Nachruf

Psychiater und Chassid

Rabbiner Twerski sel. A. (1930–2021) Foto: privat

Nachruf

Psychiater und Chassid

Rabbi Abraham Joshua Twerski starb mit 90 Jahren an Covid-19 – seine Bücher und Videos erreichten ein Millionenpublikum

von Detlef David Kauschke  04.02.2021 09:04 Uhr

Rabbi Abraham Joshua Twerski ist tot. Der amerikanische Rabbiner, Psychiater und Buchautor starb am Sonntag nach einer Corona-Infektion im Alter von 90 Jahren in Israel. Twerski hat nicht nur durch seine Arbeit in der Behandlung von Drogen- und Alkoholabhängigen, sondern auch durch seine 85 Bücher zu Tora, Chassidut und Spiritualität sowie zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge zu Themen der Psychologie und allgemeiner Lebenshilfe internationale Anerkennung gewonnen.

In den vergangenen Jahren erhielten seine in kurzen Videostücken präsentierten Ideen immer mehr Aufmerksamkeit – auf Facebook und YouTube wurden sie millionenfach geklickt. Im Netz sind diese Videos ein Phänomen: Ein chassidischer Rabbiner mit weißem Bart und schwarzer Kippa spricht dort beispielsweise über den Umgang mit Stress und beschreibt diesen als Gelegenheit zum Wachstum.

VIDEO Er erläutert dies am Beispiel eines Hummers, der auch bis zum Lebensende wächst, dabei immer wieder Enge und Schmerzen in der harten Schale empfindet, bis er diese erneuert. Und würde der Hummer einen Arzt aufsuchen, so Twerski, würde er wahrscheinlich Beruhigungsmittel verschrieben bekommen – aber nicht weiter wachsen. Stress sei eben eine Herausforderung, verbunden mit Widrigkeiten, aber nur so könne auch der Mensch wachsen, lautet die Botschaft. Die »New York Jewish Week« berichtete 2017, dass das 91-Sekunden-Video 84 Millionen Aufrufe verzeichnete.

Das Wachstum, die Entwicklung von Charakter und Persönlichkeit, war eines seiner wichtigen Themen. So trug auch sein letztes Buch, dass Rabbi Twerski 2020 veröffentlichte, den Titel Growing Up.

FAMILIE Twerski wurde 1930 in Milwaukee (USA) geboren. Er wuchs in einer Familie mit einer langen rabbinischen Tradition auf. Väterlicherseits war er Nachkomme von Rabbi Menachem Nachum Twerski, dem Begründer der chassidischen Tschernobyl-Dynastie. Mütterlicherseits bestand eine direkte familiäre Verbindung zum zweiten Bobover Rebben.

Der chassidischen Lebensweise und Philosophie blieb Rabbi Twerski stets verbunden, ging jedoch einen für orthodoxe Juden recht ungewöhnlichen Weg, indem er beispielsweise sechs Jahre lang an der Milwaukee’s Roman Catholic Marquette University studierte. Später war er 20 Jahre lang klinischer Direktor am katholischen St. Francis Hospital in Pittsburgh, wo er unter anderem auch zahlreiche Nonnen therapeutisch betreute und darüber das Buch The Rabbi and the Nuns schrieb.

ZWÖLF-STUFEN-PROGRAMM Zudem war er Professor für Psychiatrie an der School of Medicine der University of Pittsburgh. In Pittsburgh gründete er auch das »Gateway Rehab« und entwickelte beispielsweise, angelehnt an die Methode der Anonymen Alkoholiker, ein Zwölf-Stufen-Selbstwertprogramm.

Bemerkenswert war auch seine Freundschaft mit Charles M. Schulz, Erfinder und Zeichner der »Peanuts« und deren Helden Charlie Brown, Snoopy und Lucy. Er habe Schulz für dessen psychologische Kenntnisse bewundert und vier Bücher darüber geschrieben, in denen Twerski, wie er sagte, die Cartoons analysierte. So habe sich Schulz unter anderem in der Figur des Linus, der nicht von seiner Schmusedecke lassen konnte, der Suchtproblematik gewidmet. Rabbi Twerski zeigte seine Begeisterung für den Comic-Klassiker, indem er bisweilen eine »Snoopy«-Krawatte trug.

WACHSTUM In seinem Buch Growing Up schrieb er, dass Wachstum eine lebenslange Aufgabe sei: Schon als Kind wollte er immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, Anerkennung von jedermann erhalten. Das habe sich nicht geändert: »So, obwohl ich 88 Jahre alt bin, bin ich nicht wirklich erwachsen geworden. Ich habe immer noch Kindlichkeit in mir.«

Nun ist er im Alter von 90 Jahren in seine Welt gegangen. Rabbi Twerski hinterlässt seine Frau Gail Twerski, drei Söhne, eine Tochter und zahlreiche Enkel und Urenkel. Die Beisetzung fand Sonntagnacht in Beit Schemesch statt. Dabei wurden Twerskis Wunsch zufolge keine Trauerreden gehalten. Stattdessen wurde auf seinem letzten Weg das von ihm komponierte Lied »Ho-shia Es Amecha« gesungen.

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025