Auszeichnung

Geschichtswettbewerb in Bellevue

Héctor Pio-Rendón Gutmann (l.) und Elias Sauer recherchierten zum jüdischen Sportverein »Philanthropin«; Frank-Walter Steinmeier ehrte die beiden. Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

»Ich war sehr aufgeregt«, sagt Elias Sauer. Und es habe ihn auch etwas nervös gemacht, dass er nicht wusste, was für eine Frage Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihnen bei der Preisverleihung zu ihrem Dokumentarfilm über einen vergessenen jüdischen Sportverein stellen würde.

»Der Bundespräsident war sehr gut vorbereitet und wollte von uns wissen, welche Bedeutung der Sportverein ›Philanthropin‹ für Kinder und Jugendliche in der Nazizeit hatte«, berichtet Héctor Pio-Rendón Gutmann. Er sei beeindruckend gewesen, habe interessiert und sympathisch gewirkt.

Die beiden Elftklässler der I. E. Lichtigfeld-Schule in Frankfurt wurden für ihre halbstündige Doku mit einem ersten Preis im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten und der Körber-Stiftung ausgezeichnet und empfingen in seinem Amtssitz Schloss Bellevue eine Urkunde und 2500 Euro.

ARCHE »Eine Art Arche war der Sportverein für die Leute gewesen«, sagen Elias und Héctor unisono. Denn während der Schoa bekam die Gemeinschaft eine ganz andere Bedeutung. Sie war ein Ruhepol für sie, ergänzt Héctor. Sie hatten somit einen Ort, an dem sie, die immer mehr ausgegrenzt wurden und für die der Alltag immer schlimmer wurde, aus der »grauen und düsteren Welt wenigstens für kurze Zeit flüchten konnten«.

Das spiegelt sich auch in den Mitgliederzahlen wider. Waren es in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts etwa 200 Mitglieder, so nahmen die Beitritte in den 30er-Jahren stark zu. Im Olympiajahr 1936 zählte der Verein 1200 Mitglieder. Allerdings lösten die Nazis ihn zwei Jahre später auf – wie alle noch bestehenden jüdischen Vereine.

Offiziell existierte der »Philanthropin« so lange, bis die Schule geschlossen wurde, das war 1942. Bis vor wenigen Monaten war der Sportverein in Vergessenheit geraten. Erst dank der Arbeit der beiden Schüler wurde er nun wieder bekannt.

SMARTPHONE »Aber die Phase, in der ich realisiere, dass wir tatsächlich gewonnen haben, die kommt erst noch«, sagt Héctor ein paar Tage nach der Feier. Bei ihrem Projekt hatten sich die beiden bewusst für das Medium Film entschieden. Ursprünglich wollten sie mit ihren Klassenkameraden einen Spielfilm drehen, denn eine 50 Seiten dicke Broschüre kam für sie nicht infrage.

Aber wegen Corona mussten sie ihr Konzept ändern und wählten ein Interviewformat. So stellten sie sich gegenseitig die Fragen, die sie selbst beschäftigten, und beantworteten sie mit Bildern und Sprache. Dazu nutzten sie die leere Schulaula, Smartphone, Stativ und Spiegelreflexkamera. Sie kamen auf 45 Minuten Material, das sie auf 30 Minuten herunterkürzen mussten. »Es hat sehr viel Spaß gemacht«, sagen beide. Und es sei alles andere als eine normale Schularbeit gewesen.

Die Mitglieder des Sportvereins trainierten früher in der heutigen Mensa der Schule.

Mit der Pandemie und einem Plakat in einem Buch in der Schulbibliothek fing alles an. Die Religionslehrerin Nurith Schönfeld-Amar fragte Héctor, ob er Lust hätte, die Zeit zu nutzen und gemeinsam mit einem Mitschüler am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten teilzunehmen. Thema: Sport macht Gesellschaft. »Da habe ich gleich gedacht, es mit Elias zusammen anzugehen.« Denn beide sind sportlich. Der 17-jährige Héctor rudert, Elias, 16 Jahre alt, spielt Tennis.

Das Plakat weist darauf hin, dass es am Philanthropin, der ehemaligen Schule der Israelitischen Gemeinde in Frankfurt und der heutigen Adresse der I. E. Lichtigfeld-Schule, einen Sportverein gegeben haben musste.

TENNISPLATZ Dessen Mitglieder trainierten in der heutigen Mensa der Schule, auf dem jetzigen Pausenhof war der Tennisplatz. Schwimmen, Tennis und Leichtathletik hatte der Verein im Angebot, der 1921 als SV Philanthropin gegründet worden war. »Wahrscheinlich, weil es so viele Krankheitsfälle gab und diesem Problem entgegengewirkt werden sollte«, meint Elias.

Anfangs sei es ein ganz normaler Sportverein gewesen. Das Philanthropin sei die erste Schule in Frankfurt mit einer Turnhalle gewesen, denn der Sport zählte früh zum jüdischen Selbstverständnis. Schließlich sollte das sogenannte Muskeljudentum auf eine mögliche Auswanderung nach Palästina vorbereitet werden.

Da es keine Zeitzeugen mehr gibt, griffen die Teenager auf Archive zurück, so konnten sie online die Judaika-Sammlung der Goethe-Universität nutzen. Daten aus der Schulbibliothek, dem Jüdischen Museum und dem Deutschen Historischen Museum vervollständigten ihre Infos, meint Héctor.

SCHLUSSRUNDE 1349 Beiträge waren bei dem Wettbewerb eingereicht worden. Nach ihrem Erfolg auf Landesebene kamen die beiden Schüler in die Schlussrunde. Fünf Projekte wurden dort mit dem ersten Preis geehrt.

Gezeigt wird der Film mittlerweile im Religionsunterricht, wahrscheinlich demnächst im Jüdischen Museum Frankfurt und eventuell auch auf YouTube. »Die Urkunde bekommt einen Ehrenplatz« – da sind sich die beiden Schüler sicher. Sowohl Elias als auch Héctor wissen auch schon, was sie mit dem Geld machen wollen, das sie erhalten: sparen.

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