gedenken

Jeder einzelne zählt

Blumenkränze liegen an der ehemaligen Synagoge in der Roten Reihe anlässlich des Gedenkens an die Pogromnacht in Niedersachsen vor 84 Jahren vor dem Schriftzug »9.11.1938«. Foto: picture alliance/dpa

In diesem Jahr steht das Gedenken an die Opfer der Pogromnacht 1938 unter dem Eindruck des 7. Oktober. Wir haben gesehen, was die Feinde Israels dem jüdischen Volk antun, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen. Unsere Generation wird Zeuge davon, dass der mörderische Judenhass sein Gewand gewechselt hat, aber keineswegs verschwunden ist.

Zur Zeit der Propheten drückte der hohe persische Regierungsbeamte Haman den jahrtausendealten Wunsch der Antisemiten aus: »Man sollte vertilgen, töten und umbringen alle Juden, jung und alt, Kinder und Frauen« (Esther 3,13).

Generation Wie unsere Weisen schon in der Pes­sach-Haggada festhielten: »In jeder Generation wird jemand aufstehen, um uns zu vernichten, und der Heilige, gelobt sei Er, rettet uns aus ihrer Hand.«

Auch zur Zeit der talmudischen Weisen erlebten die Juden Gräueltaten und Verfolgung. So wurde Rabbi Chanina ben Tardion von den Römern in eine Tora­rolle gehüllt und dann gemeinsam mit der Schriftrolle verbrannt. Seine Schüler fragten den Märtyrer im Moment seines Todes: »Rabbi, was siehst du?« Er antwortete: »Die Rolle verbrennt, doch die Buchstaben fliegen zum Himmel« (Avoda Zara 17b).

Was bedeuten diese Worte?

Die Weisen lehren, dass die Tora aus 600.000 Buchstaben besteht. Es gibt zwar nur rund 300.000 Buchstaben in der Tora, doch die Kommentatoren erklären, dass jeder Buchstabe aus mehreren Teilbuchstaben bestehen kann. Das Alef beispielsweise besteht aus zweimal Jud und einem Waw. Die einzelnen Teilbuchstaben ergeben dann insgesamt 600.000.

600.000 ist die ungefähre Anzahl der in der Tora gezählten Juden, welche die ägyptische Sklaverei verließen. Laut der Kabbala gibt es 600.000 jüdische Seelen (Seelenquellen), und jeder Jude, der jemals gelebt hat und leben wird, gehört zu einer dieser Seelenquellen. Dementsprechend hat auch jeder Jude seinen eigenen Buchstaben in der Tora.

Kabbala Der Kabbala zufolge gehört jeder Jude zu einem Buchstaben. Die Halacha sagt, dass eine Torarolle, in der nur ein einziger Buchstabe fehlt, ungültig ist. Das heißt, wenn auch nur ein Einziger im Volk fehlt, ist Israel nicht vollständig.

Daher lehrt der Sohar, das bedeutendste Schriftwerk der Kabbala, dass Israel und die Tora miteinander verwoben sind. Es ist nicht nur so, dass das Volk Israel ein heiliges Buch hat, das Tora genannt wird, sondern das Volk manifestiert sich aus der Tora.

Mit anderen Worten, genauso wie die Torarolle auf der Erde verbrannt und zerstört werden kann, wie es an zahlreichen Orten in Deutschland in der Pogromnacht 1938 geschah und wie es auch Rabbi Chanina ben Tardion und seine Schüler erlebten, so kann auch der Körper des Volkes Israel attackiert werden. Der Geist des jüdischen Volkes kann allerdings niemals zerstört werden. Die Buchstaben fliegen zum Himmel, sie kehren zu ihrem Ursprung zurück. Sie werden auf neuen Torarollen niedergeschrieben und gelehrt werden für alle Ewigkeit.

Rettung Der Sohar lehrt auch, dass die gesamte Tora ein einziger Name Gʼttes ist. All die verschiedenen Namen, die in der Tora vorkommen, haben jeweils eine Botschaft. So heißt Jizchak »der Lachende«, er steht für die Errettung am Berg Moria in letzter Minute. Jakow enthält die Buchstaben des Wortes Ekew (Verse) und Israel die des Wortes Rosch (Kopf), denn gleich der Leiter aus Jakows Vision vereint Israel das Spirituelle mit dem Irdischen.

Wenn die Tora ein Name Gʼttes ist und das Volk Israel mit der Tora verwoben ist, dann bedeutet dies, dass das Volk Israel die Botschaft »Gʼtt ist eins, und sein Name ist eins« in die Welt bringt in Form von: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.«

In der Tora heißt es: »Wenn ich den Namen Gʼttes rufe, gibt Gʼtt die Ehre« (5. Buch Mose 32,3). Rabbi Chaim aus Volozhin (1749–1821) erklärt diesen Vers so: Wenn wir die Tora studieren, die ein Name (eine Botschaft) Gʼttes ist, dann geben wir Gʼtt die Ehre.

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025