: Die Anzahl an Räumen, in denen sich jüdische Queers sicher fühlen können, nimmt stetig ab.
Auch Berlins Queerbeauftragter war zu Gast
Umso wichtiger war für die meisten das Zusammenkommen in der Berliner Synagoge Oranienburger Straße. »Schaut euch um, ihr seid nicht alleine«, ermutigte Dima die Anwesenden. »Wir werden unseren Space nehmen, denn wir lieben das Leben und leben unsere Liebe.« Auch Berlins Queerbeauftragter war zu Gast. »Die Angriffe, die Jüdinnen und Juden gerade auch in unserer Community erleben, besorgen mich sehr«, so Alfonso Pantisano. Er betonte seine Verbundenheit mit der jüdischen Gemeinde und mit Israel. Seine Teilnahme am Pride Schabbat verstand er als Zeichen der Solidarität. »Wir merken, wie sich die Weltlage gerade verändert.« Darauf angesprochen, was er dagegen zu unternehmen gedenke, nannte er eine Landesstrategie, an der er gerade arbeite. Queere Menschen im Allgemeinen und Jüdinnen und Juden im Besonderen sollen demnach mehr Schutz erfahren. Zudem wolle er für mehr Sensibilisierung beim Thema Antisemitismus sorgen.
Resilienz war das Stichwort des Abends. »Manchmal hat man den Eindruck, es ist einfacher, ein queeres Coming-out zu machen als ein jüdisches«, stellte Hannah nach einem Gebet fest. Sie engagiert sich ebenfalls bei Keshet und betonte, dass es gerade jetzt wichtig sei, selbstbewusst aufzutreten und an seiner Jüdischkeit festzuhalten. »Obwohl oder gerade weil wir als Jüdinnen und Juden ausgegrenzt werden, zeigen wir uns ohne Scham.« Zum Ende des Gottesdienstes betonte Rabbinerin Gesa Ederberg, wie wichtig ihr die Zusammenarbeit mit Keshet sei. Ginge es nach ihr, bliebe es nicht bei der einen gemeinsamen Veranstaltung im Jahr.
Es folgte der gesellige Teil des Abends: die Schabbes-Mahlzeit, zubereitet vom israelisch-palästinensischen Restaurant Kanaan. Die Tische füllten sich, die Teller und die Gläser ebenso. Einige kannten einander bereits, andere noch nicht. Dabei blieb es nicht lange. Offensichtlich war das Interesse aneinander. Am nächsten Tag gab es schließlich die Möglichkeit, mit den neuen Bekanntschaften am großen Berliner CSD teilzunehmen, wo Keshet mit einer eigenen Laufgruppe vertreten war.