Gedenken

Aus allen Teilen der Welt

Erinnerungszeichen werden in München gewöhnlich im Rahmen kleinerer Gedenkveranstaltungen übergeben. Als vergangene Woche eine quadratische Messingplakette im Andenken an die 1942 ermordete Olga Maier in der Arcostraße befestigt wurde, waren aber nicht nur wie so oft Vertreter der Landeshauptstadt dabei, sondern zudem elf Familienangehörige. In Anwesenheit von Kommunalreferentin Kristina Frank sowie mehrerer Stadträte wurde im NS-Dokumentationszentrum an Maier erinnert; außerdem widmet ihr das Jüdische Museum eine Kabinettausstellung, in deren Rahmen unter anderem zwei Silberleuchter aus Maiers Besitz zu sehen sind.

Im April 1938 hatte Maier die wertvollen Leuchter in einem Leihhaus abliefern müssen, denn Juden durften per Verordnung keine Gegenstände aus Edelmetall mehr besitzen. Die Schmuckstücke wurden danach vom Nationalmuseum erworben, in den 50er-Jahren hätten sie zurückgegeben werden sollen. Aber Olga Maier hatte den Holocaust nicht überlebt, wie überhaupt von insgesamt sechs Geschwistern nur ihr kleiner Bruder entkommen war. Zwei Schwestern waren schon vor der Machtübernahme der Nazis gestorben, zwei weitere und Olga Maier wurden im Konzentrationslager ermordet.

Angehörige der ersten bis dritten Generation

Erst vor einigen Jahren gelang es Matthias Weniger, Leiter der Provenienzforschung im Nationalmuseum, Angehörige der ersten bis dritten Generation ausfindig zu machen. 2022 erfolgte die Restitution der Kerzenständer. Anfang dieses Jahres nun kamen Familienmitglieder aus allen Teilen der Welt, von Franken über England und Israel bis zu den USA, um anlässlich ihres 148. Geburtstags an »Tante Olga« zu erinnern. Sarah Steinborn, Mitarbeiterin des Jüdischen Museums, hatte zu diesem Anlass Kuchen nach einem Rezept gebacken, das Maier noch vor dem Krieg ihrer nach Trinidad ausgewanderten Nichte Leni geschickt hatte.

Einige Familienangehörige begegneten einander an diesem kalten Nachmittag in München zum allerersten Mal, manche hatten gar nicht voneinander gewusst. Entsprechend meinte die aus Amerika angereiste 72-jährige Ruth, deren Vater Hans, ein Großneffe Maiers, ins Mandatsgebiet Palästina hatte fliehen können: »Dies hier ist ein Geschenk. Wir hatten jetzt Gelegenheit, uns alle kennenzulernen.«

Hansʼ kleine Schwester Stephanie war mit 13 Jahren auf einem Kindertransport nach England geschickt worden. Ihre Tochter Sue, die aus Oxford nach München gekommen war, berichtete mit Tränen in den Augen, Stephanie habe zu Hause kaum von ihrer Familie gesprochen. »Sie blickte nach vorn.« Erst in den 70er-Jahren hatte sie erfahren, dass auch ihre Eltern, Sues Großeltern, nach Auschwitz deportiert worden waren.

Olga Maier war die Tochter des Tuchhändlers und Schneidermeisters Hermann Nussbaum.

Olga Maier war am 11. Januar 1876 in München als Tochter des Tuchhändlers und Schneidermeisters Hermann Nussbaum zur Welt gekommen. Sie besuchte die Höhere Töchterschule, das heutige Luisengymnasium, mit 20 Jahren heiratete sie den Religionslehrer Moses Moritz Maier, der bereits 1923 starb. Die beiden hatten keine Kinder. Zu ihren Schwestern, die nach Würzburg, ins Elsass und ins Saarland geheiratet hatten, hielt Olga brieflich Kontakt. Von der Hochzeit von Sues Großmutter Elisabeth im Saarland zeugt ein Familienfoto in der Ausstellung. Es ist das letzte Bild, das die gesamte Familie zeigt.

Dann kam die Machtübernahme der Nationalsozialisten. Schon 1934 emigrierte Olgas einziger Bruder Benjamin mit Frau und Kindern ins Mandatsgebiet Palästina. Seine jüngste Tochter, die heute 83-jährige Miriam, war ebenfalls angereist. Nach Benjamins Tod war ihre Mutter mit ihr 1949 nach München zurückgekehrt. Miriam ging im Lehel zur Schule, wurde später selbst Lehrerin und baute sich in Franken ein Leben auf. Auch ihre Tochter Sabine Hoffmann war zur Einweihung des Erinnerungszeichens gekommen.

»Sie dachte vielleicht, es kann nicht mehr schlimmer werden.«

Mehrfach an diesem Nachmittag stellte sich die Frage, warum Olga nach ihrem Besuch bei Benjamin in der Nähe von Haifa 1936 nicht einfach geblieben war. Steinborns Vermutung: »Sie dachte vielleicht, es kann nicht mehr schlimmer werden.« Nach zwei Wochen, in denen sie ihren Neffen vorlas und mit ihnen Jerusalem besichtigte, fuhr sie wieder nach Hause in die Arcostraße 1, wo nun die Plakette an sie erinnert.

Denn es wurde schlimmer. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und selbst Zeitzeugin, beschrieb eindrücklich die unerbittliche Verfolgung, die auch aus der einst angesehenen Olga Maier »eine Ausgestoßene«, eine »Recht- und Besitzlose, eine Hoffnungslose« machte. Maier habe nach 1933 »die ganze Härte eines grausamen antisemitischen Staates« erfahren, dazu »die geballte Kälte einer teilnahmslosen Gesellschaft«, so Knob­loch.

»Tante Olga wohnt jetzt in München-Milbertshofen«, hatte Elisabeth in einem ihrer letzten Briefe nach England die Tatsache umschrieben, dass Olga Maier im Januar 1942 ins sogenannte Judenlager im Norden der Stadt eingewiesen worden war. Sie selbst versuchte in sämtlichen Briefen, die Empfänger nicht zu beunruhigen. Olga Maier wurde am 25. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und am 20. oder 21. September 1942 in Treblinka ermordet.

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