Porträt der Woche

»Ein Jahr im Ausland wäre toll«

»Die Deutschen sollten endlich akzeptieren, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist«: Daniel Uschpol lebt in Bremen. Foto: Till Schmidt

Porträt der Woche

»Ein Jahr im Ausland wäre toll«

Daniel Uschpol studiert Europastudien und hofft auf die Zeit nach den Online-Seminaren

von Till Schmidt  21.11.2020 18:22 Uhr

Der erste Moment am Flughafen ist wirklich besonders. Wenn ich in Israel ankomme, habe ich ein staunendes Lächeln auf den Lippen. Hier sind fast alle Juden! Das ist ein Zustand, der für mich nicht normal ist. Mit dem Betreten des Flugzeugs begebe ich mich in eine andere Welt – in eine Welt, in der man nicht permanent kämpfen muss – oder zumindest auf eine andere Weise. Ein Ort, an dem wir als Juden uns nicht immer erklären müssen und nichts Außergewöhnliches sind.

Eigentlich bin ich ja ein ganz normaler Typ. Seit fünf Semestern studiere ich an der Universität Bremen Integrierte Europastudien. Das ist eine Mischung aus Kultur- und Sozialwissenschaften. Im Moment bereite ich mich auf meinen Auslandsaufenthalt in Florenz vor.

corona-pandemie Falls das wegen der Corona-Pandemie nicht klappt, möchte ich es verschieben. Es wäre schade, wenn ich meine mühsam erworbenen Italienischkenntnisse nur in Online-Seminaren anwenden und verbessern könnte. Für eine Weile würde ich einfach gerne in Italien leben.

Seit einigen Jahren lerne ich auch Hebräisch. Ich gebe zu, ich bin kein Genie im Sprachenlernen, aber es macht mir einfach Spaß, mich in eine neue Grammatik und in einen neuen Wortschatz einzuarbeiten. Da mein Opa im Schtetl Jiddisch gesprochen hat, ist das Hebräischlernen für mich auch eine Form des Wiederaneignens meiner kulturellen Wurzeln. Darüber hinaus verstehe ich es auch als etwas Politisches, als einen zionistischen Akt.

Ich fühle mich als echter Bremer. Ein bisschen Lokalpatriotismus ist mir gar nicht fremd.

Geboren und aufgewachsen bin ich in Osterholz, einem Stadtteil im Bremer Osten, der nicht nur räumlich entfernt von der Innenstadt und dem hippen Steintorviertel liegt. In Osterholz leben viele Russlanddeutsche und »Kontis«, wie ich die aus der ehemaligen Sowjetunion eingewanderten Juden, die als sogenannte Kontingentflüchtlinge nach Deutschland kamen, gern nenne.

arbeitsstelle Genau das haben meine Eltern 1992 auch gemacht: Sie sind aus St. Petersburg nach Bremen migriert. Die Wahl fiel vor allem deshalb auf Bremen, weil mein Vater hier als Maschinenbauingenieur eine Arbeitsstelle finden konnte.

Ich fühle mich als echter Bremer. Ein bisschen Lokalpatriotismus ist mir gar nicht fremd. Ich mag es, dass überall im Steintorviertel Antifa-Sticker kleben, dass Bremen eine weltoffene, internationale, eine politisch eher linke Stadt ist.

Klar, so wie anderswo gibt es auch hier viele Probleme: Armut, Rassismus, Islamismus und auch Antisemitismus. Aber zumindest vor Rechtsextremen fühle ich mich hier im Moment sicher. Das wäre in anderen Städten oder Regionen Deutschlands nicht der Fall. Manchmal ist in den Medien zu lesen, Bremen sei eine »Hochburg des Antisemitismus«. Mit meinen Erfahrungen deckt sich das nicht.

WARTESCHLANGE Meine Familie ist damals mit nichts nach Deutschland gekommen – meine Eltern mussten sich hier ein neues Leben aufbauen. Daher bin ich es gewohnt, mir vieles erst selbst erkämpfen zu müssen. Das ist anders bei Menschen, die aus alteingesessenen Familien kommen und sehr privilegiert aufgewachsen sind.

Dass ich mich nicht so richtig deutsch fühle, hat auch mit meinen Erfahrungen als Mensch aus einer Familie mit Migrationsgeschichte zu tun. Die Deutschen sollten endlich akzeptieren, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Dass das so ist, sieht man doch eigentlich überall. Es ist gelebte Realität.

In Israel fühle ich mich paradoxerweise weniger jüdisch – da bist du einfach Mensch. Manchmal verwandele ich mich aber lustigerweise auch in einen Deutschen. Etwa wenn ich mich in eine Warteschlange einreihe und dabei nicht drängele und auch nicht meckere, warum das alles nur so langsam vorangeht. Doch selbst an den größten Balagan kann man sich gewöhnen, das habe ich während meiner vielen Aufenthalte in Israel immer wieder gemerkt.

Bisher war ich sechsmal dort: mehrmals zusammen mit meiner Familie, dann über das Taglit-Programm und einen Studierendenaustausch mit dem Sapir College in Schaar HaNegev sowie zuletzt als Freiwilligendienstleistender.

In Israel fühle ich mich paradoxerweise weniger jüdisch. Da bist du einfach Mensch.

Von August 2017 bis Mai 2018 habe ich in einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung gearbeitet. Das war in Kfar Saba, etwa 15 Kilometer nordöstlich von Tel Aviv nahe der »grünen Linie« zum Westjordanland. Meine Aufgaben bestanden darin, die Bewohner in ihrem Alltag zu unterstützten und mit ihnen Freizeitaktivitäten zu unternehmen.

GEMEINSCHAFT Da wir häufig auch am Wochenende arbeiten mussten und in Kfar Saba ohnehin nicht viel los war, bin ich häufiger unter der Woche nach Tel Aviv gefahren. Ich wollte die Stadt erkunden und besser kennenlernen, einfach herumlaufen und Eindrücke sammeln. Und dabei auch herausfinden, ob ich mir vorstellen könnte, später mal Alija zu machen.

In Florentin hat mir damals ein Künstler zwei Fotografien verkauft. Beide habe ich eingerahmt und in meinem WG-Zimmer neben meine Israelfahne gehängt. Auf dem einen Foto sind israelische Soldaten abgebildet, die vor der Westmauer einen Kreis gebildet haben und einander in den Arm nehmen. Das symbolisiert für mich die Gemeinschaft und das Füreinander-Einstehen.

Das zweite Foto berührt mich ebenfalls sehr, es wurde an einem Checkpoint aufgenommen. Auf der einen Seite steht ein Soldat, auf der anderen Seite eine arabische Frau. Beide sind jung, haben noch viel vor sich. Und beide schauen aneinander vorbei mit müden und genervten Blicken.

»safe space« Israel ist ein »safe space«, ein sicherer Hafen für Juden und steht für jüdisches Empowerment. Doch mir ist auch bewusst, dass es dort viele soziale und politische Probleme gibt. Es ist mir wichtig, das nicht auszublenden, sondern mit offenen Augen auch durch Israel zu gehen.

Den Kampf gegen Antisemitismus können wir nicht alleine führen. Gleichzeitig müssen wir auch den Mund aufmachen, wenn es um andere geht.

Mein Interesse an israelischer Politik hat so richtig im Jahr 2014 angefangen. Mit meiner Mutter war ich damals schon dreimal dort gewesen, wir hatten Verwandte in Akko besucht und uns die klassischen Touristenziele wie Jerusalem, das Tote Meer und Eilat angesehen.

Dann aber gab es den dritten Gaza-Krieg, der dazu beitrug, dass sich auch in Deutschland ein sehr aggressiver Antisemitismus Bahn gebrochen hat. Ich habe das auf Social Media mitbekommen, aber auch bei den Demonstrationen auf der Straße, auf denen Parolen wie »Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein« skandiert worden sind. Ich fühlte mich damals unglaublich schlecht, einsam und hilflos, ich hatte das Gefühl, dass sich alle gegen uns verschworen haben.

SELBSTBEWUSSTSEIN Irgendwann begann ich, mich zu fragen: Woher kommt diese Einseitigkeit, dieser Hass? Das hat mich stark politisiert, und ich habe mich stärker mit Antisemitismus und mit der Geschichte und Politik des Nahostkonflikts beschäftigt. Sehr dankbar war ich dabei über Blogs wie »Zwischen Mittelmeer und Jordan« von Richard C. Schneider, der mir, dessen Familie nicht sehr politisch ist, sehr geholfen hat, besser zu verstehen, was in Israel passiert. Zionist zu sein, bedeutet für mich auch, mich neugierig auf die Komplexität der israelischen Gesellschaft und Politik Israels einzulassen.

Genau das hat mir bei meiner Taglit-Reise vor einigen Jahren gefehlt. Wie uns das Land damals präsentiert wurde, etwa wenn wir uns Beduinendörfer angesehen haben, wirkte das wie ein Besuch eines Freizeitparks, wie eine Hollywood-Produktion mit Happy End.

Gleichzeitig habe ich die Rundreise auch sehr genossen. Es war das erste Mal, dass ich alleine weiter weg war. Gemeinsam mit anderen jungen Jüdinnen und Juden unterwegs zu sein, hat mir damals viel Stärke und Selbstbewusstsein gegeben.

SCHUTZ Es freut mich, dass es beim Antisemitismus inzwischen auch mehr Gegenrede von Nichtjuden gibt. Ich bin dankbar für das gute Verhältnis meiner Gemeinde zur Polizei, die die Synagoge und das Gemeindezentrum vor Anschlägen schützt. Den Kampf gegen Antisemitismus können wir nicht alleine führen. Gleichzeitig müssen wir auch den Mund aufmachen, wenn es um andere geht. Ich möchte mich deshalb verstärkt mit Themen wie Postkolonialismus und »White Privilege« beschäftigen.

Wir Minderheiten müssen zusammenarbeiten und Allianzen bilden. Bei der Auseinandersetzung mit diesen Zusammenhängen hilft mir mein Studium enorm weiter. Dass ich ein sozialwissenschaftliches Fach an einer Universität studiere, ist nicht selbstverständlich. Ich habe mir das erkämpft. Mit viel Ausdauer.

Aufgezeichnet von Till Schmidt

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