Porträt der Woche

Der Motorenflüsterer

»Es ist mir wichtig, mich trotz meines beruflichen Drucks nicht zu verlieren«: Shaul Yaakoby (59) aus Aachen

Porträt der Woche

Der Motorenflüsterer

Shaul Yaakoby ist Israeli und entwickelt einen neuen Antrieb für Fahrzeuge

von Lorenz Hartwig  11.05.2025 07:28 Uhr

Immer wieder höre ich den Satz: Denk außerhalb der Box. Aber welche Box ist da gemeint? Ich kenne keine Begrenzungen, keine Linien und keine Unmöglichkeiten. Wenn ich mir etwas vorstellen kann, finde ich den Weg, es umzusetzen. Aus Erfahrung weiß ich, dass ich mithilfe der Logik immer von A nach B komme. Manchmal braucht es nur ein wenig Zeit. Für mich ist das kein formaler Akt, sondern ein natürlicher Prozess.

Ich bin kein Erfinder geworden. Ich war schon immer so. Dieses Gen ist Teil von mir und prägt meine Sicht auf die Welt. Ich analysiere, denke und baue permanent. So funktioniert mein Gehirn einfach. Dabei geht es mir nicht ums Träumen, sondern ums Machen.

Ich bin auf einer Farm in Nahalat Yehuda aufgewachsen. Meine Eltern kamen ohne große Mittel nach Israel, aber mit einem unerschütterlichen Willen. Sie haben sich ihre Zukunft mit den eigenen Händen aufgebaut. Das Leben auf dem Land macht erfinderisch. Es zwingt dich, Lösungen zu finden, die nicht in der Bedienungsanleitung stehen. Wenn unser Traktor kaputt war, konnte ich mich entweder darüber ärgern oder ihn zum Laufen bringen. Letzteres ersparte mir, selbst den Pflug über das Feld zu ziehen.

Selbst verstehen, warum etwas nicht funktioniert

Es liegt nahe, wofür ich mich entschied. Also habe ich mir mit zwölf Jahren meinen ersten Traktormotor vorgeknöpft. Natürlich hatte ich keinen Lehrer. Ich wollte selbst verstehen, warum etwas nicht funktioniert. Diese Neugier hat von jenem Moment an mein Leben bestimmt. Auf das Reparieren folgte das Optimieren. Sobald ich eine Materie verstand, wollte ich wissen, wie ich sie verbessern kann, damit sie mir das Leben erleichtert. Insofern sind Erfinder vielleicht einfach faule Menschen mit sehr guten Ideen. Aber ohne Mut bleibt jeder kluge Einfall nur Theorie.

Ich analysiere, denke und baue permanent. So funktioniert mein Gehirn einfach.

Als junger Erwachsener gründete ich meine eigene Werkstatt. Ich fing klein an, wuchs mit jeder technischen Herausforderung. Ein Studium habe ich nie abgeschlossen. Ich besitze kein Diplom, kein Zertifikat. Was mich antrieb, war dieses unbändige Interesse. Die nötige Erfahrung kam über das Ausprobieren. Für meinen Erfolg gab es immer einen eindeutigen Beweis: Läuft wieder! Ein paar Jahre später gründete ich mit Partnern eine Firma, die sich auf die Entwicklung neuartiger Motoren spezialisierte. Dann ging es mit dem Erfinden so richtig los. Je mehr ich mich mit den bestehenden Technologien auseinandersetzte, desto mehr Potenzial für Verbesserungen sah ich. Unsere Wege trennten sich, aber ich blieb meiner Mission treu.

Vor einem Jahr setzte ich mir ein neues Ziel. Ich wollte nicht mehr nur den aktuellen Stand der Technik verbessern, sondern ihn revolutionieren. Gemeinsam mit meinem Team entwickelte ich eine Alternative zum klassischen Verbrennungsmotor und zugleich eine neue Art der Strom­erzeugung. Das klingt wie ein Spaziergang, war es aber nicht.

Viele Probleme, aber noch keine Lösungen

Anfangs hatten wir viele Probleme, aber noch keine Lösungen. In solchen Momenten hilft mir immer der Blick nach vorn. Weder Markt noch Geld noch Investoren dürfen ablenken. Also begannen wir mit Version eins. Dann ging es weiter zur nächsten. Entwurf für Entwurf. Schritt für Schritt.
Der Mythos vom großen Heureka-Moment ist Unsinn. Was es braucht, ist Vertrauen ins Team und Gelassenheit im Umgang mit Rückschlägen.

Klappt nicht? Gut. Weitermachen. Aufgeben ist keine Option für mich. Bis schließlich klar war, wo der Kraftstoff hineinfließt und der Strom herauskommt, vergingen unzählige Arbeitsstunden. Doch dank meines großartigen Teams dauerte es nur zwölf Monate, bis wir Motor, Generator und Software entwickelt hatten. Außerdem gelang es uns, die einzelnen Komponenten so aufeinander abzustimmen, dass ihr Zusammenspiel perfekt funktionierte.

Ich fragte mich stets, ob ich diesen Motor in mein eigenes Auto einbauen würde. Wenn die Antwort »Nein« lautete, war klar, dass wir noch nicht fertig sind. Wenn ich heutzutage Menschen meine fertige Erfindung zeige, erkennen sie vertraute Elemente und Motorteile wieder. Dennoch spüren sie schnell, dass sie etwas absolut Neuartiges vor sich haben. Genau das ist für mich Innovation. Ich muss nicht jede Schraube neu erfinden, aber das große Ganze neu denken.

In Hybrid- und Elektroautos steigert unser kleiner, leistungsstarker Antrieb die Reichweite

Wir haben eine Kombination aus Verbrennungsmotor und Generator gebaut, die Wasserstoff als Treibstoff nutzt. Das macht unser System emissionsfrei. Die Anwendungsbereiche sind vielfältig. In Hybrid- und Elektroautos steigert unser kleiner, leistungsstarker Antrieb die Reichweite. Damit lösen wir eines der wesentlichen Probleme der E-Mobilität. Denn aktuell verbrauchen Batterien zu viel Platz, sind zu schwer und bringen nicht die gewünschte Leistung. Das Recycling ist anspruchsvoll, was bei uns nicht der Fall ist. Außerdem können Kühlfahrzeuge mit unserer Erfindung unterwegs selbst Strom erzeugen.

Dank uns bleiben die Fischstäbchen also klimaschonend gefroren. Auch Haushalte dürften von unserem Produkt profitieren. Sie könnten zukünftig in ihrem Keller ein kleines Kraftwerk betreiben, das Strom und Wärme erzeugt.

Natürlich weiß ich, dass all das nur etwas bringt, wenn die Technik ökonomisch und ökologisch funktioniert. Nur dann wird aus einer Idee ein Produkt für die Masse. Es muss besser sein als alles andere – leichter, günstiger, leistungsstärker. Wir haben Hunderte Tests gemacht, uns immer wieder hinterfragt. Als wir diesen Meilenstein erreicht hatten, war es, als würden wir Süßigkeiten verkaufen. Plötzlich liebten uns alle. Auch die, die vorher nicht an uns geglaubt hatten. In diesem Jahr geht endlich der Prototyp in Produktion.

Ich brauche meine Rituale. Jeden Morgen spreche ich das Mode Ani

Mein Beruf fordert mich mental sehr stark. Deshalb ist es mir wichtig, mich trotz des Drucks nicht zu verlieren. Ich brauche meine Rituale. Jeden Morgen spreche ich das Mode Ani. Ich danke für mein Leben. Dann mache ich mein Bett, trinke Kaffee, treibe Sport. Dabei denke ich nach, tanke auf. Manchmal meditiere ich, weil das meinen Fokus schärft. Außerdem koche ich gern. Am liebsten für andere Menschen.

Da ich zurzeit Single bin, kommen aktuell nur Freunde in den Genuss meiner Kochkünste. Die passende Lebenspartnerin ist eine Zutat, die noch zu meinem Glück fehlt. Für mich ist Kochen wie Erfinden. Es ist kreativ, aber es geht immer um das Ergebnis. In meinem Haus umgebe ich mich mit Kunst, Farben, Formen, Materialien. Mein Büro ist voll davon. Aber bei meinen Maschinen bin ich Minimalist. Weniger Teile, weniger Probleme.

Als Erfinder fange ich oft bei null an.

Als Erfinder fange ich oft bei null an. Bei mir war das auch privat so. Der Umzug nach Deutschland vor 14 Jahren war ein kompletter Neustart. Ich ließ meine Heimat zurück, meine drei Kinder, mein Leben in Tel Aviv. In Aachen fühlte ich mich anfangs fremd. Ich beherrschte die Sprache nicht gut, kannte niemanden. War ich deshalb unglücklich? Nein, weil ich das beste Umfeld fand, um meine Vision umzusetzen.

Fortschritt braucht keinen Dogmatismus, sondern Mut

So einfach ist das. Wenn ich einen Plan habe, verfolge ich ihn mit aller Konsequenz. Ich konzentriere mich nicht auf das, was ich aufgeben muss, sondern auf das, was ich gewinnen kann. Dafür brauche ich Menschen mit besonderen Fähigkeiten, die ich für meine Ideen begeistern kann. Ich glaube, die Welt kann viel von Erfindern lernen.

Wir stellen Altes infrage und gehen neue Wege. Uns leiten keine Ideologien, sondern unsere Neugier. Fortschritt braucht keinen Dogmatismus, sondern Mut. Für mich heißt Erfinden, sich der Realität zu stellen und sie trotzdem zu verändern. Es geht nicht nur um Technik. Es geht um Haltung. Um Verantwortung für heute und morgen.

Manchmal frage ich mich, was von mir bleibt. Was gebe ich weiter? Ich habe drei wunderbare Kinder. Das ist viel wert. Aber ich möchte auch etwas in der Welt hinterlassen, das über mich hinausreicht. Vielleicht klappt das. Vielleicht nicht. Hauptsache, ich kann von mir behaupten, dass ich es versucht habe. Das zählt für mich.

Aufgezeichnet von Lorenz Hartwig

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