Sukkot

Markttag vor dem Fest

Montagnachmittag in der Brunnenstraße: Von der Straße her ist nichts zu hören, aber sobald man durch den Hauseingang gelaufen ist, sind laute Musik und Stimmen zu vernehmen. Kinder rennen zwischen Ständen hin und her, schauen neugierig auf Bündel aus grünen Zweigen und Etrogim. Drinnen, im Hof der orthodoxen Gemeinde Kahal Adass Jisroel, riecht es nach Holz und frischem Laub. Männer stehen an Kisten mit Zweigen und gelben Zitrusfrüchten, Frauen sitzen mit den Kindern am Tisch, essen und unterhalten sich.

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Hier findet in diesen Tagen der Arba-Minim-Markt statt, wo Gemeindemitglieder die für das Laubhüttenfest notwendigen Utensilien kaufen können. »Arba Minim« bedeutet »vier Arten«, konkret geht es um die Pflanzen, die zu Sukkot gehören: Etrog (eine Zitrusfrucht), Lulaw (Palmwedel), Hadas (Myrtenzweige) und Arawot (Bachweiden). In ein paar Tagen beginnt Sukkot. Die Beter werden den Feststrauß beim Morgengebet schütteln und Segenssprüche sagen.

Jedes Jahr kommen mehr Menschen als im Vorjahr

»Wir bestellen jedes Jahr ein bisschen mehr«, sagt Rabbiner Shlomo Afanasev, »weil jedes Jahr etwas mehr Menschen kommen als im Vorjahr.« Er teilt Plastiktüten mit passenden Fächern für die Zweige aus und erklärt Anfängern geduldig, welche Pflanze wohin gehört. »Früher musste man Sets oft einzeln aus Israel oder den USA bestellen.« Heute kommt die Berliner Gemeinde hier in der Brunnenstraße zusammen. Die Nachfrage wachse, erzählt er, weil immer mehr Menschen die Tradition vor Ort pflegen wollen. Rein theoretisch könne ein Feststrauß für ganz Berlin reichen.

»Früher musste man Sets oft einzeln aus Israel oder den USA bestellen«, sagt Rabbiner Shlomo Afanasev.

Das Besondere an diesem Ritual ist, dass man alle vier Pflanzen besitzen muss. So steht es in der Tora. Lange Zeit war es üblich, dass pro Haushalt ein Set gekauft wurde und es die Erwachsenen untereinander für den Augenblick des rituellen Schüttelns einander offiziell schenkten. Heutzutage kaufen die meisten Familien für alle im Haushalt ein eigenes Set.

Je nach Qualität kosten die Sets zwischen 60 und 120 Euro. Manche Käufer prüfen: Ist der Etrog makellos, glänzt die Schale, gibt es dunkle Stellen? Sind die Palmblätter gerade und am spitzen Ende noch geschlossen? Koscher müssen sie sein. »Einige greifen sofort zu, andere lassen sich beraten«, berichtet der 22-jährige Rabbinatsstudent Avi Frenkel und lächelt. »Diese Zweige und die Frucht sind wie die Menschen – keiner ist perfekt.«

Unter den Besuchern sind viele Familien

Unter den Besuchern sind viele Familien. »Wir kommen jedes Jahr«, erzählt Shulamit Lucke, die neben ihrer Tochter auf einer Bank unter der Laubhütte sitzt. »Zu Hause bauen wir keine Sukka, hier treffen wir einfach Freunde und lernen neue Gemeindemitglieder kennen.« Ob sie einen Unterschied zwischen dem günstigen und dem teuren Set sieht? »Ach, es geht hier nicht um günstig oder teuer, es geht auch um dieses gemeinsame Hinsehen bei den Dingen, die man für das Ritual benutzt.«

Für Neue erklären Helfer, was es mit den vier Arten auf sich hat. Jede Pflanze stehe für einen Teil des Körpers – Rückgrat, Augen, Mund, Herz – und zugleich für verschiedene Typen von Menschen. Gemeinsam symbolisieren sie den Zusammenhalt der jüdischen Gemeinde.
Auch die Atmosphäre ist sehr familiär. Am Eingang stehen viele Kinderwagen. Es gibt Nudeln, Salat und Saft. Die Kleinen dürfen viel anfassen, lernen den Duft der Myrte kennen, hören Geschichten. Man spürt: Sukkot ist mehr als ein Erntefest.

»Es erinnert an die Einzigartigkeit der jüdischen Erfahrung«, sagt Rabbiner Dovid Roberts. »Nach dem Auszug aus Ägypten lebten wir in Hütten – provisorisch, schutzlos und doch behütet durch Gott.« Deshalb würden Jüdinnen und Juden in Laubhütten feiern, darin essen und sich für die Ernte bedanken. Er prüft während des Festes viele Früchte. Aber sind nicht alle, die hier verkauft werden, koscher? Der Rabbiner antwortet mit einer Gegenfrage: »Ist Bio wirklich immer Bio?« Er lacht. Nein, es geht auch darum, die Bestandteile des Rituals ernst zu nehmen. »Sukkot betrifft das Herz und den Kopf gleichzeitig.«

Unter den Besuchern ist auch Familie T., deren Großeltern vor der Schoa in Polen geboren wurden. Heute leben die Nachfahren in Deutschland. »Es ist bewegend, hier die Arba Minim zu kaufen«, sagt der Vater leise. »Für uns ist es nicht nur Tradition, sondern auch ein Zeichen, dass jüdisches Leben in Berlin weitergeht.« Die Großeltern waren nach Uruguay ausgewandert, nicht geflohen – sie wollten einfach etwas Neues kennenlernen.

»Doch alle Verwandten in Polen kamen im Holocaust um.« Sukkot ist für die Familie auch ein Fest der Dankbarkeit. »Wir feiern die Verletzlichkeit des Lebens und das Vertrauen, dass Gott uns hält. Das Wetter in Berlin ist im Herbst nicht immer beständig – deshalb ist es auch eines der Hauptthemen beim Arba-Minim-Markt. Wer in einem Hinterhof eine Laubhütte aufbauen will, braucht zudem eine Genehmigung von der Hausverwaltung. Darum feiern viele Familien lieber in der Gemeinde. Und ja, Regen gehört dazu, ist aber verständlicherweise wenig beliebt. Aktuell liegt die Niederschlagswahrscheinlichkeit zu Sukkot bei rund 50 Prozent.

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