Berlin

In Ruhe kochen

»Wir hatten nur noch Angst.« Wenn Raz und Jenny Rivlin abends mal nicht in ihrem Restaurant waren, saßen sie zu Hause vor dem Bildschirm der Videoüberwachung und ließen den Eingang ihres Restaurants »DoDa’s Deli« nicht aus den Augen. »Wir mussten ja auch auf unsere Mitarbeiterinnen aufpassen, die noch bei der Arbeit waren«, sagen sie. »Wenn ich merke, dass Leute unseren Laden betreten, die uns hassen, dann fange ich auch an, Angst zu haben«, sagt Jenny.

Der 7. Oktober 2023 veränderte auch ihr Leben in Friedrichshain – vor ein paar Wochen zogen sie die Konsequenzen und schlossen ihr Restaurant an diesem Standort. Nun wird es in der Münsterschen Straße wiedereröffnet. »Es fiel uns nicht leicht zu gehen«, sagt Raz Rivlin. Aber sie könne ihre Mitarbeiterinnen in diesem Kiez am Boxhagener Platz nicht mehr arbeiten lassen. Die Angst wurde zu groß, dass irgendwann mehr passiere als das Anbringen von Stickern und Parolen.

Parolen wie »Fuck Israel« und »Free Gaza«

Am 8. Oktober hatte ein Unbekannter versucht, ihr Tel-Aviv-Schild, das am Eingang des Restaurants an der Kopernikusstraße hing, abzufackeln. Tage später wurden antisemitische Botschaften in die Holztische geritzt, darunter auch Parolen wie »Fuck Israel« und »Free Gaza«. Täglich mussten sie judenfeindliche Sticker von der Tür kratzen. An die Wände seien antisemitische Graffitis gesprüht worden.

Der Vermieter mahnte in den nächsten Wochen Dinge an, die vorher jahrelang praktiziert wurden. Beispielsweise störte nun ein Tuch, das eine Mitarbeiterin immer draußen zum Trocknen aufgehängt hatte, auch die Holzpalette, die seit zwei Jahren als Stufe diente, störte plötzlich, und der Standort, an dem sie in Behältern das Restöl aufbewahrten, wurde nun zu einem Problem seitens der Hausverwaltung. Israelische Musik trauten sie sich schon länger nicht mehr aufzulegen. Raz bat Jenny, ihre Kette mit dem Davidstern nicht mehr öffentlich zu zeigen – was Jenny nicht akzeptieren wollte.

Endgültig in den Fokus geraten sei ihr Restaurant wahrscheinlich durch zwei Plakate, die sie am Frauentag aufhängten. Auf ihnen waren zwei Frauen abgebildet, die Geiseln der Hamas sind. Prompt gab es haufenweise negative Google-Bewertungen und die ersten Sticker auf den Scheiben des Restaurants. Nun hoffen sie, dass in der Münsterschen Straße, wenige Meter von der Chabad-Gemeinde entfernt, alles besser wird und sie sich sicher fühlen können.

Sie werden ihre Stammkundschaft vermissen.

Sie hatten Glück im Unglück und fanden in Wilmersdorf eine neue Location. Das Geschirr wird gerade eingeräumt, Vasen mit Blumen werden auf die Tische gestellt, und in der Küche wirbelt bereits Niva, die Köchin, herum. Alle Hände voll zu tun haben Raz und Jenny Rivlin an diesem Donnerstagnachmittag, denn sie sind dabei, auszuräumen und sich in den neuen Räumen einzurichten. Ein Porträt von David Ben Gurion, Israels erstem Premier, haben sie bereits aufgehängt. Nun bereiten sie ein Catering für eine Hochzeit vor. Ihre Friedrichshainer Stammkundschaft werden sie sehr vermissen. »Wir waren zu Freunden geworden. Das ist schade für beide Seiten, dass wir nun etwas weiter weg sind.«

Die Israelin Raz kam 2016 nach Berlin, weil ihr der Krieg zwei Jahre davor zu viel war. 20 Jahre lang hatte die 45-Jährige in mehreren Restaurants in Tel Aviv gearbeitet. »Ich habe so ziemlich alles gemacht, sowohl in der Küche als auch im Service«, sagt sie. Berlin bedeute für sie Frieden. Zuerst arbeitete sie bei EL AL in der Security. Doch dann erfüllte sie sich 2021 einen lang gehegten Traum und eröffnete in Friedrichshain ein Restaurant.

»Ich vermisste das gute Essen aus Israel und wollte nun diese Gerichte kochen und servieren«

»Ich vermisste das gute Essen aus Israel und wollte nun diese Gerichte kochen und servieren.« Von älteren jüdischen Frauen aus Marokko und dem Jemen, wo auch einige ihrer Vorfahren herstammen, habe sie viele Tipps bekommen. »Sie haben die besten Rezepte.«

Jenny hingegen wuchs in Australien auf, studierte in den USA Englische Literatur, promovierte und wurde Lehrerin. Ihr Großvater war einst aus Polen nach Aus­tralien geflohen. Aber die heute 40-Jährige wollte lieber in Europa leben und landete schließlich auch in Berlin – wo sich die beiden Frauen kennen und lieben lernten. Jenny ließ ihren Job sausen, um im Restaurant mitzuarbeiten. »Wir sind ein Familienunternehmen, denn auch unsere Mitarbeiterinnen sind für uns Familie.« Sie kommen ebenfalls aus Israel.

Nun sind Raz und Jenny glücklich, dass sie sich sicher fühlen und in Ruhe kochen können. Demnächst möchten sie sich auch um ein Koscher-Zertifikat kümmern. »Wir haben in den neuen Räumlichkeiten zwei Küchen, da würde das gut funktionieren.«

»Wenn wir Politik machen wollten, wären wir Politiker. Aber wir möchten nur gutes Essen kochen und Leute glücklich machen.« Das Konzept haben sie etwas umgestellt, mittags soll es nun ein eher einfacheres Angebot geben, abends ein Hauptmenü. Auch die Atmosphäre soll wieder schön sein. »Können wir nun auch wieder israelische Musik spielen?«, fragt Jenny ihre Frau. Raz nickt.

DoDa’s Deli, Münstersche Straße 11, Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag ab 11 Uhr. Die offizielle Eröffnung ist am 14. Juni.

Biografie

»Traut euch, Fragen zu stellen«

Auch mit 93 Jahren spricht die Schoa-Überlebende Eva Szepesi vor Schülern. Nun hat sie ein Bilderbuch über ihre Geschichte veröffentlicht

von Alicia Rust  06.07.2025

Freiwilligendienst

Helfen und lernen

Vier Israelis erzählen, warum sie ehrenamtlich in Deutschland arbeiten

von Christine Schmitt  06.07.2025

Porträt der Woche

Die Welt verbessern

Noam Quensel möchte sich engagieren und das Judentum nach außen tragen

von Eugen El  06.07.2025

München

Das Schweigen brechen

Stephan Lebert und Louis Lewitan stellten ihr neues Buch »Der blinde Fleck« über ein deutsches Tabu und seine Folgen vor

von Helen Richter  03.07.2025

Sport

Fit mit Makkabi

Schmerzt der Rücken? Fehlt die Kraft? Wir haben vier Übungen für alle, die fit im Alltag werden wollen. Gezeigt hat sie uns Noah von Makkabi

von Katrin Richter  03.07.2025

Berlin

»Wie vorm Berghain«

Avi Toubiana über das Kosher Street Food Festival, organisatorische Herausforderungen und Warteschlangen

von Helmut Kuhn  06.07.2025 Aktualisiert

Lesung

Familiengeschichten

Der Autor Daniel Zylbersztajn-Lewandowski stellte im »taz-Café« zwei Bücher über seine Vorfahren vor – und lernte bislang unbekannte Verwandte kennen

von Alicia Rust  03.07.2025

Chemnitz

Marx und Mikwe

Die Jüdische Gemeinde präsentiert sich im Kulturhauptstadtjahr zwischen Baustelle, Geschichte und Begegnung. Ein Ortsbesuch

von Anett Böttger  02.07.2025

Meinung

Nicht ohne meine Klimaanlage!

Warum sich Deutschland im Sommer an Israel ein Beispiel nehmen sollte

von David Harnasch  02.07.2025 Aktualisiert