Dortmund

1000 Wege zur Jewro

»Allein hätten wir es nicht geschafft«, sagt Elena Moskva, Jugendzentrumsleiterin der Synagogengemeinde Saar. »Unsere Gemeinde ist klein.« So sieht es auch Yaniv Taran, Rosch im Trierer Juze. 15 Kinder und Jugendliche werden für »Elef Drachim«, so der Name des Zusammenschlusses, auf der Bühne stehen. Sieben gehören der Synagogengemeinde Saar an, die anderen der Jüdischen Kultusgemeinde Trier.

»Übersetzt heißt unser Name ›1000 Wege‹. Und genauso fühlt es sich an, wenn wir gemeinsam proben wollen, denn unsere Kinder müssen immer fahren. In dieser Saison kommen die Trierer zu uns«, erklärt Elena Moskva. Wie früher üblich, abwechselnd in Trier und Saarbrücken zu proben, hat sich diesmal als zu umständlich herausgestellt. Bei der Jewro vor einem Jahr in Hannover fehlte Elef Drachim. »Da hatten wir es nicht geschafft, einen Act zu stemmen, sondern sind nur zum Mini-Machane gefahren«, sagt Yaniv Taran.

»United in Hearts« (Vereint im Herzen) ist das Motto des Tanz- und Gesangswettbewerbs Jewrovision, der am 8. Juni in Dortmund stattfindet. Es ist die europaweit größte jüdische Veranstaltung des Jahres. Vorbild ist der Eurovision Song Contest. 14 Gruppen werden performen. Erwartet werden bis zu 3000 Zuschauer. Einer der Schirmherren der Veranstaltung ist Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Die Jewrovision wurde 2002 ins Leben gerufen. Seit 2013 richtet der Zentralrat der Juden in Deutschland die Veranstaltung aus.

Viele jüngere Kinder haben noch nie auf der Bühne gestanden

In Saarbrücken habe unter den Jugendlichen mittlerweile ein Generationswechsel stattgefunden, berichtet Elena Moskva: »Wir sind verjüngt.« Die meisten sind zwischen zehn und 15 Jahre alt, etliche stammen aus der Ukraine. »Es wird für viele eine Premiere, denn die Neuen standen noch nie auf der größten jüdischen Bühne im Scheinwerferlicht.«

Auch wenn Elena Moskva das Jugendzentrum leitet, überlässt sie den Madrichim und den Teilnehmern die Gestaltung des Acts und des Videos. »Die Ideen kommen von ihnen«, sagt sie. Moskva bestellt lediglich die Outfits, nimmt Anmeldungen entgegen und kümmert sich ums Catering an den Probentagen. In diesem Jahr gibt es professionelle Unterstützung, etwa bei der Choreografie und bei der Videoproduktion. Am Gesang kann Elena Moskva als Musiklehrerin mitfeilen. »Saarbrücken liegt sozusagen am Ende der Welt, zu uns kommt keiner so schnell, da brauchen wir Anregungen von Profis, die hier vor Ort sind.«

Aus den Erfahrungen hat das Team gelernt. Manchmal reicht es nicht, die Kinder den Act ganz allein planen zu lassen. Und das Video sei dieses Jahr großartig geworden.

Genia Neplokh (86) wird den Livestream verfolgen und mitfiebern. Ihr Enkel Gregor ist Moderator.

»Als wir einmal Erster von hinten wurden, gab es Tränen.« Mit den großen Juzes können sie einfach nicht mithalten, da sie nur über ein kleines Budget verfügen. »Ich tröstete damals die Kids damit, dass es doch egal ist, welchen Platz man sich ertanzt und ersingt. Hauptsache, wir sind zusammen, trauen uns und haben Spaß.« Die Gemeinden Saarbrücken und Trier sind mittlerweile über die Grenzen der Bundesländer hinweg zusammengewachsen. Das führt sogar so weit, dass Saarbrücken zu einem Treffen des Jüdischen Landesverbandes Rheinland-Pfalz nach Koblenz eingeladen wird. »Dank der Jewro sind wir auch auf dieser Ebene zusammengekommen.«

Früher gab es Pokale mit Platzerwähnung

An seine erste Jewrovision kann Yaniv sich noch gut erinnern: Das war 2017, als die beiden Juzes zum ersten Mal gemeinsam auftraten. Damals gab es noch Pokale mit Platzerwähnung. Zweimal wurde Elef Drachim Sechster.

Die Kinder aus Trier sind mindestens eine Stunde bis nach Saarbrücken unterwegs, die Tänzer aus Straubing brauchen noch länger, um an den Proben von »Emet Nürnberg feat. Am Echad Bayern« teilzunehmen. »Manche sitzen mehrere Stunden im Zug«, sagt Fred Kupermann, einer der Leiter des Juze Nürnberg, wo die Proben stattfinden. »Sie haben sich entschieden, den Weg auf sich zu nehmen. Respekt!« Zum zweiten Mal treten die Sänger und Tänzer unter diesem Titel an. »Wir wollten auch namentlich erscheinen«, sagt Fred.

Bei früheren Kooperationen waren die Juzes des Landesverbandes Bayern unter dem Namen »Am Echad« zusammengefasst. 37 Kinder und Jugendliche werden insgesamt performen, darunter drei Sängerinnen. Sie kommen neben Nürnberg und Straubing auch aus Fürth, Augsburg und Würzburg. Schon im Januar starteten sie mit den Proben. Insgesamt werden 90 Jugendliche nach Dortmund fahren.

Die Busse sind bereits bestellt. Auch die Teilnehmer der Mini-Machanot sind dabei. Neben den Kindern fahren einige Eltern und Großeltern nach Dortmund – auch zum Anfeuern. »Jede Jewro ist etwas Besonderes«, sagt der 27-jährige Juze-Leiter. Es sei die beste »Plattform«, um Bekannte und Freunde wiederzusehen. Auch der Juze-Leiter liebt die Show, aber der schönste Moment sei für ihn die Hawdala.

Ebenfalls als Zusammenschluss mehrerer Jugendzentren wird »We.Zair Westfalia« antreten. Ihre Sänger und Tänzer wohnen in Bochum, Münster, Recklinghausen und Wuppertal und treffen sich jeden Sonntag in einer anderen Stadt.

In Freiburg hingegen wird Genia Neplokh ihren Computer anschalten und über den YouTube-Livestream die Show verfolgen. Seit 15 Jahren ist die heute 86-Jährige Fan. Damals standen zuerst ihre Enkelin Dina und dann ihr Enkel Josef auf der Bühne. Diesmal führt nun ihr Enkel Gregor als Moderator durch den Abend. »Ich mache es mir zu Hause bequem und genieße dann die Show, sie gefällt mir sehr, auch, dass die jungen Leute zusammenkommen und Freunde finden«, sagt die Ingenieurin, die in der ehemaligen Sowjet­union aufgewachsen ist. Als Zweijährige überlebte sie zusammen mit ihrer Mutter die Leningrader Blockade, alle anderen Angehörigen nicht. »Vielleicht bin ich auch deshalb immer besorgt um meine Enkel und verfolge ihre Auftritte gern.« Die Großmutter ist sehr aufgeregt und voller Vorfreude.

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