Chabad Berlin

Ein offenes Haus

»Wir verstecken uns nicht«, sagt Vadim Basin, Pressesprecher der Jüdischen Gemeinde Chabad Berlin. Er deutet auf die massiven Mauern des nach der britischen Pears Foundation benannten Jüdischen Campus in Wilmersdorf. Mauern vermitteln für gewöhnlich ein Gefühl von Abgeschlossenheit und Schutz. Sie definieren Räume der Zuflucht. »Wir sind uns bewusst, dass Leben etwas Sensibles ist«, erklärt er. Aber: »Vor allem ist es etwas Besonderes. Daher setzen wir uns für ein sichtbares jüdisches Leben ein.«

Was er meint, fällt ins Auge. Als Graffitis zieren jüdische Symbole die Steinmauern. Sichtfenster brechen das Gefühl der Abgeschlossenheit. Sie signalisieren einerseits die Einladung zum Gespräch, andererseits vermitteln sie den Kindern und Jugendlichen des Campus Selbstbewusstsein: Sie müssen sich nicht verstecken, sollen zeigen, dass sie zu Berlin gehören. »Wir sind da. Wir sind in Berlin.« Das ist das Motto, ja die Philosophie einer der größten jüdischen Institutionen für Bildung, Kultur und Sport in Deutschland seit der Schoa. Folgerichtig ist das Brandenburger Tor in das Logo des Campus integriert.

Nimmt Teichtal den kürzesten Weg zum Neubau, geht er über den Fußballplatz

Seit mittlerweile einem Jahr ist die Bildungsstätte in Betrieb. Vier Jahre lang wurde daran gebaut. Auf 8000 Quadratmetern befinden sich eine Kita, die Jüdische Traditionsschule – zu der die Harry Schwarzer Grundschule und das Gutman Gymnasium gehören –, aber auch Kunst­ateliers und Musikstudios sowie ein Kino mit 100 Sitzplätzen und eine Sporthalle, die zudem für Veranstaltungen genutzt werden kann.
Initiiert wurde der Campus von Rabbiner Yehuda Teichtal und seiner Frau Lea von der Jüdischen Gemeinde Chabad Berlin. Ihre Synagoge grenzt an den Campus. Nimmt Teichtal den kürzesten Weg zum Neubau, geht er über den Fußballplatz. »Da muss er dann auch manchmal mit den Kids bolzen«, sagt Basin lachend.

»Kinder sind die Zukunft«, führt er weiter aus. Der große Spielplatz ist das Erste, was man vom Campus wahrnimmt. Kinder toben. Die Mauer hinter ihnen ist in diesem Fall eine etwa drei Meter hohe lichtdurchlässige Glaswand. Dahinter befindet sich ein Wohnblock. Erneut wird deutlich: Hier soll sich niemand verstecken müssen. Schusssicher ist die Glaswand dennoch.

Man kann Yoga oder Krav Maga lernen und Basketball spielen.

Im Eingang des Gebäudes formen bunte Neonröhren zu beiden Seiten den Baum des Lebens. Je mehr Stufen man im Gebäude erklimmt, desto größer sind die Kinder beziehungsweise Jugendlichen, die dort unterrichtet werden. Im untersten Stockwerk befindet sich eine Krabbelgruppe, im Erdgeschoss dann die Kita, die Grundschule beginnt im ersten Stock und in den obersten Etagen werden die Gymnasiasten auf ihr Abitur vorbereitet. Überall findet sich das Prinzip der Transparenz wieder. In der Kita etwa sind Sichtfenster in den Türen – auf jeder Körperhöhe. Selbst die Lehrerzimmer sind offen.

Die Kita, die bis zu ihrem Einzug an einem anderen Ort untergebracht war, hat gerade ihr 20-jähriges Jubiläum gefeiert. Anfangs waren vier Kinder in der Obhut einer Erzieherin. Mittlerweile sind es 150 Kinder, und die Erzieherin aus der Anfangszeit passt noch immer auf die Kleinen auf. Insgesamt besuchen etwa 400 Kinder und Jugendliche aller Konfessionen den Campus. Auch Willkommensklassen werden hier unterrichtet: geflüchtete Kinder aus Israel und der Ukraine.

Jede Woche findet eine Veranstaltung von oder für Externe statt

Das Haus öffnet seine Räumlichkeiten auch für andere. Jede Woche findet eine Veranstaltung von oder für Externe statt. »Das ist Sinn der Sache. Das Haus soll nicht nur für jüdische Menschen sein, sondern eine Plattform für alle«, sagt Rabbiner Teichtal. Er schaltet sich telefonisch beim Rundgang zu und erklärt, dass Wissen für ein Miteinander und Toleranz sorge.

Deshalb wolle man sich auch nicht auf Berlin beschränken. Es kämen bereits Gemeinden außerhalb Berlins für Tagungen an den Campus. Einzelpersonen können an den vielen Sportaktivitäten teilnehmen, Yoga oder Krav Maga lernen und Basketball spielen. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, sind weitere Angebote geplant.

»Wir schaffen Möglichkeiten und freuen uns darüber, dass die Menschen sie annehmen«, ergänzt Basin. Der Campus sei eine moderne Art der Annäherung, auch für nicht praktizierende Jüdinnen und Juden. Es gehe generell darum, Berührungsängste abzubauen. Direkt angrenzend an das Chabad-Gelände befindet sich ein evangelischer Campus. Man tausche sich aus, die Atmosphäre sei freundschaftlich.

Jüngst hat auch das Berliner Flughafenpersonal das Seminar besucht

Tagung Jüngst fand beispielsweise die Tagung von Schulen in freier Trägerschaft in dem Campus statt. »Etwa 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen nahmen teil«, so Basin. Ebenso gebe es einen regen Austausch mit der Bundespolizeiakademie mit dem Ziel, Sensibilisierungstrainings zum Thema Antisemitismus weiter auszubauen und Präventionsmaßnahmen anzubieten. Jüngst hat auch das Berliner Flughafenpersonal das Seminar besucht.

»Die Erwartungen, die wir hatten, sind bei Weitem übertroffen worden«, sagt Teichtal mit Blick auf das erste Jahr. Er habe nicht gedacht, dass die Seminare so gut angenommen würden. Teichtal ist es leid, immer nur reagieren zu müssen. Dementsprechend wichtig ist ihm Präventionsarbeit – »besonders bei Menschen, die öffentliche Verantwortung haben«.
»Jüdisches Leben ist nicht beschränkt auf Antisemitismus«, betont der Rabbiner dennoch, es sei zu sehr vom Negativen geprägt.

Dem möchte er Positives entgegensetzen. »Wir müssen das Narrativ ändern.« Umso mehr betont er, dass der Campus allen offenstehe. Sowohl Teichtal als auch Basin sprechen von einer negativen Minderheit, die derzeit lauter sei. Der Campus dagegen soll Menschen dazu ermutigen, ins Gespräch zu kommen und Vorurteile abzubauen. Es sei wichtig, dass es »nach vorn« gehe.

Die Finanzen seien immer eine Herausforderung.

Auch deshalb freuen sich beide, dass im Dezember mehr als 400 jüdische Jugendliche aus ganz Europa für einen Schabbaton nach Berlin kommen.
Die Finanzen hingegen seien immer eine Herausforderung. »Wir führen derzeit Gespräche mit dem Land Berlin und hoffen auf positive Ergebnisse.« Demnächst soll das Angebot mit einem Jugendzentrum und der Einweihung einer Außensportanlage erweitert werden. »Uns stehen dafür 1000 Quadratmeter zur Verfügung«, so Basin.

Sie möchten verschiedene Menschen in einem positiven Setting zusammenbringen. Dass das gelingen könne, darin sind sich beide einig. »Gemeinsam sind wir stark«, sagt Teichtal. »Jeder allein ist zerbrechlich, aber zusammen sind wir stark.« Und zum Ende des Gesprächs ergänzt er selbstbewusst: »Wir werden uns nicht unterkriegen lassen.

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