Beratung

»Der Bedarf hat sich verdreifacht«

Marina Chernivsky Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Frau Chernivsky, Sie leiten das Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment in Trägerschaft der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) sowie die Beratungsstelle OFEK – Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung. Melden sich dort derzeit mehr Personen als sonst?
Der Bedarf hat sich in wenigen Tagen verdreifacht, es sind mehr als 100 Anfragen eingegangen. Ein Großteil bezieht sich auf antisemitische Gewaltfälle und Diskriminierung. Das sind judenfeindliche Vorfälle an Schulen, Hochschulen und am Arbeitsplatz, die nun stark im Fokus stehen. Ein Teil der Beratungsanfragen geht auch aus dem Bedarf nach psychosozialer und psychologischer Unterstützung hervor.

Wie bewältigen Sie und Ihr Team das?
Die Art und das Ausmaß des Terrors gegen die Zivilbevölkerung in Israel erschüttert. Ich habe das Gefühl, wir befinden uns gerade im kollektiven Trauerprozess. Gleichwohl ist diese Erfahrung stark asymmetrisch, weil die Auswirkungen des Krieges im nichtjüdischen Umfeld nicht zwingend eingesehen werden.

Was bedeutet das?
Dass die jüdische Gemeinschaft vor eine doppelte Herausforderung gestellt wird: den Schock zu verarbeiten, mit hohen Verlusten umzugehen und gleichzeitig die antisemitische Grundstimmung und Sicherheitsfragen hierzulande zu bewältigen. Das alles erzeugt eine hohe Anspannung und einen großen Beratungsbedarf. Der Krieg in der Ukraine stellt ebenfalls eine noch nicht ganz bewältigte Belastung dar. Diese Belastung trifft auch auf das Team von OFEK zu. Gleichzeitig war uns klar, dass wir mit entsprechenden Angeboten darauf reagieren müssen.

Wie organisiert sich OFEK derzeit?
Wir haben ein Krisenteam gebildet, Zeiten unserer bundesweiten Hotline verlängert, die Beratung von Gemeinden, Kitas und Schulen priorisiert, Gesprächsformate für Eltern, Studierende und andere Gruppen entwickelt. Alle anderen Maßnahmen mussten bis auf Weiteres abgesagt oder verschoben werden. OFEK bietet zusätzlich zu der umfassenden Beratung bei antisemitischen Vorfällen auch psychologische Hilfe in Deutsch, Englisch, Hebräisch und Russisch. Es gibt ein psychologisches Online-Angebot, Supervision und Beratung für Gruppen. Besonders das Angebot für Eltern, Kita- und Schulleitungen sowie Supervision von Teams in jüdischen Einrichtungen wird stark angefragt. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass die Selbstfürsorge nicht aus dem Blick gerät.

Wie sieht es beim Projekt MATAN aus?
Mit MATAN haben wir vor zwei Jahren zusammen mit der ZWST und ICE (Israeli Community Europe) eine Helpline geschaffen, die Menschen in Notlagen eine telefonische seelsorgerische Unterstützung auf Iwrit gibt. Auch die Zeiten von MATAN wurden verlängert, obwohl das Team mehrheitlich ehrenamtlich tätig ist. Die israelische Community ist stark belastet. Die laufende Statistik zählt bisher 30 Gespräche. Aktuell bietet MATAN psychologisch angeleitete Gruppengespräche auf Hebräisch an.

Bietet OFEK Beratungen für Schulen an?
Ein Großteil der antisemitischen Vorfälle kommt aus dem Bildungsbereich. Das Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment bietet zusammen mit OFEK eine Digitale Sprechstunde für Fachkräfte im Online-Format an. Die ersten Termine waren sehr gut besucht; weitere sind in Planung. Es ermöglicht Fachkräften eine erste fachliche Einordnung und Supervision ihrer Erfahrungen und Interventionsformen. Die Resonanz und Fragen, die im Rahmen dieser Veranstaltungen aufkommen, offenbaren einen großen Bedarf und teilweise die Ratlosigkeit im Umgang mit Antisemitismus im schulischen Kontext.

Wie würden Sie die seelische Situation der Juden und Israelis in Deutschland beschreiben?
Wir sprechen von einem Großschaden­ereignis mit extrem traumatischer Wirkung für direkt Betroffene und ihre Angehörigen, aber auch für die gesamte jüdische Gemeinschaft. Neben diesem Effekt dürfen die Resilienz und die kollektive Überlebenskraft nicht aus dem Blick geraten.

Gibt es dafür ein Rezept?
Ich denke, dass die Bewältigung sehr unterschiedlich ausfällt. Wir werden das aber gemeinsam überstehen.

Mit der Psychologin sprach Christine Schmitt.

Dating

Auf Partnersuche

Matchmaking mit Olami Germany – ein Ortsbesuch

von Jan Feldmann  23.12.2025

München

Ein kraftvolles Statement

Beim Gemeindewochenende nahmen zahlreiche Mitglieder an Diskussionen, Workshops und Chanukka-Feierlichkeiten teil

von Esther Martel  23.12.2025

Immobilie

Das jüdische Monbijou

Deutschlands derzeit teuerste Villa auf dem Markt steht auf Schwanenwerder und soll 80 Millionen Euro kosten. Hinter dem Anwesen verbirgt sich eine wechselvolle Geschichte

von Ralf Balke  22.12.2025

Erfurt

Die Menschen halfen einander

Pepi Ritzmann über ihre Kindheit in der Gemeinde, ihre Familie und Antisemitismus. Ein Besuch vor Ort

von Blanka Weber  22.12.2025

Geburtstag

Holocaust-Überlebender Leon Weintraub wird 100 Jahre alt

Dem NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau entkam Leon Weintraub durch eine Augenblicks-Entscheidung. Heute warnt er als Zeitzeuge in Schulklassen vor Rechtsextremismus. Am 1. Januar feiert er seinen 100. Geburtstag

von Norbert Demuth  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

WerteInitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 24.12.2025 Aktualisiert

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025