Berlin

Aus eigener Erfahrung

Hans E. Ohnmacht: »Ich weiß, wie es ist, wenn man seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann.« Foto: Stephan Pramme

Berlin

Aus eigener Erfahrung

Hans E. Ohnmacht will als ehrenamtlicher Schuldnerberater anderen helfen

von Christine Schmitt  14.06.2011 16:19 Uhr

Hans Erich Ohnmacht hält nichts von einem ruhigen Leben. »Ich muss immer etwas machen. Wenn ich sehe, was zu tun ist, dann lege ich los.« Er könne nicht anders. Einfach zu Hause herumsitzen und die Beine hochlegen, das kommt für den 70-Jährigen nicht infrage. Obwohl längst im Rentenalter, arbeitet er noch als Wirtschaftsberater und erledigt für einige Firmen deren Buchhaltung.

Forderungen »Hauptamtlich« sei er allerdings Politiker, sagt Ohnmacht. Er engagiert sich bei den Grauen Panthern. Und nebenbei ist er ehrenamtlich als Schuldnerberater im Nachbarschaftsheim Schöneberg im Einsatz. »Ich habe breite Schultern und ein dickes Fell und bin abgehärtet.«

Schuldnerberater konnte er werden, da er selbst ein Insolvenzverfahren hinter sich hat. »Ich habe meine eigenen Erfahrungen damit gemacht, wie es ist, wenn man seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann«, sagt der Beter der Synagoge Pestalozzistraße. Die Erfahrungen kann er nun weitergeben.

»Es kommen alle möglichen Leute zu mir in die Beratung«, meint er. Kürzlich war eine alleinerziehende Mutter bei ihm, die ihre Energiekosten nicht mehr bezahlen konnte und der schon das Abklemmen der Leitungen drohte.

Ebenso brauchte ein Architekt seine Hilfe, der Forderungen in Höhe von 50.000 Euro nicht aufbringen konnte. »Reden und verhandeln. Das hilft«, sagt Ohnmacht. Sich mit den Mitarbeitern der Ämter und Behörden zusammensetzen und die Karten offen auf den Tisch legen – dann kommen sie einem entgegen. Die meisten seiner Klienten würden sich allerdings nicht zu diesem Schritt durchringen. Oft schreibt er auch für sie die Briefe an die Ämter.

Meistens kommen sie in die finanzielle Schieflage, da sie im Internet großzügig eingekauft haben oder sich mit einer Eigentumswohnung übernommen haben, hat er beobachtet. Sein wichtigster Rat ist aber: »Keiner reißt dir den Kopf ab. Das Leben geht trotzdem weiter und ist schön.«

Religion So klingt die Lebensweisheit eines Mannes. der sich als kleines Kind bereits in einem Keller in der Grunewaldstraße 85 in Schöneberg vor den Nazis verstecken musste. Er und seine Mutter wurden von Eitel-Friedrich Karl Balthasar von Rabenau, dem widerstandleistenden Pfarrer der benachbarten Apostel-Paulus-Gemeinde mit Nahrung versorgt.

1940 ist Ohnmacht auf die Welt gekommen. Da war seine jüdische Mutter bereits zum Christentum konvertiert und sein Vater bei der Wehrmacht. Wenn sein Vater nicht da war, hatte seine Mutter solche Angst vor den Nazis, dass sie lieber mit ihrem Sohn Hans im Keller blieb, als in der Wohnung auszuharren. Obwohl sie Chris-tin geworden war, bestand sie darauf, dass ihr Sohn eine ordentliche Brit haben sollte – was er bis heute nicht versteht, denn er erfuhr erst als Erwachsener, dass er Jude ist. »Du bist kein Goj, sondern jüdisch«, sagte Anfang der 70er-Jahre ein Mitarbeiter zu ihm, der aus Israel kam. Damals leitete Hans Ohnmacht einen Betrieb für Innenausbau. Er war 32 Jahre alt und hatte keine Ahnung vom Judentum. Er fragte seine Mutter, die ihm daraufhin alles erzählte. »Als Kind hatte ich mich immer gewundert, warum wir im Keller saßen und hatte nie eine Erklärung gefunden.« Nun wusste er Bescheid.

Synagoge Er besuchte die Synagoge Joachimstaler Straße und vertraute sich Rabbiner David Weisz an, »der mich an die Hand nahm«. Von da an habe er sein Leben nach der Religion ausgerichtet. Die Feiertage sind ihm wichtig, er verzichtet auf Schweinefleisch, besucht regelmäßig die Synagoge – mittlerweile die in der Pestalozzistraße –, und verlässt nie ohne Kopfbedeckung seine eigenen vier Wände. »Alle Leute kennen mich nur mit einer Kippa«, sagt er.

Seine jetzige Frau gehört zwar der russisch-orthodoxen Kirche an, begleitet ihn aber trotzdem mit in die Synagoge. Aus der ersten Ehe hat er eine erwachsene Tochter, die nach der Scheidung bei ihm aufwuchs. Als sie nach der Geburt ihres Sohnes in Depressionen fiel, nahm er ihn kurzerhand bei sich auf. In einer Babytasche schleppte Ohnmacht seinen Enkelsohn mit in sein damaliges Büro in Friedrichshain und zog ihn auf, bis er zwei Jahre alt war, denn dann konnte seine Tochter ihr Kind wieder betreuen. »Das war eine schöne Zeit.« Heute ist der Enkelsohn 18 Jahre alt.

Selbstständig Seit mehr als 40 Jahren ist Hans E. Ohnmacht selbstständig. Erst hatte er einen Betrieb, der Innenausbauten anbot. »Aber da ich immer mitanpackte und schwere Kühlschränke auch auf meinem Rücken trug, waren meine Hüften bald hin«.

Er machte den Betrieb zu und übernahm bei seiner damaligen Partnerin die Buchführung für ein Hotel in Oberfranken. Als die Freundschaft zu Ende war, baute er einen neuen Betrieb auf, in dem er Waren wie Teppiche und Speiseöle nach Russland verkaufte. »Ich hatte damals auch ein Büro in Leningrad und etliche Mitarbeiter.« Einige Jahre später fand Ohnmacht eine neue Lebenspartnerin, mit der er ein Reisebüro in Dresden aufmachte. Das Schlimmste an Dresden war in seinen Augen, dass es dort damals keine Synagoge gab. Nach der Wende hatte er sich auf den internationalen Tourismus spezialisiert, mit Schwerpunkt Osteuropa. »5.000 Touristen aus aller Welt haben wir geholt«, sagt er heute noch stolz. 18 Mitarbeiter waren in seiner Firma angestellt. Doch als sich 2001 die Einreisebestimmungen für Menschen aus der Ukraine änderten, kam er in Schwierigkeiten, da er zu spät davon erfahren haben wollte. Ihm – und anderen Inhabern von Reisebüros – wurde vorgeworfen, Menschen illegal eingeschleust zu haben. Eine seiner letzten Taten sei es gewesen, zwei Kindergruppen aus Tschernobyl für einen Urlaub nach Deutschland zu holen. Dann wurde Ohnmacht verhaftet und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

So schlecht sei es ihm dort indes nicht ergangen. »Ich denke nicht mit Schrecken an die Zeit.« Er war für die Organisation seines Flures zuständig, konnte sich innerhalb der Mauern frei bewegen – und schrieb schon damals Amtsbriefe für andere Häftlinge, erhob Einsprüche und beriet sie. »Ich versuche, überall wo ich bin zu helfen. Ich kann nicht anders.«

Nach 18 Monaten wurde er von einem Tag zum anderen aus der Haft entlassen, und musste feststellen, dass er seine Existenz verloren hatte. Seine früheren Mitarbeiter waren weg, das Reisebüro gab es nicht mehr. Er ging zurück nach Berlin und fing an, sich wieder einzumischen. »Aber ich bin immer noch wütend auf die Politiker, die mir ungerechtfertigter Weise die Verurteilung eingebrockt haben.« Noch heute denke er an eine Klage.

Doch derzeit hat Ohnmacht andere Sachen zu tun. Seit 2006 ist er Bezirksverordneter in Tempelhof-Schöneberg, mittlerweile ist er stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Partei Graue Panther sowie zweiter Vorsitzender des Seniorenschutzbundes. Bis zur nächsten Berliner Wahl im September möchte er die Partei vorangebracht haben. Derzeit sitzt er in sieben Ausschüssen und sagt gerne lautstark seine Meinung.

In seiner Wohnung hat er ein penibel aufgeräumtes Büro. »Ich bin ein Korinthenkacker«, sagt er. Er müsse jede Akte und jedes Papier auf Anhieb finden können – sonst stimmt etwas nicht in seinem Leben. Und diese Art von Unruhe mag er gar nicht.

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