Antisemitismus

Betroffenen den Rücken stärken

Antiisraelische Demonstration in Kassel, Sommer 2014 Foto: Martin Sehmisch

Antisemitismus

Betroffenen den Rücken stärken

Das Sara Nussbaum Zentrum hat in Kassel eine Anlaufstelle für judenfeindliche Übergriffe eingerichtet

 12.01.2016 09:58 Uhr

Das Sara Nussbaum Zentrum für Jüdisches Leben dokumentiert ab sofort antisemitische Übergriffe, Straftaten und Vorfälle im Raum Kassel. »Wir haben uns dafür entschieden, nachdem es im Herbst 2015 innerhalb eines Monats zwei eindeutig antisemitische Übergriffe in Kassel gegeben hat«, sagt die Gründerin des Sara Nussbaum Zentrums, Ilana Katz. »Nach unserer Erfahrung werden diese Angriffe auf Juden und Unterstützer Israels häufig nicht bei der Polizei angezeigt«, so Katz, die auch Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Kassel ist. »Umso wichtiger ist es, dass wir als jüdische Einrichtung und Teil der Zivilgesellschaft diese Informationen zusammentragen und öffentlich zugänglich machen.«

Die neue Anlaufstelle wird unter dem Namen »Informationsstelle Antisemitismus Kassel« arbeiten. Die Jüdische Gemeinde Kassel und die Liberale Jüdische Gemeinde Nordhessen sind als Kooperationspartner an dem Projekt beteiligt. Die Informationsstelle wird zudem durch den Deutschen Gewerkschaftsbund Nordhessen und den Pflegedienst PSH unterstützt. Sie ist durch eine Kooperationsvereinbarung mit der Berliner Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) bundesweit vernetzt.

Zivilgesellschaft »Die Lösung kann nur von vielen gesellschaftlichen Akteuren gemeinsam geleistet werden«, sagt Martin Sehmisch, der die Leitung der Kasseler Informationsstelle übernommen hat. Hier seien neben Polizei und Justiz auch zivilgesellschaftliche Akteure, Bildungseinrichtungen, Arbeitgeber, Gewerkschaften und jeder einzelne Mensch gefordert. »Gemeinsam sollten wir daran arbeiten, den Antisemiten die rote Karte zu zeigen und die freie Gesellschaft zu verteidigen«, sagt er.

Bei der Veröffentlichung unterscheidet die Informationsstelle Antisemitismus zwischen Meldungen, die direkt von Betroffenen eingereicht wurden, und solchen, die aus öffentlich verfügbaren Quellen stammen. Ob ein Vorfall als antisemitisch einzustufen ist, werde man anhand nachvollziehbarer und wissenschaftlich fundierter Kriterien entscheiden. Klar sei, dass die Chronik nie vollständig sein werde, gab der Soziologe zu bedenken. »Bisher gelangen die Übergriffe nach unserem Eindruck aber nur sehr selten an die allgemeine Öffentlichkeit. Das wollen wir ändern.«

Betroffene und Zeugen können sich per E-Mail (informationsstelle@sara-nussbaum-zentrum.de) in mehreren Sprachen an das Zentrum wenden und ihre Erlebnisse schildern. Nach Vereinbarung sind auch persönliche Gespräche möglich. Derzeit wird die Bearbeitung deutscher, englischer und russischer Einsendungen gewährleistet. Als goldene Regel gilt dabei: »Wir veröffentlichen Information nur, wenn die Übermittler sie freigeben.«

Angebot Eine weitergehende Beratung von Betroffenen kann derzeit noch nicht geleistet werden. So könne weder eine psychologische noch eine Rechtsberatung angeboten werden. »Diese für die Betroffenen sicherlich wichtigen Aspekte können wir im Moment leider nicht abdecken«, sagt Sehmisch. Dafür gebe es weder Finanzierung noch notwendige Strukturen. Sehmisch sieht das Angebot dennoch als wichtigen ersten Schritt, der den Betroffenen den Rücken stärken könne.

Opfer von antisemitischen Übergriffen seien nicht zwangsläufig Juden, ergänzt Sehmisch. »Es genügt häufig, in irgendeiner Weise positiv auf Israel Bezug zu nehmen«, sagt er. Zudem würden die Adressaten der Übergriffe teilweise auch irrtümlich für Juden gehalten. ja

Interview

»Solidarität erfahre ich nur von Juden«

Der deutsch-israelische Pädagoge Samuel Schidem über seine drusischen Wurzeln, das Massaker in Syrien und seinen Appell an deutsche Politiker

von Christine Schmitt  06.08.2025

Projekt

Mehr Tatendrang als Verantwortung

Hannover, Düsseldorf und Bonn wollen Kinder aus Gaza aufnehmen und versorgen. Doch es gibt berechtigte Zweifel daran, wie durchdacht die Pläne sind

von Stefan Laurin  06.08.2025

Berlin

Ofek startet Portal mit jüdischen Stimmen zu den Folgen des 7. Oktober

Das Projekt ist eines der ersten in Deutschland, die sich mit Erinnerungsarbeit zu den Hamas-Massakern beschäftigen

 05.08.2025

Familie

Fast immer ganz nah

Auch wenn sie manchmal nerven: Ohne Schwestern oder Brüder macht das Leben vielen nur halb so viel Spaß. Denn Geschwister sind füreinander da. Das zeigt unsere Umfrage

von Christine Schmitt  04.08.2025

Berlin

Zusammen spielen

Im Deutsch-Jüdischen Theater arbeiten Christen, Juden und Muslime an einer szenischen Lesung zu Ehren von sechs jüdischen Persönlichkeiten. Ein Probenbesuch

von Alicia Rust  03.08.2025

Sprachen

Ein besonderes Lesefest

Nach ihrem Abschied aus dem aktiven Schuldienst engagiert sich Michaela Rychlá in der Erwachsenenbildung

von Vivian Rosen  03.08.2025

Kirche

»Es geht um Haltung«

Thomas Leu über Antisemitismus, Denkmalschutz und eine künstlerische Intervention an der Calber »Judensau«

von Tobias Kühn  03.08.2025

Gemeinden

»Wir werden hier beschützt«

Seit 1980 ist Michael Fürst Präsident des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen. Ein Gespräch übers Weitermachen, Demokratie und alte Bücher, die wieder aktuell sind

von Katrin Richter  03.08.2025

Porträt der Woche

Historikerin aus Leidenschaft

Shiran Shasha forscht zu antiken Gärten und sammelt Geld für eine Synagoge auf Kreta

von Gerhard Haase-Hindenberg  03.08.2025